Kapitel 38

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Winter

Ich wartete bis das Mädchen außer Sichtweite war und brachte dann schnell einen gehörigen Abstand zwischen Forcas und mir. Ich wusste um die Stärke des Dämons und ich wusste, dass er – ähnlich wie Cimeies – ein Dämonenlord war, auch wenn er nicht so aussah. Ich durfte ihn nicht unterschätzen, denn das würde meinen ziemlich sicheren Tod bedeuten.

Forcas musterte mich milde interessiert und machte keinerlei Anstalten mich anzugreifen. Stattdessen hockte er sich auf einen zerbrochenen Torboten und baumelte mit seinen Füßen. Seine Schlangenaugen behielten mich trotzdem wachsam und aufmerksam im Blick. Ich wusste, dass er mich – aus welchen Gründen auch immer – noch nicht angreifen würde, doch fliehen würde er mich auch nicht lassen.

Forcas legte den Kopf schief und betrachtete mich, als wolle er versuchen mich zu verstehen oder als habe er ein sehr faszinierendes Rätsel vor sich. »Mich überrascht, dass du ohne Cim unterwegs bist. Ich dachte, ihr beiden wäret unzertrennlich?«

Ich konnte mich täuschen, doch ich meinte einen Hauch Verbitterung und Eifersucht in der Stimme des Dämons zu hören und meine Gedanken schweiften sofort zu dem, was Cim mir über seine und Forcas' Vergangenheit erzählt hatte. War... der Dämon etwa eifersüchtig? Auf mich? Weil er dachte, dass ich ihm seinen ehemaligen, besten Freund klaute? Oder interpretierte ich da einfach nur zu viel hinein?

»Das geht dich nichts an!«, knurrte ich schließlich und spannte meine Muskeln in Erwartung eines Angriffes an. Doch der kam nicht.

Forcas schnalzte mit seiner Zunge, was allerdings eher zu einem Zischeln wurde aufgrund der gespaltenen Schlangenzunge. »Das ist nicht sehr nett, das weißt du, oder? Immerhin wollte ich lediglich wissen, wo mein alter Freund sich befindet, wenn sein Schützling sich in unmittelbarer Lebensgefahr befindet.«

»Wer sagt, dass ich immer Hilfe von Cim brauche? Ich kann mich ganz gut alleine verteidigen!«

Forcas stand urplötzlich vor mir und grinste mich mit seinen spitzen Zähnen an. Ich hatte nicht einmal wahrgenommen, dass sich der Dämon überhaupt bewegt hatte. »Denkst du das wirklich? Du bist und bleibst ein Siegelträger und so einer kann es nun mal nicht mit einem Dämonenlord aufnehmen. Das letzte Mal hattet ihr Glück, doch damit ist es nun vorbei. Sag Adieu.«

Ich zögerte keine Sekunde und rief mit aller Macht meine Schatten. Es war wie eine dunkle, völlig lautlose Explosion, als die Schatten meinem Ruf antworteten und herbeieilten um mich zu schützen. Forcas sprang einige Meter nach hinten um den scharfen Schatten-Splittern zu entgehen und betrachtete meinen dunklen Schutzschild mit einem leichten Stirnrunzeln. Vermutlich hatte er mit weniger Gegenwehr gerechnet.

Doch ich hatte nicht vor, es dem Dämon leicht zu machen. Ich riss die Hand mit meinem Siegel nach vorne und die Schatten folgten meinem Befehl und formten sich zu langen Dolchen, die sich auf den Dämon stürzten. Forcas schien seine anfängliche Überraschung überwunden zu haben, denn seine gezackte Dämonenklinge fuhr blitzschnell durch die Luft und durchtrennte meine Schatten, die sich zu harmlosen Rauchfetzen auflösten.

Der Dämon stürzte auf mich zu, doch ich schoss meine Schatten in den Boden und ließ scharfe Schatten-Pfähle hervorschießen. Forcas sprang mehrere Meter in die Luft, doch er war einen Hauch zu langsam. Die Spitze eines der Pfähle streifte sein Bein und ein paar Tropfen purpurrotes Dämonenblut fielen zu Boden.

Doch anstatt das beunruhigend zu finden, warf Forcas den Kopf zurück und lachte ausgiebig. »Ich hätte niemals erwartet, dass jemand, der so unter meinem Niveau ist, mir eine Wunde zufügen könnte! Du bist gut, meine Liebe!«

Leichtfüßig tänzelte er auf mich zu und ich hob meine Klinge um seinen Angriff abzuwehren. Doch Forcas bewegte seine eigene Klinge so geschickt und schnell, dass ich dem Dämon nichts entgegenzusetzen hatte. In hohem Bogen flog meine Klinge durch die Luft, funkelte noch einmal in den Flammen des Feuers auf und rutschte dann unter ein kaputtes Möbelstück. Ich erstarrte und versuchte verzweifelt meine Schatten oder meine Blutmagie zu rufen, doch ich war viel zu langsam.

Forcas schmetterte mich mit aller Wucht gegen eine Wand. Ich spürte, dass mehrere Rippen zu Bruch gingen und unter der Wucht sich Risse in der Wand zeigten. Schmerz zuckte durch meinen Rücken, meinen Kopf und für einen Moment tanzen vor meinen Augen schwarze Flecken. Doch ich driftete nicht in die Bewusstlosigkeit ab, sondern kämpfte darum, das Bewusstsein zu behalten.

Direkt vor mir war Forcas' Gesicht. Aus dieser Nähe hatte ich den Dämon bisher noch nie gesehen. Der Griff um meinen Hals lockerte sich ein wenig – nicht viel, aber gerade so viel, dass er mich nicht erwürgte. Gierig schnappte ich nach Luft, sog sie tief in meine Lungen ein. Die flackernden Punkte verblassten und verschwanden schließlich vollständig.

Forcas' Gesicht war nur wenige Zentimeter von meinem eigenen entfernt. Ich konnte seine gelbgrünen Schlangenaugen mit der geschlitzten Pupille sehen. Seine Haut war totenblass und wirkte schon fast silbrig schimmernd. Die zerzausten, feuerroten Haare fielen ihm in die Stirn und ließen die Farbe des Feuers um uns herum schon fast verblassen.

Als er den Mund öffnete und sprach, konnte ich einen guten Blick auf die gespaltene, schlangenähnliche Zunge und die spitzen Haifischzähne erhaschen. »Weißt du... ich habe Gefallen an dir gefunden, kleine Unsterbliche. Ich denke... ich gebe dir noch eine letzte Chance.«

Die Schlangenaugen fixierten mich wie ihre Beute und der Dämon grinste verschlagen, während seine Zunge durch die Luft zischelte. Ich war mir nicht sicher, ob er meine Angst und meine Panik riechen konnte – doch ihm zuzutrauen wäre es auf jeden Fall. »Werde meine Verbündete und hilf mir Cimeies endgültig umzubringen! Dann darfst du auch das neue Zeitalter der Dämonen erleben und zwar gleichberechtigt mit uns! Was sagst du dazu, meine Liebe?«

Anhand seines fanatischen Tonfalls, wusste ich, dass er sein Angebot für unschlagbar hielt. Dass es in seiner Welt keine Möglichkeit geben könnte, dass ich es ablehnen würde. Doch Forcas verstand nicht, wie Freundschaft funktionierte. Oder Loyalität. Er verstand nicht, dass das Band, dass mich an Cimeies band, nicht nur magischer Natur war. Es war etwas, mit dem sich Dämonen offenbar schwer taten – wenn ich so die Reaktionen von Lucifer, Cimeies und jetzt auch Forcas – sah. Cimeies hatte es gelernt, aber er hatte auch eine ziemlich lange Zeit unter Menschen – und vor allem unter uns – verbracht. Doch Forcas fehlte diese Erfahrungen komplett.

»Ich verzichte.«, sagte ich schließlich schlicht und in dem Wissen, dass das meinen Tod bedeuten konnte. Aber einen einzigen Trumpf hatte ich noch in meinem Ärmel. Und es war Zeit ihn auszuspielen.

»Sicher? Das würde bedeuten, dass ich dich jetzt töte.«, vergewisserte sich Forcas mit fröhlichem Gesicht und morbider Vorfreude.

Ich antwortete nicht, sondern schloss meine Hand fest um den Griff des silbernen Messers, dass noch unter meinem Mantel verborgen war. So schnell ich konnte, zog ich es heraus und rammte es Forcas ins linke Auge.

Der Dämon heulte vor Wut und Schmerz auf. Er ließ mich los, um seine Hände um das Messer in seinem Auge zu legen. Ich wusste, dass ihn das niemals töten könnte, es war lediglich eine Ablenkung – und damit alles, was ich brauchte.

Ich hechtete zu meiner Dämonenklinge, die unter einen zerstörten Tisch gerutscht war. Meine Hand hatte sich kaum um den Griff geschlossen, als ich auch schon die Schritte des vor Wut rasenden Dämons hinter mir hörte.

Ich wirbelte herum und stach zu. Die schwarze Klinge drang tief in die linke Brust des Dämons ein und trat am Rücken wieder hervor. Sie glitt durch Haut, Muskeln und Fleisch wie Butter. Purpurrotes Dämonenblut floss aus der Wunde, doch es war überraschend wenig.

Meine Augen trafen die von Forcas, der überrascht und fassungslos wirkte. Er öffnete den Mund und Blut strömte über seine Lippen, tropfte auf meine Hand, die noch immer meine Dämonenklinge fest umklammerte. »Das... ist... unmöglich... Kein... Mensch... kann... töten...«

Ich taumelte zurück, die Klinge glitt aus dem Dämon, der zu Boden fiel. Doch seine Augen waren noch immer auf mich gerichtet. Mit noch schwächerer Stimme flüsterte er: »Wollte... einmal... haben... was... Cim... hatte... nur.... einmal...«

Das Licht in seinen Schlangenaugen erlosch und er kippte auf den Rücken. Für einen Herzschlag blieb sein Körper auf den Boden liegen, dann zerstob er zu Staub, der von einem Windhauch hochgewirbelt wurde und ins Nichts einging. Ich hatte Forcas getötet. Endgültig und unwiderruflich und damit seine Seele ausgelöscht.  

Der Ruf der Verdammten 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt