Die Zeit war wahnsinnig schnell vergangen. Heute war bereits die letzte Stunde bevor ich mein Referat halten würde.
Es war wirklich erstaunlich, dass ich Iris inzwischen ausblenden konnte. Zumindest fast. Dem Unterricht konnte ich folgen und es passierte nur manchmal, dass in meinem Bauch ein Kribbelansturm auf eine ihrer Gesten folgte und ich tief durchatmen musste.
Nur nachts konnte ich sie nicht aus meinen Gedanken verbannen. Vielleicht lag es daran, dass ich dann alleine war. Ich lag oft eine ganze Stunde wach und malte mir aus wie es wäre, neben ihr aufzuwachen, sie zu berühren oder sie zu küssen.Ich war mir durchaus bewusst, dass das keineswegs normal war und ich mir das dringend abgewöhnen musste, doch im Moment funktionierte keine einzige von den von Patricia vorgeschlagenen Methoden.
Ich schlenderte neben Vanessa in den Hörsaal und ich schaffte es, sie dazu zu bewegen, sich mit mir etwas weiter vorne hinzusetzen. Einerseits war das ein bisschen dumm von mir, denn je näher ich Iris war, desto weniger konnte ich ihr widerstehen. Andererseits konnte ich sie so besser und eingehender betrachten.
Wir packten unsere Blöcke aus und warteten. In den letzten beiden Wochen hatten schon mehrere ihr Referat gehalten und es hatte sich schnell herumgesprochen, dass Iris offenbar recht streng bewertete. Doch ich war gar nicht so nervös vor meinem Referat wie ich befürchtet hatte, denn das Thema hatte mich gepackt und ich war bis jetzt ganz zufrieden mit meiner PowerPoint.
Da kam sie in den Raum. Wie immer überflog sie die Reihen. Heute blieb ihr Blick kurz an mir hängen, sodass ich schnell wegsah. Sie sah umwerfend aus. Sie hatte eine Anzugshose und eine hellblaue Bluse an. Die Bluse war recht eng geschnitten und ich scannte mit meinem Blick alle Details.
Doch schon wieder bemerkte sie meinen Blick. Diesmal lächelte ich ein wenig, aber sie zog nur die Augenbrauen zusammen.Als Martin, ein Kommilitone, der heute sein Referat halten würde, sich nach vorne an die Tafel begab, bemerkte ich für einen kurzen Augenblick einen genervten Ausdruck auf Iris Gesicht. Ich wusste, dass Martin manchmal etwas anstrengend sein konnte und konnte sie nur zu gut verstehen.
Als er dann eine riesige Karte ausrollte, auf der er mit wilden Pfeilen seinen "roten Faden" erläutert hatte, presste Iris ihre Lippen zusammen und fuhr sich durch die Haare. Das würde wohl etwas länger dauern. Noch dazu musste Iris ihren Platz an ihrem Pult aufgeben, da Martin dort sein Plakat aufhängen wollte.Vanessa stupste mich an.
"Glaubst du, die setzt sich jetzt zu uns? Wir sind heute auch noch so weit vorne. Sogar die erste Reihe, wenn wir die unbesetzten Bänke weglassen."
"Weiß nicht. Irgendwie kommt sie auf uns zu."
"Och nee. Dann können wir nicht lästern." Vanessa sah mich mit gespielt trauriger Miene an. Sie mochte Martin noch weniger als ich.Iris setzte sich drei Plätze links von mir hin. Mein Herz fing an, zu pochen. So nah und doch so unerreichbar. Dann warf sie mir sogar einen kurzen Blick zu. Sie lächelte leicht und schraubte dann die Kappe von ihrem Stift.
Martin begann sein Referat und immer wieder schielte ich zu Iris, die sich fortlaufend Notizen machte. Wie konnte sie das nur durchhalten, nicht abzuschalten bei der monotonen Stimme?
Ich versuchte, zu erkennen, was sie schrieb.
Doch ich konnte nicht sehr viel entziffern. Sie verwendete einige Abkürzungen und Symbole. Meinen Blick wendete ich trotzdem nicht ab. Jetzt konnte ich ihr Gesicht einmal näher betrachten. Ich meine, dass ihre Augen eine Mischung aus blau und grau waren. Sie trug eindeutig Makeup, aber nicht zu viel, sodass es noch natürlich aussah.
Ich freute mich, dass ich eine Gemeinsamkeit zwischen uns entdeckt hatte, denn wie es schien, zupfte sie ebenfalls ab und zu an ihrer Augenbraue, wenn sie sich konzentrieren wollte. Das war ein Tick von mir, den ich mir schon lange hatte abgewöhnen wollen.Auf einmal bemerkte ich, dass der Deckel ihres Stifts zu rollen anfing und sich zum Ende des Tisches hin bewegte. Sie musste wohl mit ihrem Ellenbogen daran gestoßen sein.
Schnell überlegte ich. Sollte ich ihn auffangen? Ja.
DU LIEST GERADE
Ich will dich
RomanceCharlotte studiert Literatur in München. Iris unterrichtet an der gleichen Uni. Als sie aufeinandertreffen und Charlotte bemerkt, dass Iris die Frau ist, die sie vor ein paar Jahren im Urlaub getroffen hat und die sie seit dem nicht mehr vergessen k...