Kapitel 2

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Herbst

Ich war noch nicht einmal richtig über die Schwelle getreten, da wusste ich auch schon, was mich erwartete. Das war eindeutig zu riechen und sofort atmete ich durch den Mund um nicht mehr den stechenden Geruch nach Formaldehyd, Verwesung, Blut und Tod wahrnehmen zu müssen. Erkennen konnte ich allerdings nichts, weil der Raum so dunkel war, dass sogar ich Probleme hatte etwas zu erkennen.

»Kannst du Licht machen?«, wollte ich von dem Dämon wissen.

»Bin ich ein Heller?«, konterte er.

»Nein, aber ich dachte, du wärst nützlich!« Der Spruch war mir einfach so herausgerutscht und sofort erstarrte ich.

Cimeies war zwar einer meiner Gefährten, einer meiner Vertrauten... Aber dennoch ein Dämon und konnte mich – trotz meiner Unsterblichkeit – vermutlich immer noch relativ leicht umbringen. Ich wusste nicht, ob ich mit so einem Spruch nicht ein wenig zu weit ging...

Doch zu meiner Erleichterung lachte der Dämon leise auf. »Gut gekontert, das muss ich dir lassen, kleine Dunkle. Und mutig einen Dämonenfürsten so herauszufordern.«

»Nun, getötet habe ich ja schon welche von daher musste ich diesmal was anderes versuchen.«

»Bitte warne mich vor, wenn du dazu übergehst mich auch töten zu wollen. Ich mag Überraschungen nicht sonderlich.«, erklärte Cimeies mit einem leichten Glucksen.

»Also keine Geschenke zum Geburtstag?«

»Das habe ich nicht gesagt. Ich habe eine Schwäche für Kirschtorten.« Ich starrte den Dämon an und versuchte mir vorzustellen, wie er vor einer Kirschtorte mit brennenden Kerzen saß und sie auspustete bevor er Kuchenstücke an alle Geburtstagsgäste verteilte.

»Es gibt Kirschen in der Hölle?!«, entfuhr es mir.

»Nein.«, murmelte Cimeies knapp und ein Hauch Traurigkeit schien in seiner Stimme mitzuschwingen.

Angespanntes Schweigen breitete sich zwischen uns aus, weswegen ich mich entschied mich dem angenehmeren zu widmen. Blind tastete ich nach einem Lichtschalter, der sich bestimmt irgendwo neben der Tür befinden musste. Meine Fingern trafen auf kühles Plastik und ich drückte den Lichtschalter.

Über unseren Köpfen flackerte plötzlich eine nackte Glühbirne, die lediglich an einem ausgefransten Kabel hing. Ein lautes Summen im Raum und ein leichtes Flackern, ließen mich vermuten, dass es die Glühbirne nicht mehr lange machen würde. Auch wenn ich schon ahnte, was sich in diesem Raum befinden würde, blickte ich mich um.

Auf einen Menschen musste dieser Raum wirken, als käme er direkt aus einem Horrorfilm oder aus der Hölle. Und ich verstand es auch, war ich als Mensch geboren worden und hatte mich erst an die dunkle Magie gewöhnen müssen. Mittlerweile machte es mir kaum noch etwas aus, es gehörte einfach zu meinem neuen Ich.

Der Raum war auch eine Art Abstellkammer – wenn auch ganz anders als die vorherige. Die Wände waren bedeckt mit Regalen. Darauf standen Gläser, die mit einer gelblich-grünen Flüssigkeit gefüllt waren. Und in dieser Flüssigkeit... schwammen Teile. Genauer, Teile von Menschen.

Ich sah ein Glas, das lauter Finger enthielt. Große Finger und kleine Finger. Schrumpelige Finger und Finger, an deren Nägel noch Spuren von Nagellack zu sehen waren. Ein anderes Glas enthielt Augen in allen Farben und ich wich ihrem starren, leerem Blick aus, der mich zu verfolgen schien, auch wenn das natürlich Quatsch war. Es gab Gläser mit den verschiedensten Innereien und Organen. Gehirne, Herzen, Leber, Nieren waren nur ein paar davon.

Andere Gläser waren mit Unmengen von Blut gefüllt auf deren Etikett die Blutgruppe vermerkt war, sowie das Alter der Person von dem es stammte. Manche Dämonen bevorzugten nämlich ausschließlich das Blut von Säuglingen. Von der Decke hingen Büschel von Haaren in den Farben Schwarz, Blond, Braun, Rot und Weiß. Bleiche, saubere Knochen lagen überall herum, als hätte sie jemand sortiert und in einem Anflug von Wut vom Tisch gefegt. Ich bückte mich und hob einen Knochen auf, der wohl der Fingerknochen eines Kindes sein musste.

Jetzt wusste ich, wo die ganzen Materialien gelandet waren, die ich für Neo auf Friedhöfen und ähnliches besorgen musste. Es waren Materialien, die man eher selten in Beschwörungen brauchte, weswegen mich die Menge, die Neo gesammelt hatte, überraschte. Vor allem wurde das meiste dazu verwendet um dunkle Wesen wie Ghule und Zombies oder Banshees zu beschwören und ein paar Dämonen verlangten ebenfalls nach bestimmten Opfergaben. Aber trotzdem würde man dafür nicht so einen großen Vorrat benötigen. Außer... man hatte eine wahrhaft große Beschwörung vor.

Ich erinnerte mich an die Zombieangriffe und den Ghul, als ich damals mit Leander auf den Weg nach Darkmare gewesen war und fragte mich zum ersten Mal, ob nicht vielleicht Neo hinter diesen Angriffen gesteckt hatte... Doch das ergab doch keinen Sinn, oder? Oder sah ich den Sinn dahinter nicht?

Ich schüttelte den Kopf und wandte mich um, um die gegenüberliegende Wand in Augenschein zu nehmen. Im Gegensatz zu dem Rest des Raumes, wirkte dieses Regal schon fast normal. Uralte Bücher und Schriftrollen stapelten sich auf den Holzbrettern. Manche der Bücher schienen schon fast auseinanderzufallen, während andere kaum leserlich waren, da... Flüssigkeit über die Seiten gespritzt war. Ich war mir nicht sicher, was das für Flüssigkeit war, doch ich ahnte es.

Viele der Bücher waren aus schwerem, robusten Pergament, dessen Seiten im Laufe der Jahre und Jahrzehnte sich bräunlich verfärbt hatten und sich leicht zu wellen begannen. Manche waren schlicht und hatten lediglich einen Titel aufgedruckt, während andere mit Gold und Ornamenten verziert waren und sogar kleine Abbildungen und Zeichnungen beinhalteten.

Viele waren in der magischen Sprache geschrieben, die sich vom Lateinischem ableitete, doch ich erkannte auch Bücher, die eindeutig in anderen Sprachen verfasst worden waren. Ich entzifferte kyrillische Buchstaben und etwas, dass nach Chinesisch oder Japanisch oder so aussah. Mit Bleistift waren die Übersetzungen oder weitere Notizen daneben geschrieben worden.

»Manche dieser Schriften gelten als schon lange verschollen... oder als restlos vernichtet.«, murmelte der Dämon und nahm ein kleines, handtellergroßes, verstaubtes Buch aus dem Regal, auf dessen Vorderseite mit Gold das Wort Daemonica geprägt worden war. »Das hier hat meinesgleichen gezielt vernichtet, da es detailliert die Schwachstellen einiger Dämonen aufzählt.«, erklärte Cimeies.

»Auch deine?«, wollte ich interessiert wissen.

Cimeies schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich habe keine Schwachstelle. Aber dieses Buch... ist vermutlich das letzte Exemplar, dass existiert...« Fast schon ehrfürchtig legte Cim das kleine Buch wieder in das Regal und musterte mit unverhohlener Faszination die weiteren Schriften.

Ich streckte meine Hand nach einer staubigen Papierschriftrolle aus, die so alt aussah, als würde sie in meinen Händen sofort zu Staub zerfallen. Sehr vorsichtig drehte ich sie um und die eingeprägten, verblassten Zeichen zu betrachten. Ich kannte sie nicht und hatte keine Ahnung, was sie bedeuten sollten.

Cimeies trat hinter mich und beugte sich über meine Schulter, während ich seinen untypischen, süßlich-scharfen Geruch wahrnehmen konnte. Seine langen Haare kitzelten mich an der Wange und ich wollte gerade abrücken, als Cimeies murmelte: »Diese Sprache... die habe ich schon sehr lange nicht mehr gesehen... es ist ein uralter Dialekt einer schon fast ausgestorbenen Dämonensprache.«

»Kannst du das lesen?«, erkundigte ich mich und musterte die seltsamen Symbole.

»Vielleicht. Aber es wird Zeit in Anspruch nehmen.«

Ein Zettel löste sich plötzlich und flatterte zu Boden. Ich bückte mich und hob ihn hoch. Ich erkannte sofort die Handschrift von Neo. Darauf waren nur wenige Worte, die mich trotzdem stirnrunzelnd und verwirrt zurückließen. Für Alena. Enttäusche mich nicht. Über unseren Köpfen knallte es plötzlich als die Glühlampe durchbrannte und Dunkelheit uns verschluckte.  

Der Ruf der Verdammten 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt