Kapitel 35

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"König Theoden, Ihr müsst Saruman gegenüber treten. Reitet Ihm entgegen und lenkt ihn ab, lenkt ihn fort von Edoras und Euren Frauen und Kindern.", überhörte ich Gandalf, wie er mit Theoden redete. Die beiden hatten schon seit einiger Zeit ihre Köpfe zusammengesteckt; Theoden saß in alter Stärke auf seinem Tron und Gandalf saß an dem Platz, den vorher Grima eingenommen hatte. Nur dass jetzt der Zauberer ihm guten Rat einflößte und Theoden bei klaren Verstand war. Trotzdem schien der König nicht so ganz erfreut über die Worte Gandalfs. 

Aragorn, Legolas, Gimli und ich übten gerade in einem ruhigeren Winkel der enormen Halle etwas Kämpfen: Ich hatte in den letzten Zehn Minuten die Schläge von Gimlis Axt immer besser parieren können und ihm im Gegenzug einige knifflige Dolchgriffe beigebracht. Legolas hatte mit Aragorn seine Schwertkünste vertieft, der ihn immer wieder flink und geschickt austrickste. Das ganze Spektakel war zugegeben sehr amüsierend, sodass Gimli und ich schließlich von unserem Duell abließen und nur noch den Beiden zusahen. Mit jedem neuen Schlag den Legolas parierte mussten wir anderen mehr grinsen und lachen - mir war es schließlich in Bruchtal mit Aragorn so ähnlich ergangen - bis der Elb schließlich frustriert aufgab. Gimli grollte vergnügt hinter seinem Bart. Da sah ich, dass noch jemand anderes das Geschehen beobachtet hatte. "Hallo Eowyn!", begrüßte ich laut die junge Frau, die über den Steinboden der Halle in unsere Richtung kam. "Seid gegrüßt, Elodiel!", entgegnete sie freudig und schaute neugierig auf die Waffen in unseren Händen. "Wenn nicht viel los ist, übe ich hier auch öfters.", meinte sie. Ich konnte Legolas und Gimlis interessierte und überraschte Gesichter sehen, doch ich nickte nur lächelnd. Auch stellte ich fest, dass sie einen Waffengürtel bei sich trug. Ich wollte ihr schon anbieten mit uns zu trainieren, da trat Aragorn auf sie zu, machte eine auffordernde Geste mit seiner Hand und kam mir zuvor. "Darf ich Euch zum Kampf herausfordern?", fragte er galant. Etwas perplex machte ich einen Schritt zurück und ließ Eowyn strahlend auf ihn zukommen, ihr Schwert aus seiner Scheide ziehend. Sie sah aus, als hätte sie genau das bekommen, was sie wollte und ich erinnerte mich an ihre vielen interessierten Blicke, die sie dem Menschen am Vorabend geschenkt hatte. "Es wäre mir eine Ehre, Aragorn." Na gut, mal sehen, wie sich die Beiden schlagen werden, dachte ich. 

Eowyns Schritte waren sicher und geschmeidig. Ihre Bewegungen sahen sogar ein bisschen so aus, als würde sie tanzen, doch konnte sie jeden Angriff Aragorns mühelos abwehren. Ich fragte mich woran das liegen mochte und konnte mich nur beeindruckt an eine Säule lehnen und zusehen. Die Schwertkünste, die man als Schildmaid lernte, schienen vortrefflich zu sein. Gemeinsam wirbelten die Beiden durch den Seitenflügel des Saals, flink und leicht über den glatten Boden und das Klirren ihrer Waffen ertönte klar und kraftvoll. Nicht einmal stolperte sie, nicht einmal zuckte sie zusammen. Sie hatte mir ja erzählt, dass viele sie unterschätzten, was ich gut nachvollziehen hatte können, doch erst jetzt verstand ich wirklich, was sie damit meinte. Auch Aragorn schien sehr eingenommen von ihr zu sein: Als er nach den ersten paar Schlägen merkte, dass sie ihm mehr als gewachsen war, ging er mit einem ernsteren Gesichtsausdruck an die Sache und schlug nun kräftiger zu. Eowyn hatte noch immer keine Mühe, ihm auszuweichen oder seine Hiebe zu parieren. 

"Ihr seid sehr geübt in der Kunst des Schwertes.", rief Aragorn zwischen einzelnen Manövern aus. Eowyn wirbelte einmal um ihre eigene Achse - ihre goldenen Haare flogen um sie -  und erhob wie um seine Aussage zu bestätigen ihre Klinge. "Frauen hier werden sehr früh gelehrt, was es bedeutet ein Schwert zu tragen." Ihre Brust hob und senkte sich, während keiner der Beiden aufmerksam den Blick vom Anderen nahm, auf den nächsten Angriff wartend. "Ich fürchte weder Schwerz noch den Tod.", meinte sie kühn du ließ ihr Schwert durch die Luft sirren. Aragorn fing es mit dem seinen ab. "Was fürchtet ihr dann?", keuchte er verwundert. Sie griff wieder an. "Einen Käfig!"

Der Kampf war so fließend, ihre Bewegungen fast hypnotisierend, dass ich ihnen ewig hätte zusehen können, wäre da nicht etwas, das mich unterbewusst störte, die beiden so miteinander zu sehen. Ich konnte es mir selbst nicht erklären. War das etwa Neid? Hätte ich vielleicht länger da gestanden und mehr auf diese nagende Stimme gehört, wäre ich vielleicht zu dem Schluss gekommen, dass ich lieber an Eowyns Stelle Aragorn mein Können beweisen würde. Doch dazu kam es nicht. Ich wandte mich nach einigen Minuten einfach ab, steckte meine Waffe ein und betrat das Mittelschiff der Halle. Irgendwie war mir die Lust am Trainieren vergangen. Ich bin einfach müde, dachte ich. 

Ich wollte mich schon zum Ausgang der Halle drehen, da hörte ich, wie König Theodens Stimme immer lauter vom hinteren Ende der Halle herüberschallte. Ich drehte mich um.

"Ich weiß, was Ich von mir erwartet.", polterte der König aufgebracht auf etwas das Gandalf gesagt hatte und erhob sich von seinem Tron. Jetzt schritt er geradewegs durch den Saal, sodass seine Schritte laut auf dem Stein klapperten und ich hörte, wie Aragorns und Eowys Kämpfen verklang. Neugierig kamen auch Legolas und Gimli in das Mittelschiff der Halle geschlichen, um zu hören was der König zu sagen hatte. "Ich werde kein weiteres Verderben über mein Volk bringen.", sagte dieser bestimmt und drehte sich noch einmal zu dem Zauberer um, der bei dem Tron geblieben war. "Was ist dann Eure Entscheidung?", entgegnete Gandalf energisch. "Evakuiert die Stadt."

"Jawohl, mein König.", antwortete Hama, der sich als Hauptmann immer in der nähe seines Herrschers aufhielt und verließ mit schnellen Schritten und wehendem Umhang die Halle; eine Handvoll Soldaten bei ihm, die seine Befehle ausführen würden. Der Blick des Königs war in die Ferne gerichtet, die Wirkung seiner schwerwiegenden Entscheidung überdenkend. Doch er hatte sich entschieden. Eowyn stand nun auch nicht unweit von mir in seiner Nähe und sah ihren Onkel unschlüssig an. Dann drehte sich Theoden zu uns allen, als wären wir ihm erst jetzt aufgefallen. "Ihr habt es gehört", sagte er grimmig. "Die Stadt wird geräumt. Wir werden nach Helms Klamm ziehen."


Der Herr der Ringe oder das Erbe von AngmarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt