Chapter 11

456 23 1
                                    

Ich rannte zu meinem Auto. Was ich gerade machte? Keine Ahnung.
Iris hatte mich küssen wollen und ich rannte weg. Jetzt, wo der große Moment gekommen war, den ich mir seit Wochen herbeisehnte. Und Charlotte, der Feigling, rannte weg.

Ich sagte mir, dass es daran lag, dass ich ihre Stellung als Dozentin nicht gefährden wolle, dass es sonst Gespött geben würde. Doch ganz tief in mir drinnen wusste ich, dass ich Angst vor Zurückweisung hatte. Ich wusste nicht, ob Iris ihrem Mann noch nachtrauerte. Oder ob sie wirklich etwas für mich empfand.

Frag sie doch!, würde Patricia mir jetzt raten. Doch ich war einfach nicht so wie sie. Tricie war schon immer die gewesen, die uns das Mittagessen bestellt hatte, während ich schweigsam gewartet hatte. Sie hatte mich zu diversen Partys geschleppt. Sie war immer die, die recht haben wollte und die jeder Sache auf den Grund ging. Bestimmt würde sie eine genauso gute Journalistin abgeben wie eine Anwältin oder Richterin später. Nie wäre ich dorthin alleine gegangen. Trotzdem konnte ich mich nicht beklagen. Am Ende des Tages hatte ich immer jede Menge Spaß gehabt.

Ich machte mir einfach zu viele Gedanken. Wäre ich doch nur ein bisschen mehr wie Vanessa. Manchmal tat sie einfach, was sie für richtig hielt und auch wenn es sich später vielleicht als schlechte Idee herausstellte, hatte sie es immerhin ausprobiert. Sie handelte mehr aus dem Bauch heraus. Vielleicht war sie deshalb auch so eine gute Freundin. Oftmals war es  ja auch so, dass man sich mit Menschen umgab, die gerade nicht genau gleich wie man selbst waren.

Lilly war schüchtern. Aber auf eine andere Weise als ich. Von mir dachten die Leute meistens gar nicht, dass ich schüchtern war. Lilly hatte immer schon diese Rolle gehabt und wenn sie dann mit leiser Stimme sagte, dass sie gerne die Entscheidung der anderen abwarte, dann störte das keinen. Bei mir jedoch...

Und dann war da noch Nico. Wenn man etwas mit ihm zusammen unternahm, sammelte man meistens Komplimente. Wie oft hatte ich schon den Spruch Danke für das Kompliment, nicht gebraucht, zurück geschenkt benutzt. Ich wusste es gar nicht mehr. Trotzdem sorgte er immer für eine gute Stimmung.

Und Liv. In letzter Zeit hatte ich nicht so viel Kontakt zu ihr gehabt. Ich wusste von ihr, dass sie bereits Männer und Frauen gedatet hatte und gerne schrieb. Vor ein paar Monaten hatte ich einmal ein Kapitel testgelesen. Sie schrieb wunderschön.

Und ich? Wer war ich für meine Freunde? Ein niemand.

Ich drehte die Musik im Radio auf volle Lautstärke, obwohl ich gar nicht der Typ dafür war. Es lief "lifehouse". Offenbar war mein Handy noch mit meinem Auto gekoppelt gewesen, denn so unbekannte Songs wurden normalerweise nicht gespielt.

And if I fall and crash and burn...
At least we both know that I tried...

Dieser Song sagte gerade mehr als tausend Worte.

Es fing zu regnen an. Als ob der Himmel gewusst hätte, dass jetzt der richtige Moment war. Zusammen mit den Regentropfen au meiner Windschutzscheibe, fielen meine Tränen auf meine Wangen.

An einer roten Ampel blieb ich stehen. Ich sah eine Frau mit Regenschirm über die nasse Straße eilen. Einen Mann, der sich seine Kapuze tiefer ins Gesicht zog. Würde mich auch jemand bemerken, wenn ich jetzt über die nasse Straße ging?
Mein Blick fiel auf einen Häuserblock, in dem im obersten Stockwerk das Licht anging. Dann sah ich wie sich ein Mann und eine Frau leidenschaftlich küssten und daraufhin die Vorhänge zuzogen.

Ich schluckte. Iris saß jetzt wahrscheinlich alleine in der Oper. Was hatte ich nur getan?! Meine Chance war vergangen. Nie würde ich wieder ihre Hand auf meiner Schulter spüren.

Ich wusste, dass sie mich jetzt nicht mehr wollte. Nicht nachdem ich abgehauen war. Ich hatte alles vermasselt.

Irgendwann fuhr ich rechts an die Seite. Vor lauter Tränen konnte ich kaum noch etwas sehen. Ein lauter Schluchzer entfuhr mir.

Ich will dichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt