𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟏𝟓 - 𝐝𝐞𝐥𝐢𝐚

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(Dankeee für die 100 reads und die ganzen Votes 😊🧡
Und sorry, dass es in diesem Kapitel nicht allzu sehr um Delia und May an sich, sondern eher Delia als einzelne Person geht... Das wird sich in den nächsten zwei-drei Kapiteln auf jeden Fall ändern 👀)

Am nächsten Morgen bin ich verhältnismäßig früh wach. Die Uhr auf meinem Handy, welches ich über Nacht aufgeladen habe, zeigt 7:39 Uhr. Es ist sogar möglich, dass meine Mutter nicht einmal wach ist, denke ich und muss mich ungewollt an den gestrigen Abend erinnern. Nachdem ich hier nämlich um 21:19 Uhr, also für meine Mutter etwa neunzehn Minuten zu spät aufgetaucht bin, habe ich schon einige Ermahnungen über mich ergehen lassen. Und als ich ihr erzählt habe, dass mein Handy leer sei, habe ich dann nochmal richtig Ärger bekommen. Ich kann es verstehen, denn immerhin würde ich meine Kinder auch nicht abends, wenn es immer dunkler wird, ohne eine Möglichkeit, im Notfall nach Hilfe zu rufen an einem See herumlaufen lassen. Die andere Seite meines Gehirns sagt mir in dem Moment allerdings genau das Gegenteil. Und zwar, dass die Fläche mit den paar Hütten zwar groß und weitläufig ist, es sicherlich auch ein paar potenzielle Gefahren gibt, aber dass niemand wirklich zu Schaden kommen würde. Trotzdem hat meine Mutter mir am vorherigen Abend alle möglichen Szenarien aufgezählt, die passieren könnten, wenn ich mich abends oder nachts ohne Handy hier herumtreiben könnte. Ich habe ihr zugehört, denn komplett verdenken konnte ich ihr ihre Angst auch nicht. Trotzdem dachte ich nebenbei immer und immer wieder denselben Gedanken. Wenn meine Mutter nur wüsste; wenn sie nur wüsste, dass ich die ganze Zeit über bei einer friedlichen, freundlichen Person gewesen bin, bei der ich mich irgendwie sicher fühle. Gleichzeitig aber weiß ich auch, dass sie daran direkt auch etwas zu kritisieren hätte. Sie würde denken, ich hätte mich in May, die sicherlich fast doppelt so alt ist, wie ich verliebt. Und in dem Moment, in dem ich daran denke, bin ich mir auch gar nicht mehr so sicher, ob es nicht vielleicht wirklich so ist.
Nach diesen Gedanken bin ich dann endgültig wach und stehe auf. Draußen ist es bereits ziemlich hell und ich kann mir vorstellen, dass ich nicht die einzige im Haus bin, die wach ist. Und als ich durch meine Zimmertür gehe und meine Mutter entdecke, die am Esstisch sitzt, fühle ich mich in meiner Vermutung bestätigt.
"Guten Morgen...", begrüße ich meine Mutter und setze mich ebenfalls an den Tisch. Meine Mutter sieht mich über den Rand ihrer Lesebrille, die sie fast immerzu trägt an und fängt an, zu reden.
-"Ich dachte nicht, dass du jetzt schon wach bist...", meint sie mit monotoner Stimme. Ich zucke mit den Schultern, antworte einfach nur: "Doch... Ich bin ja um kurz vor Mitternacht schlafen gegangen", bevor ich nach einer der weißen Tassen am Ende des Tisches greife. Mitten auf der Tischplatte steht eine Kaffeekanne und auch, wenn ich weiß, dass ich von Kaffee ziemlich aufgedreht werden, schenke ich mir ein bisschen aus dieser in meine Tasse ein.
Die Gespräche zwischen meiner Mutter und mir während des Frühstücks sind langweilig und trocken wie immer. Sie erzählt, dass sie ihr Buch zu Ende gelesen hat und am Nachmittag mit dem Auto in die Stadt fahren wird, um für die Woche einzukaufen. Und bevor sie es vergisst, zählt sie mir noch die Regeln auf, die ich befolgen muss, während sie wegbleibt. Ich muss alle Fenster und Türen schließen, darf den Schlüssel auf keinen Fall verlieren und sollte am besten in der Nähe der Hütte bleiben. Ich weiß nicht, ob meine Mutter so paranoid ist, zu denken, dass jemand in unsere Hütte einbrechen könnte, aber hinterfragen tue ich das auch nicht. Ja, man sollte vorsichtig sein, aber meine Mutter erscheint mir fast ein bisschen zu übertrieben, was das betrifft. Aber würde ich sie darauf ansprechen, würde sie mir nur sagen, dass ich ihre Sorge noch nicht verstehen würde, weil ich nur eine Jugendliche mit pubertärem Leichtsinn im Kopf sei. Gleichzeitig aber erwartet sie ständig von mir, mich möglichst erwachsen zu benehmen und ernster zu denken. Manchmal verstehe ich gar nicht, was sie wirklich von mir will, denke ich ein wenig genervt und verzweifelt und muss seufzen, während meine Mutter aufsteht und sich auf den Weg zum Badezimmer macht.
Eine halbe Stunde später sitze ich alleine zu Hause. Nachdem ich im Badezimmer war und danach vor dem Spiegel im Wohnzimmer meine Haare zu einem hohen Zopf gebunden habe, sitze ich in meinem Zimmer auf dem kleinen Einzelbett mit der weißen Bettwäsche. Die Wettervorhersage auf meinem Handy zeigt, dass es zur Mittagszeit über 30 Grad warm werden soll. Schon jetzt, um kurz nach neun Uhr morgens ist es ziemlich heiß und ich entschließe mich dazu, meine lange Jogginghose, die ich zum Schlafen getragen habe, gegen eine Jeansshorts zu wechseln. Ein wenig langweilt es mich, im Haus zu sitzen und dieses hüten zu müssen, während meine Mutter in der nächsten Stadt einkaufen ist. Und ich mache mir bewusst, dass ich gerade lieber bei May sein würde, als mit meinem Handy alleine in meinem Zimmer zu sitzen. Fast überlege ich, meiner Mutter zu schreiben, dass ich den Zweitschlüssel für die Hütte mitnehme und zwei oder drei Stunden spazieren gehen werde, aber ich lasse es. Sie würde sowieso nein sagen, überzeuge ich mich selber und seufze. Ich sehe wieder auf mein Handy und muss daran denken, dass ich vor kaum zwei Monaten Geburtstag gehabt habe und mein Vater mir nicht geschrieben hat, als hätte er es vergessen. Es wäre nicht niederschmetternd für mich, wenn es so wäre, allerdings würde es meiner Mutter noch mehr Recht darin geben, dass er ein Arschloch ist und wir ihn aus unserem Leben ausradieren sollten. Ich starre auf die letzte Nachricht, die er mir geschrieben hat. Das war am Neujahrstag um 00:02 Uhr. »Frohes Neues, Delia«, hat er mir geschrieben und ich habe mit »Danke, dir auch, Dad...« geantwortet. Danach hat es nie wieder irgendeine Art von Kommunikation gegeben. Und ich erinnere mich daran, dass meine Mutter mir in den letzten Monaten immer häufiger erzählte, was für ein verlogener Mensch mein Vater doch sei und dass er schon immer seltsam und unaufrichtig war. Zudem hat meine Mutter mir schon mehrmals die Theorie aufgetischt, dass mein Vater schon Monate bis Jahre vor der offiziellen Trennung mit seiner jetzigen Frau zusammen war und meine Mutter somit eine lange Zeit über betrogen hat. Ich weiß immer noch nicht, ob ich dieser Theorie Glauben schenken soll und die Gedanken daran bereiten mir Kopfschmerzen. So auch in diesem Moment. Ich lege mein Handy zur Seite und starre an die hölzerne Zimmerdecke, während von draußen die heiße Sonne durch das Fenster scheint.
Einige Zeit später sehe ich wieder an die Decke. "Shit...", fluche ich, als ich bemerkt habe, dass ich eingeschlafen bin und nicht weiß, für wie lange ich weg war. Hektisch sehe ich auf mein Handy. 12:42 Uhr ist es und laut der Wetter-App herrschen draußen 32 Grad. Langsam stehe ich aus meinem Bett auf, bemerke erst dann die Hitze, die in meinem Zimmer steht, wodurch ich das Fenster in öffne, um ein wenig Luft hineinzulassen. Aber dass auch dies nichts bringt, merke ich ebenfalls schnell, weswegen ich mit meinem Handy in der Hand das kleine Zimmer verlasse und den größeren, luftigeren Raum mit dem Wohnzimmer und der Küche betrete. Dort entdecke ich bereits nach wenigen Sekunden mehrere Einkaufstüten auf dem Esstisch und meine Mutter, die die Einkäufe im Kühlschrank und auf der Arbeitsplatte der kleinen Küchenzeile verstaut.
-"Delia, du kannst mir mal bitte helfen", weist meine Mutter mich an und ich bin das erste Mal froh darüber, irgendwas zu tun. Schließlich ist mir zunehmend langweilig und viel zu warm geworden, als ich alleine in meinem Zimmer gesessen habe. Also packe ich alles Mögliche in den Kühlschrank und setze mich schließlich mit einer Flasche kühlem Wasser auf das graue Sofa. Es ist viel zu warm, um irgendetwas zu tun, oder nachzudenken, stelle ich fest und starre an die hölzerne Wand mir gegenüber. Dennoch beschließe ich, früher oder später am Tag nach draußen zu gehen und einfach zu hoffen, May zu begegnen. Schließlich habe ich nichts, wodurch ich mit ihr kommunizieren könnte, wo, wann und ob wir uns wiedersehen. Ich habe nichts von ihr. Keine Nummer oder einen sonstigen Kontakt. Das einzige, worauf ich wirklich vertrauen kann, ist meine Intuition und manchmal bin ich mir unsicher, ob vielleicht auch diese mich irgendwann täuschen wird.
Um kurz nach vierzehn Uhr und einer Ansage meiner Mutter, dass ich mich doch bitte mit Sonnencreme eincremen solle, wenn ich rausgehe, betrete ich die kleine Terrasse vor der Tür unserer Hütte. Meiner Mutter habe ich gesagt, dass ich zwei oder drei Stunden lang unterwegs sein werde. Spazieren oder einfach irgendwo am See. Und nachdem sie mir gesagt hat, dass es in Ordnung sei und ich ihr nur Bescheid sagen solle, sollte ich schwimmen gehen wollen, bin ich einfach vor die Tür gegangen. Dort spüre ich direkt die pralle Sonne auf allen Stellen meiner Haut, die nicht von meinem hellblauen T-Shirt oder meiner kurzen Jeanshose bedeckt sind. Und ich bin schon nach weniger als einer Minute froh darüber, auf die Worte meiner Mutter gehört und meinen gesamten Körper mit Sonnencreme bedeckt zu haben. Es ist mir sowieso egal, ob ich braun werde oder nicht, da mir dies schon die letzten Jahre über nicht mehr passiert ist. Das letzte Mal ist es gewesen, als ich das letzte Mal mit meinen beiden Eltern hier am See war. Ich bin fast den ganzen Tag über draußen gewesen, war sogar mit den anderen Kindern, die auch dort waren unterwegs. Und abends habe ich immer mit meinem Vater am Steg gesessen und wir haben in den Sternenhimmel geschaut und darüber geredet, wie weit die Erde doch von dem Rest des Universums entfernt ist. In dem Moment schweifen meine Gedanken wieder ohne einen wirklichen Zusammenhang zu May ab und ich setze mich in Bewegung.

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