Kapitel 31

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Winter

Ich hatte es in der Hölle nicht bemerkt, doch ohne unser Wissen schien im Diesseits der Winter eingekehrt zu sein, während wir in der Hölle gewesen waren. Die Welt war unter einen weißen Schneeschicht verschwunden und vom Himmel fielen große, weiße Schneeflocken, die mich unwillkürlich überlegen ließen wie lange wir unten in der Hölle gewesen waren.

Der Weg hinauf war eigentlich recht einfach gewesen, denn offenbar hütete Lucifer in seinem Schloss ein privates Portal, dass uns mühelos wieder zurück ins Diesseits gebracht hatte. Wir hatten einstimmig beschlossen, dass es Zeit war – wir hatten schon genug Zeit in der Hölle verloren und jetzt, da Lucifer... an unserer Seite war, gab es eigentlich keinen Grund mehr noch länger in der Hölle zu bleiben.

Gwen und Lian waren ähnlich fassungslos wie ich gewesen, als sie erfahren hatten, was Leander getan hatte. Doch sie nahmen es bei weitem besser als ich auf, die noch immer schlecht auf den Lucifer/Leander Typen zu sprechen war.

Ich... fühlte mich verletzt, irgendwie. Verletzt, dass er mich nicht in seine Entscheidung miteinbezogen hatte... Nicht mit mir darüber geredet hatte... Und ich war wütend, dass er diese Entscheidung getroffen hatte, ohne darüber mit uns zu sprechen. Ich... wusste selbst nicht genau, wieso mich das so fertig machte, denn eigentlich wusste ich, dass das Leanders Entscheidung gewesen war, woran mich Lian auch mehr als einmal erinnert hatte.

Nun, alles in allem konnte man sagen, dass die Stimmung in unserer Gruppe... angespannt war. Um es freundlich und entschärft zu sagen. Denn eigentlich fühlte ich mich wie jemand der gerade mit hoch explosiven Sprengstoff arbeitete. Neben einer Tankstelle.

Doch all diese Sorgen wirkten mit einem Mal klein, als ich mich umsah und die ruhige, schneeweiße Landschaft betrachtete. Der Schnee funkelte und schimmerte im kräftigen Licht des Vollmonds und hüllte die Nacht in Helligkeit. Es war nichts zu hören, der Schnee schien alle Geräusche zu schlucken und über allem eine stille Decke zu breiten. Die sanften Flocken fielen vom Himmel und blieben auf meinem Haar, meiner Kleidung und meinen Händen hängen. Die Luft war so klar und frisch wie schon lange nicht mehr, sodass ich tief einatmete.

Unwillkürlich lächelte ich beim Anblick des Winters, der diese Welt erobert hatte. Der Winter passte in mehr als einer Hinsicht zu den Dunklen. Es war nicht nur die dunkle Jahreszeit, sondern auch die Stille und die Jahreszeit, die den Tod verkörperte bis im Frühling neues Leben wiederkehrte. Es war eine Jahreszeit der Stille und der Regeneration, eine Jahreszeit, in der man sich der Sterblichkeit und Endlichkeit des Lebens bewusst wurde. Und der Dunkelheit, die immerwährend und in jedem von uns steckte. Ja, es war wirklich kein Wunder, dass die Kräfte der Dunklen im Winter wuchsen.

»Nun... wie sieht der Plan aus, nachdem wir wieder hier sind?«, durchbrach Lian die schon fast andächtige Stille des Winters.

Ich runzelte ein wenig pikiert die Stirn, sagte allerdings nichts. Er hatte ja recht, wir durften keine Zeit verlieren. Auch wenn die Winterlandschaft noch so schön war... Wir hatten nicht wirklich Zeit, um sie zu genießen, wenn wir nicht wollten, dass das der letzte Winter war, den wir alle erlebten.

Alle blickten sich an, keiner sprach und offenbar war sich auch keiner sicher, wem die Frage galt. Es war immer eine unausgesprochene Vereinbarung gewesen – in der Hauptstadt der Dunklen hatte Lian das Kommando. In der Hauptstadt der Hellen, Leander. In der Hölle hatte Cimeies das Kommando gehabt und im Haus von Neo, ich.

Jetzt... mit einem Höllenkönig in unseren Reihen und dem Ansatz eines Plans und mitten im Niemandsland... wusste keiner so recht, wer unsere nächsten Schritte bestimmen sollte. Oder was unsere nächsten Schritte überhaupt sein sollten. Nach ein paar Blickwechseln, richteten sich die Blicke schließlich auf Lucifer, der offenbar aktuell die Kontrolle über Leanders Körper hatte.

Der Ruf der Verdammten 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt