Winter
Verbissen stapfte ich durch den Schnee. Meine Kleidung war schon seit langer Zeit durchnässt vom Schnee und klamm vor Kälte. Meine Haut war so gefühllos geworden, dass ich das kalte, eisige Stechen nicht mehr wahrnahm. Die Muskeln in meinen Beinen protestierten, während ich mich weiter durch den kniehohen Schnee kämpfte. Von meinen schwarzen Haaren hingen Eiskristalle und meine Finger fühlten sich eiskalt und taub an. Ich wusste nicht, wie es mit Erfrierungen und meiner Unsterblichkeit aussah, doch das würde ich bald herausfinden.
Das einzige gute an der Kälte war, dass sie den Schmerz meiner Wunden betäubte. Allgemein spürte ich nicht mehr viel, ich lief wie auf Autopilot. Einfach immer einen Schritt vor den anderen setzen. Nicht auf die Kälte achten. Nicht auf die gefrierende Nässe meiner Klamotten. Nicht auf den schneidenden Wind, er an mir zerrte. Nicht auf die Schmerzen meiner überanspruchten Muskeln. Nicht auf den Hunger und den Durst, die in mir brannten. Nicht auf die Gedanken, die mir zuflüsterten, dass all meine Gefährten vermutlich schon tot waren.
Einfach nur immer weiter. Zu dieser beschissenen, heiligen Quelle. Drei Tagesmärsche, hatte Lucifer gesagt. Doch das war der Zeitraum, wenn man sich ausruhte und Pausen machte. Ich hatte das nicht vor. Ich war fest entschlossen alles aus meinem unsterblichen Körper herauszuholen. So konnte ich bestimmt mindestens einen Tag gut machen. Zumindest hoffte ich das.
Ich wusste nicht, woher ich die Kraft nahm. Vielleicht lag es daran, dass meine Kräfte als Dunkle mit den immer länger werdenden Nächten zunahm. Oder ich war wirklich und wahrhaftig dabei die Grenzen meines unsterblichen Körpers zu testen. Oder aber es war die pure Verzweiflung, die mich vorantrieb.
So oder so kämpfte ich mich durch den Schnee und stemmte mich gegen den unerbittlichen Sturm, der mich davon abhalten wollte weiter voranzuschreiten. Die Landschaft um mich herum änderte sie nie – sie war lediglich unter einer weißen Schneeschicht verschwunden und sah somit eintönig und identisch zu der Landschaft vor einer Stunde aus.
Trotzdem wusste ich, dass ich auf dem richtigen Weg war. Der Wind schien es mir zuzuflüstern, auch wenn ich seine Sprache nicht sprach. Sobald ich ein wenig von meinem Weg abkam, schien er stärker um mich herumzuwirbeln und an mir zu zerren, bis ich mich wieder auf meinen ursprünglichen Pfad begeben hatte.
Ich trat einen Schritt nach vorne und plötzlich gab mein Bein unter mir nach. Wie in Zeitlupe fiel ich zu Boden und direkt in eine weiche, kalte Schneewehe. Ich konnte spüren, wie die Kälte auch noch den letzten Rest meines Körpers und meiner Kleidung vereinnahmte und sich tief in mein Inneres grub. Doch ich schloss einfach die Augen und stellte mir vor, dass ich auf einer weichen, flaumigen Wolke lag. Weit weg von allen Problemen... allen Verpflichtungen... aller Verantwortung... Es fühlte sich herrlich an. Es fühlte sich nicht wirklich an.
Ich seufzte. Ich wusste, was die Wahrheit war. Ich konnte mich nicht selbst belügen. Das Leben war hart und nicht immer fair – manchmal musste man kämpfen um an sein Ziel zu gelangen. Man musste Schmerzen und Demütigungen ertragen, musste weitermachen, auch wenn es sich so anfühlte als hätte man keine Kraft mehr. Und erst dann konnte man realisieren, dass man am Leben war und etwas aus eigener Kraft geschafft hatte. Meine Geschichte war hier noch nicht vorbei, das fühlte ich.
Also rollte ich mich mit aller Kraft, die ich noch aufbringen konnte, auf den Bauch. Mit den Armen stützte ich mich ab und drückte mich hoch, obwohl jeder Muskel und jeder Nerv in meinen Körper dagegen protestierte. Langsam... sehr langsam kam ich wieder hoch und stand schließlich schwankend auf den Beinen.
Ich atmete schwer und wusste, dass ich nicht mehr lange durchhalten würde... Ich war am Ende meiner Kräfte, mehr war selbst mit meinem Willen nicht mehr zu machen... Ich spürte, wie eine einzige, heiße Träne über meine Wange rann. Ich wollte nicht versagen... wollte nicht aufgeben müssen... Ich wollte diese Welt nicht zum Untergang verdammen. Doch... ich konnte einfach nicht mehr.
DU LIEST GERADE
Der Ruf der Verdammten 2
Fantasy[Band 2: Spoiler zu Band 1 Das Flüstern der Toten!] Cimeies lehnte sich an die Wand und verschränkte mit einem Grinsen und verschmitzt funkelnden Augen die Arme. »Lass mich dir von Unsterblichen zu Unsterblichen einen Rat geben... Das Leben wird int...