Brauchen Sie Hilfe?

1.6K 20 1
                                    

Am Montag kommst du bei der Arbeit an. Es war schöner als du es dir vorgestellt hattest. Die Mitarbeiter:innen waren alle total nett und heißen dich willkommen. Der Chef war auch nett und mit den Mitarbeitern eher auf gleicher Ebene. Das freut doch sehr und auf den ersten Blick war das Arbeitsklima wunderbar. Du hattest also den richtigen Riecher bei der Bewerbung. Das Bewerbungsgespräch hatte freundlicherweise online stattgefunden, da du ja eine sehr weite Entfernung hättest zurücklegen müssen. Das hatte dich auch schon positiv gestimmt. Und dann warst du angenommen worden. Besser konnte es nicht laufen.
Die Räume waren wunderschön und dir gefällt es sehr. Du freust dich hier arbeiten zu dürfen.

In der nächsten Woche entscheidest du dich am Freitag Nachmittag nach der Arbeit wieder in der Altstadt spazieren zu gehen. Wieder einmal genießest du den Anblick der schönen Häuser und die Stille. Keine Autos, nur wenige Menschen.
Du versinkst in Gedanken. Was du wohl am Wochenende machen wirst? Vielleicht mit Konstantin telefonieren. Mal sehen wie es ihm geht. Du bleibst wie angewurzelt stehen. Um die Ecke war gerade ein Mann gekommen. Du schluckst. Er scheint ebenfalls überrascht, dann aber gefasst. "Hallo Y/N.", sagte er dann.
Du schnappst nach Luft. Mit seiner Stimme kamen auf einmal alle Erinnerungen auf einen Schlag zurück. Erinnerungen, Gefühle und sämtliche Bilder durchfluteten deinen Körper. Du musst dich abstützen. Du hast das Gefühl nicht mehr atmen zu können. Du ringst nach Luft. Eine Frau kommt auf dich zu. "Brauchen Sie Hilfe? Hier etwas zu trinken." Du nimmst es dankbar an und beruhigst dich wieder. Die Frau hilft dir auf die Beine und du bedankst dich.
Du blickst dich um, aber es war niemand mehr zu sehen, dort, wo er gestanden hatte. Es lag nur etwas auf dem Boden. Du bedankst dich erneut bei der Frau und gehst vorsichtig auf den Platz zu, wo eben noch dieser Mann gestanden hatte. Du erkennst einen kleinen Zettel auf dem Boden. Du hebst ihn auf und erkennst eine Visitenkarte. "Was haben Sie da?", fragte die Frau, die dir geholfen hatte neugierig. "Ach nichts. Es... es ist mir vorhin aus der Tasche gefallen, nur ein... Einkaufszettel.", lügst du und versteckst die Karte schnell in deiner Tasche. Die Frau nickt. "Gute Besserung und viel Erfolg beim Einkaufen." Damit läuft sie davon.

Noch immer vom eben passierten geschockt bleibst du noch einen Moment stehen, läufst dann aber Richtung Bahnhof. Du möchtest nun schnell nach Hause. 

In der Nacht konntest du nicht schlafen. Die Gedanken lassen dich nicht los. In deinem Kopf spielst du so oft diese Szenarien ab,die damals passiert sind. Im Internat. Wie er dich kontrolliert hatte. Du warst jünger als jetzt und naiv gewesen. Deine Kindheit und Jugend war hart. Die letzten Jahre mit Konstantin hatten sich das erste Mal richtig angefühlt. Das erste Mal hattest du ein Zugehörigkeitsgefühl und es hat sich gut angefühlt.
Aber je mehr du über die Zeit nachdenkst desto mehr sehnst du dich auch dorthin zurück.
Du warst eingesperrt aber es hat dir im Nachhinein in gewissem Maße gefallen. Vor allem hat dir gefallen wie er war. Auch wenn er oft viel zu hart zu dir war. Er hatte dich am Ende doch geliebt, oder? Sehnsucht macht sich in deinem Herz breit. Warum habe ich diese Zeit verdrängt?

Mit diesem Gedanken schläfst du endlich ein.

Am nächsten Tag warst du sehr müde, die Arbeit musste aber trotzdem sein. Auch wenn dein Blick ständig zum Fenster in die Ferne ging und deine Gedanken abschweiften. Du willst am liebsten auf der Stelle den Raum verlassen und nach ihm Suchen. Es konnte doch auch kein Zufall sein ihn hier zu treffen. Es war eine große Stadt und du hast ihn nun schon zweimal gesehen. Das musste doch etwas heißen.

Nach der Arbeit bist du sofort wieder in die Stadt. Aber nirgends war er zu sehen. Es war auch eine verzweifelte Suche, denn ja, diese Stadt war viel. zu groß.
Und warum war er überhaupt hier gewesen? Müsste er nicht eigentlich immernoch im Gefängnis sein?

Du gehst nach Hause. Am liebsten würdest du Konstantin anrufen und ihm von der Begegnung erzählen. Aber was solltest du ihm sagen? "Ich habe unseren damaligen Lehrer wieder gesehen der eigentlich im Gefängnis sitzt?"
Das würde ihn sicher beunruhigen und er würde sofort hier her kommen oder dir sagen, du sollst zurück kommen.
Aber es läuft gerade so gut hier mit deinem Job. Du wurdest gut aufgenommen und es macht dir Spaß. Du willst das hier nicht aufgeben. Und Konstantin möchtest du auch nicht beunruhigen. Schließlich bist du alt genug um dich nicht mehr wie damals von ihm kontrollieren zu lassen.

Und dann fällt es dir plötzlich ein. Die Visitenkarte. Du hattest sie einfach eingesteckt. Du springst von deinem Stuhl auf und durchsuchst die Tasche von deinem Mantel. Da war sie. Du holst sie erwartungsvoll heraus und blickst darauf. Es stand in schöner Schrift ein Name und eine Adresse darauf. Deine freie Hand fuhr unwillkürlich zu deinem linken Schlüsselbein. "Erik Kampe" stand auf der Visitenkarte. Die Anfangsbuchstaben waren genauso verschnörkelt dargestellt wie auf deiner Haut. Du schluckst. Es fühlt sich unreal an. Du bist wie in Trance, nimmst deinen Mantel und suchst in deinem Handy nach der Adresse und die schnellste Anbindung dorthin.

Es war ein Viertel mit vornehmen, teuren Häusern. Du hältst nach der Nummer 51 aus. Da war es. Ein schönes, großes Haus. Mehrere Stockwerke. Konnte es das sein? Du siehst auf das Klingelschild: "Kampe". Ja, dass musste es wohl sein.

Erst als du vor seiner Türe stehst und dein Finger wie automatisch das Klingelschild drückt kommst du aus deiner Trance und dir wird bewusst, er hatte sein Spiel mit dir bereits begonnen und du warst mal wieder in seine Falle getappt. 

Verlangen nach Dominanz - Fortsetzung zu InternatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt