Kapitel 35

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Winter

»Wach auf, meine Liebe. Die Welt braucht dich.«, wehte eine warme Stimme durch meinen Traum und weckte mich sanft auf.

Ich blinzelte schlaftrunken und setzte mich auf. Meine Sicht war noch verschwommen und ich rieb mir die Augen um klarer sehen zu können. Ich fühlte mich seltsam ausgeruht und fit und voller Energie und unwillkürlich fragte ich mich ob die Quelle da auch ihren Teil dazu beigetragen hatte. Beziehungsweise die Magie, die die Quelle umgab.

Erst langsam klärte sich meine Sicht und ich nahm die Frau, die vor mir auf den Boden kniete, wahr. Sie trug ein weißes Kleid, dass schimmerte, als wären Sterne darin verwoben. Ihre langen Haare hatten ebenfalls die Farbe von Sternenlicht, während ihre Augen mondhell waren und sogar noch einen Tick heller als Lians Augen.

Ich setzte mich auf, tastete aber nicht nach meinem Messer. Instinktiv wusste ich, dass mir von dieser Frau keinerlei Gefahr drohte. »Wer...?«, begann ich.

Doch ich brach den Satz ab, als die Erinnerungen mich mit einem Mal wie ein Schlag trafen. Ich... erinnerte mich an meinen Tod – meinen zweiten, der zu meiner Unsterblichkeit geführt hatte. Ich konnte förmlich den metallischen Geruch des Blutes schmecken und die feuchte Klebrigkeit, die meine Kleidung durchdrungen hatte, spüren. Ich erinnerte mich daran, wie mein Bewusstsein hinübergeglitten war - in eine Welt, die zwischen den Welten existierte. Ich... erinnerte mich an unser Gespräch, an meine innere Zerrissenheit als ich vor die Wahl gestellt wurde. Weitergehen und sterben? Oder Zurückgehen und unsterblich werden? Und ich erinnerte mich daran, als ich schließlich eine Entscheidung getroffen hatte und in meinem zerschlagen Körper neben meinen Freunden erwacht war. Ich... erinnerte mich an alles.

Ich senkte ehrerbietig den Kopf. »Hüterin. Es ist lange her.«

Die Hüterin lächelte traurig. »Nicht lange genug, wenn es nach mir ginge. Du hättest dein Leben sorglos leben sollen... Stattdessen bist du in einen Krieg zwischen Licht und Dunkelheit, zwischen Sterblichkeit und Unsterblichkeit geraten.«

Ich zuckte mit den Schultern, eine richtige Erwiderung gab es nicht. Ja, ich war in diesen Krieg geraten, doch das war doch besser als nichts ahnenden den Weltuntergang zu erleben und dabei zu sterben, oder? Vielleicht... nur vielleicht... hatten wir wirklich eine Chance den Untergang zu verhindern.

»Ich weiß, warum du hier bist.«

Sofort richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf die Hüterin. Mir war der Unterton nicht ganz entgangen. »Das... hört sich nach einem 'Aber' an...«

Die Hüterin lächelte mich traurig an. »Du bist wirklich sehr intelligent, meine Liebe. Du hast recht, es gibt ein 'Aber'.«

Ich fühlte mich, als hätte ich einen Riesenklotz Eis geschluckt, der nun in meinem Magen lag. Ich hatte Angst... Angst, dass das alles umsonst gewesen war und wir am Ende trotz unserer Bemühungen versagt hatten. »Und...?«

»Ich kann dir eine Elysienklinge geben. Nur eine.«

Erleichterung durchflutete mich. »Das ist okay, eine reicht aus.«

Doch die Hüterin schüttelte den Kopf. »Du verstehst nicht. Eine Elysienklinge kann nur einmal verwendet werden.«

»Das... das heißt...«

»Du kannst nur einen retten. Die anderen... wenn es schief geht, dann werden ihre Seelen ausgelöscht ohne eine Spur zu hinterlassen.«

Ich schloss für einen Moment die Augen. Ich wusste nicht, ob wir unter diesen Voraussetzungen noch auf die Hilfe von Lucifer zählen konnte, der sich ja partout geweigert hatte, die Seelen der Sterblichen auszulöschen.

Der Ruf der Verdammten 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt