Kapitel 34

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Ich starrte auf die Tür. Taddl stand dort, aber er war alleine.
"Wo ist Felix?"
"Er...Will mit dir reden", antwortete er zögernd und kam auf mich zu.
"Hätte er nicht herkommen können?"
"Nein, er wollte lieber irgendwo mit dir reden, wo er jederzeit weglaufen kann", seufzte er und half mir aufzustehen.
"Das hat er aber nicht so gesagt oder?", fragte ich hoffnungsvoll.
"Wer weiß", lachte er und drückte mir einen Kuss auf die Wange.
"Wo ist er denn?", wollte ich wissen, als meine Füße den Boden berührten.
"Am Strand." Drei Tage waren wir erst hier und schon so viel war am Strand geschehen. Es war unglaublich, was sich in drei Tagen alles so ereignete.
"Kannst du mir helfen dort hinzugehen?", fragte ich peinlich berührt und eine Sekunde später saß ich auf seinen Schultern.

Nach einigen Minuten waren wir am Strand angekommen. Ich konnte Felix, der zusammengekauert im Sand hockte, schon von weiterer Entfernung sehen.
"Jess. Wenn etwas passieren sollte, ruf' mich und ich werde dir helfen, versprochen", flüsterte Taddl besorgt.
"Taddl, ich werde dich rufen, wenn Felix ausrastet, aber ehrlich gesagt denke ich nicht, dass er mich dann gleich erschlagen wird", nuschelte ich und strich ihm lieblich über die Wange.
"Ich meine nur generell", murmelte er, als hätte er eine Vorahnung auf die Zukunft. Skeptisch schaute ich aufs Wasser.
Fast lautlos ließ Taddl mich herunter, als wir nur noch wenige Meter vor Felix waren. Dieser schreckte sofort hoch und sprang auf.
"Wenn du Jessica noch mal anfasst...", knurrte Felix und ging mit finsterer Miene auf uns zu.
"Was? Was willst du dann machen?", fragte Taddl provozierend und stellte sich schützend vor mich.
"Das wirst du dann sehen. Und jetzt verschwinde, ich wollte mit ihr reden, nicht mit dir!", rief Felix und schubste Taddl leicht zurück, so dass er mich schnell zur Seite drückte, um nicht auf mich zu fallen.
"Geht's noch?", fragte ich Felix wütend und half Taddl hoch. Ich nickte Taddl zu. Dieser ging ein paar Meter weg.
"Du sollst verschwinden!", rief Felix und Taddl machte einen schnellen Abgang. Würde er mich hören, wenn etwas passierte und ich schreien würde?
Felix warf sich auf den Boden und fing an zu weinen. Ich hatte ihn noch nie weinen sehen.
Damals, als wir uns kennengelernt hatten, waren wir noch kleine Kinder. Das erste Mal sah ich ihn, als ich mit meiner Theatergruppe, in der ich früher gespielt hatte, etwas aufgeführt hatte. Er war ein großer Fan des Theaters und wollte, nachdem er zu fast allen unserer Stücke kam und mich besser kennenlernte, unbedingt mein bester Freund sein. Unsere Eltern mochten sich auch gerne und dann stellte sich heraus, dass er nur eine Straße weiter als ich wohnte. Simon wohnte zu der Zeit neben ihm. So hatte ich auch Simon kennengelernt. Felix und ich haben immer im Sandkasten gespielt und nicht selten hatte ich mich verletzt. Er hatte mich dann immer getröstet. Nie hatte er sich verletzt, nur ein Mal. Und das richtig. Felix war gestolpert und auf einen Stein gefallen. Sein ganzes Bein und sein halber Arm inklusive Pulsader waren aufgerissen - doch er weinte nicht. Er hielt den Schmerz aus. Obwohl er so klein war.

Mir wurde klar, dass er wegen mir weinte. Ich hatte ihn sehr verletzt. Und das führte nun auch mich zu Tränen. Ich setzte mich langsam neben ihn und drehte sein Gesicht sanft zu mir.
"Weine nicht", sagte ich und strich seine Tränen weg. Es erinnerte mich an die alten Zeiten, in denen er mir auch immer die Tränen weggewischt hatte. Heutzutage war er teilweise für diese verantwortlich.
"Ich habe alles verbockt! Alles! Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, hätte ich alles anders gemacht... Jess, es tut mir so leid", weinte er. "Bitte...bitte verzeih' mir", schluchzte er verzweifelt, dass er mir richtig leid tat. Ich nahm seinen Kopf in meine Hände und streichelte seine Wangen mit meinen Daumen.
"Felix, warum weinst du denn überhaupt?"
"Ich habe dich verletzt, Taddl verletzt, ich hatte mich nicht unter Kontrolle... ich habe Dinge gesagt, die ich nicht sagen wollte und..."
"Hey, Moment", unterbrach ich ihn und legte meinen Zeigefinger auf seine Lippen. "In der Wut verliert der Mensch seine Intelligenz. Ich verstehe, dass du wütend warst und bin auch nicht sauer auf dich, dass du durch deine Eifersucht dazu angetrieben wurdest. Eifersucht... Dafür kannst du nichts", sagte ich und rückte näher an ihn heran.
"Ich bin nicht eifersüchtig gewesen...", sagte er und lächelte schwach, "...ich wollte nur verteidigen, was mir gehört." Ich legte lächelnd meinen Kopf auf seine Schulter.
"Felix", seufzte ich. "Ich verzeihe dir, wenn du mir etwas versprichst", stellte ich eine Bedingung.
"Was denn?", fragte er und streichelte mir über den Kopf.
"Du darfst nie wieder eifersüchtig sein." Irritiert schaute er mich an. "Weißt du, meine Eltern sind tot, die Beziehung zu meiner Schwester ist auch nicht die, die ich mir wünsche und dann habe ich auch noch ganz viele andere Probleme. Wenn du also wegen mir oder meinen Entscheidungen weinst, macht mir das das Leben nicht einfacher. Ich beschwere mich nicht, ich habe zwei... tolle Menschen, die ich liebe und beide liebe ich gleich viel und nur, weil ich mit dem einen mal mehr Zeit verbringe, heißt das nicht, dass der andere mir egal ist. Ich habe das nur nicht immer im Hinterkopf! Außerdem...", erzählte ich und rückte noch näher an ihn heran,
"...Weißt du eigentlich, wie sehr ich mich über deine Anwesenheit freue? Dinge die du tust, die für andere selbstverständlich sind, erfreuen mich, egal wie klein und ›wertlos‹ sie sind." Felix starrte mich immer noch an. "Was ist? Du guckst wie ein Auto", kicherte ich. Dann schloss er die Augen und küsste mich. Währenddessen streichelte er meinen Rücken. Keine Berührung von ihm war schöner als diese.
Als er sich löste, hob er mich hoch und trug mich mit den Worten "Wir sollten schlafen" aufs Zimmer, wo Taddl noch wach lag. Die Balkontür war weit geöffnet. Hätte ich geschrien, hätte er mich mit kleiner Wahrscheinlichkeit gehört. Erwartungsvoll schaute Taddl mich an. Ich schaute emotionslos zurück und wendete meinen Blick ab. Ich hatte keine Ahnung, wie ich mich fühlen sollte. Wirklich glücklich war ich nicht, aber auch nicht richtig traurig. So, wie ich es Izzi erklärt hatte. Izzi war da, als ich jemanden zum Reden brauchte. Izzi war ein toller Mensch, echt zum ... Ich sollte besser schlafen gehen.

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Was die gute Jess schon wieder für Gedanken hat 😏
Vielleicht... nein. Oder doch? :D

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