Kapitel 47

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Winter

Ich stürzte zu dem Hellen und übergoss ihn mit Weihwasser. Dann warf ich die Kräuter, die mir Lucifer gegeben hatte auf ihn und umklammerte seine Hand. »Komm zu mir zurück!«, bat ich den Hellen eindringlich. Tränen liefen mir über das Gesicht, während ich spüren konnte wie seine Seele langsam aus seinem Körper entwich und weiter ging. Ins Elysium einging, das mir auf ewig verwehrt bleiben würde...

»Leander...«, wisperte ich verzweifelt. Nur am Rande nahm ich wahr, dass sich um uns herum immer mehr Leute sammelten. Lian wurde von Cimeies gestützt, da er sich noch kaum auf den Beinen halten konnte. Kronprinz Cyrus kniete sich neben mir nieder und ergriff die andere Hand seines Bruders. König Silas ließ sich am Kopf von Leander nieder. Gwen blieb bei Lian und Cimeies, ebenso Königin Isra.

Helle und Dunkle gleichermaßen bildeten einen Kreis um den Körper von Leander, der langsam abzukühlen schien, während der Himmel seine Schleusen öffnete und uns mit Regen übergoss, als würde die Welt selbst um den Hellen weinen, der sein Leben für diese Welt und die Hellen und Dunklen gegeben hatte.

Ich wusste nicht, wie lange wir alle so im Regen verharrten, die Köpfe andächtig gesenkt und schweigend bis auf das Prasseln des Regens auf dem Boden. König Silas durchbrach schließlich die Stille. Er kam mit wenigen Schritten zu mir und legte mir – nach kurzem Zögern – eine Hand auf die Schulter. »Er ist fort. Wir alle... müssen die Schäden an unseren Städten reparieren und unsere Toten beerdigen...«

Der König der Hellen zögerte sichtlich, sein Blick wanderte von mir zu Lian, über Cimeies und Gwen. »Ich werde euch eine Nachricht schicken, wann die Beisetzung von Leander ist. Ihr seid alle herzlich dazu eingeladen.«

Mechanisch nickte ich, während ich es noch immer nicht fassen konnte. Ich fühlte mich leer und wie betäubt, während ich ungläubig auf den Leichnam von Leander sah, der von mehreren Hellen hochgehoben wurde.

»Wir gehen nach Hause!«, erklärte König Silas und die Hellen machten sich auf ihre Toten einzusammeln und sich zurück auf den Weg nach Brightlight zumachen.

Gwen trat zu mir heran, an ihrer Seite Kronprinz Cyrus, dessen Augen gerötet waren. »Ich gehe mit ihnen.«, flüsterte sie leise. »Ich... ich glaube, dass da... mein Platz ist...«

Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Ich verstehe. Pass auf dich auf. Wir werden uns sicher wieder sehen.«

»Ihr auch auf euch.«, meinte Gwen und lächelte uns alle nacheinander an. Sie schloss sich dem Tross aus Hellen an, deren weiße Kleidung von Blut und Schlamm verschmiert waren und eher geschlagen, denn siegreich wirkten. Doch – obwohl die Kleidung der Dunklen nichts von dem Blut und dem Schlamm zeigten – wirkten auch sie nicht wie die Sieger. Denn immerhin hatten sie ihren König verloren. Und ihr Kronprinz war schwerverletzt. Aber zumindest lebte er.

Mein Blick kreuzte die mondhellen Augen des dunklen Prinzen und Lian streckte mit einem fragenden, zögerlichen Blick seine Hand aus. Hinter ihm sein Volk, seine Leute, die warteten, ebenfalls bereit nach Hause aufzubrechen.

Ich wusste nicht, was er in meinem Gesicht sah, ich hatte keine Ahnung wie ich im Moment aussah. Ich wusste nur, dass ich nicht in der Öffentlichkeit um Leander trauern wollte. Meine Trauer ging niemanden etwas an und ich war mir der neugierigen Blicke von mehreren Dutzend Dunklen durchaus bewusst.

Leander war so viel mehr als nur ein Freund gewesen. Dieses Wort konnte nicht einmal ansatzweise unsere Beziehung beschreiben und die Entwicklung, die wir miteinander durchgemacht hatten. Es fühlte sich an, als wäre ein Teil von mir gestorben.

Zwischen den Dunklen bahnte sich plötzlich eine kleine Gestalt ihren Weg und überrascht erkannte ich Kuro, dessen kindlich-ernstes Gesicht mich anstrahlte. Scheinbar wusste er noch nichts vom Tod seines Vaters, doch diese Nachricht würden ihm andere schonend beibringen. Das war nicht meine Aufgabe.

Der Ruf der Verdammten 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt