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"Borderline"

Nach der explosiven Auseinandersetzung mit seinem Großvater, in der Taehyung beinahe eine Ohrfeige kassierte, ging es für ihn tatsächlich nur weiter bergab. Auch wenn er die Tage über weiterhin zur Arbeit kam, sah man ihm deutlich an, dass er kaum schlief und viel weinte. Er gab das Bild einer Leiche wieder, so blass und leblos wie er aussah, bei all den Zigaretten und dem Alkohol, den er konsumierte. Im Büro sah man ihn beinahe alle Fünfzehn Minuten nach oben auf die Dachterrasse gehen, von wo er dann jedes Mal wieder mit einem stechend starken Rauchgeruch wieder zurückkam, als habe er eine komplette Schachtel binnen kürzester Zeit mehr oder weniger inhaliert. Zu dem kam er mittlerweile nicht mehr mit dem eigenen Auto, sondern in einem Taxi zur Arbeit, da der Kaffee, den er am Morgen und dann über den Tag verteilt immer wieder trank, jedes Mal auch einen gönnerischen Schuss eines alten Whiskeys, oder was auch immer er gerade fand. 

,,Hier sind die Dokumente, nach denen Sie fragten", murmelte Jungkook schüchtern vor sich hin. Er hatte keine Ahnung, wie sein Chef zur Zeit tickte und befürchtete, er sei eine laufende Zeitbombe, die jeden Moment losgehen konnte, weshalb er so hart und sorgfältig versuchte zu arbeiten, wie es ihm nur möglich war. Was er nicht wusste war, dass Taehyung schon gar nicht mehr überschaute, was er machte und Fehler somit einfach nur übersah, sich auch gar nicht dafür interessierte. ,,Kann ich sonst etwas für Sie tun? Vielleicht etwas zu Essen kaufen? Sie lehnen mein Frühstück jeden Morgen ab und ich mach mir langsam Sorgen, weil Sie nicht viel zu essen scheinen."

Um sich eine Diskussion darüber zu ersparen oder sich darüber etwas anhören zu müssen, auch weil es ihn nervte, wie sein Magen den ganzen Tag schon knurrte, nickte Taehyung nur und winkte seinen Sekretär damit ab, der schwach lächelte, weil in ihm die Hoffnung auf eine Besserung aufkam, als er sich auf den Weg mache, etwas nährreiches zu Essen zu kaufen. Damit endete es aber nicht, dass Leute etwas von dem Braunhaarigen wollten, denn Frau Ang kam nur wenig später ebenfalls in das Büro, mit einem Stapel an Dokumenten in ihren Händen, die sie aber nur als Vorwand nutzte, um an den Direktor heranzukommen.

,,Alles fertig. Die Gehälter für diesen Monat sind übertragen, nur bei Jungkook gab es ein Problem, weshalb ich ihn gerade suche. Haben Sie ihn gesehen?", fragte die ältere Dame ihren Chef, den sie nach all den Jahren noch siezte, auch wenn sie das eigentlich nicht musste, denn sie kannte Taehyung schon seitdem er ganz jung war und wusste immerzu, wie es hinter den Kulissen bei ihm aussah. Damals arbeitete sie an der Seite der Großmutter, bis sie aus der Familie ausgeschlossen wurde, somit half sie dem Jüngeren auch dabei, sich in der Firma zu finden, als kein anderer es tat. Selbst hatte sie ebenfalls einen Sohn, ungefähr im gleichen Alter und wusste, genau wie man sich zu verhalten hatte, fürchtete sich aber davor, ihre Grenzen zu überschreiten, weshalb sie ruhig blieb.

,,Jungkook ist mir was zu Essen kaufen gegangen", erzählte der Mann ihr nur, weshalb sie sofort die Augen weitete und sich wunderte. In den letzten Tagen hatte sie hin und wieder mal eine Kleinigkeit in das Büro gebracht, nur um es letztendlich wieder wegschmeißen zu müssen, sah auch ganz genau, wie er an Muskelmasse verlor, somit also nicht zum Sport ging, aber allgemein auch schlanker erschien, was alle Alarmglocken in ihr läuten ließ. Jetzt aber schien er wenigstens ein bisschen Vernunft zu haben, weil er Essen von seinem Sekretär bekam. ,,Hast du ihn angeschrien? Hat er wieder geweint?", fragte sie sofort, duzte ihn dieses Mal tatsächlich auch.

,,Nein, hätte ich das tun sollen?", fragte er nur ganz gleichgültig und schaute endlich auf. ,,Jungkook sagte, er mache sich meinetwegen große Sorgen, also esse ich eine Kleinigkeit, weil ich nicht möchte, dass er sich um mich sorgt."

Und da machte es Klick im Kopf der Dame, die so plötzlich aus dem Büro ging, wie sie auch hereingekommen war. Bevor Jungkook hier aufkreuzen würde, musste sie ihn unbedingt abfangen und wie es das Schicksal so wollte, hatte sie auch Glück dabei, denn der Jüngere kam gerade erst aus dem Fahrstuhl hinaus, in seiner einen Hand ein grüner Smoothie, in der anderen ein Sandwich von Subway, dass er von seinem eigenen Geld gekauft hatte, statt die Rabattkarte zu nutzen, die die Mitarbeiter der Firma bekamen, um sich an verschiedenen Orten in der näheren Umgebung des Firmengebäudes das Essen ohne Bezahlung holen zu können. 

,,Jungkook! Gut, dass ich dich hier treffe! Ich muss unbedingt mit dir reden", meinte die Frau und stellte sich direkt vor den jüngeren Mann, der aber hastig den Kopf schüttelte und kurz die Tüte hochhielt. ,,Ich musste schon so lang an den Ampeln stehen und wenn ich noch länger warte, dann wird das Sandwich kalt und ungenießbar für Herrn Kim!", meinte er und ging einfach an ihr vorbei, um seinem Chef das Essen zu bringen. Erst danach ging er wieder zu Frau Ang, die vor dem Büro gewartet hatte und mit anschaute, wie Taehyung seinen Sekretär ansah. Sie war nicht dumm und sie wusste ganz genau, was los war, aber sie blieb ruhig. 

,,Jetzt kann ich. Was wollten Sie, Frau Ang? Habe ich etwas falsch gemacht?", fragte der Schwarzhaarige unsicher und spielte hinter seinem Rücken dabei nervös mit seinen Fingern. ,,Tatsächlich ja, du hast mir falsche Kontodaten gegeben, wegen des Gehalts, aber das ist gerade unwichtig, weil ich wegen etwas viel wichtigerem mit dir reden muss", meinte sie nur und zog ihm aus dem Bereich heraus, in dem sich noch viele andere Mitarbeiter befanden. Was sie aber nicht ahnte war, dass auch Namjoon jetzt in unmittelbarer Umgebung war und ganz genau mithören konnte, worüber sie mit Jungkook sprach.

,,So kann es nicht weitergehen mit Taehyung. Wie du siehst, ist er dabei sein ganzes Leben einfach wegzuwerfen, da er sich nicht mehr um sich selbst kümmert, geschweige denn überhaupt das Interesse daran zeigt. Auch die Arbeit die er macht lässt immer weiter nach, worüber der Vorgesetzte Kim ganz sicher nicht erfreut sein wird, weshalb wir dringend etwas unternehmen müssen. Ich kann es mir nur halb erklären und verstehe es noch nicht so ganz, aber ich habe heute irgendwie das Gefühl bekommen, dass er auf dich vielleicht hören wird oder besser gesagt du etwas machen kannst, damit es endlich besser wird. Ich weiß nicht wie, da musst du dir was einfallen lassen, vielleicht also in nächster Zeit einfach an seiner Seite bleiben und für ihn da sein, denn ich bin mir sicher, dass er momentan wirklich jemanden an seiner Seite braucht, damit er nicht so allein ist", erklärte die Frau ihrem Gegenüber und gab somit auch vertrauliche Informationen an jemanden weiter, der nicht hätte zuhören sollen. 

Weil Jungkook selbst gemerkt hatte, wie schlimm es geworden war und auch Angst bekam, dass seinem Chef noch irgendwas geschehen würde, was ihn eigentlich nicht interessieren sollte, da die beiden keinerlei Verhältnis oder Freundschaft zueinander hatten, wollte er definitiv etwas unternehmen. Zielstrebig wollte er das auch sofort tun, gucken ob der Ältere sein Sandwich gegessen hatte, aber noch bevor er in das Büro von Taehyung gehen konnte, wurde er dieses Mal von Namjoon abgefangen, der seinen Arm um die schmalen Schultern des Sekretärs legte, um ihn in eine ganz andere Richtung zu lenken. Und weil Jungkook keine andere Wahl hatte, als denen, die über ihm standen, höchsten Respekt zuzuweisen, wurde er in Arbeit von Namjoon verwickelt, die er gar nicht hätte erledigen müssen, aber der zweite Direktor wollte eben dafür sorgen, dass der Jüngere auf keinen Fall zu Taehyung gelangen würde. 

Da Jungkook dachte, Taehyung würde so oder so wieder Überstunden machen, wodurch er ihn am Ende des Tages dann in seinem Büro wiederfinde, dachte er sich nichts weiter dabei und blieb bei Namjoon.

Hätte er bloß gewusst, dass er seinem Chef das nächste Mal nicht in dem Firmengebäude, sondern einem Krankenhaus nach einem Autounfall begegnen würde, dann wäre er nie im Leben mit dem Konkurrenten von Taehyung mitgegangen. 

Ein Autounfall? Na hoffentlich geht es dem guten Taebär gut :')


secretary jeon ᵛᵏᵒᵒᵏ Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt