𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟑𝟖 - 𝐦𝐚𝐲

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(DANKE DANKE DANKE FÜR DIE 1K🙏🏼💗 Ich hätte niemals gedacht, dass diese Geschichte eines Tages so "groß" wird 😅💗)

Nachdem Delia gegangen ist, ist es mir nahezu unmöglich gewesen, wieder in mein Bett zu gehen und weiter zu schlafen. Auch wenn diese Entscheidung im Nachhinein gar nicht einmal so schlecht gewesen wäre. Denn in den letzten Nächten hat es bei mir an Schlaf gemangelt und nun, wo mir aufgrund meines wenigen Schlafes diese Nacht ein wenig schwummrig ist, bereue ich es, wach geblieben zu sein. Meine Gedanken drehen sich nur noch um Delia, fast nichts anderes mehr kommt in meinem Kopf vor. Ich frage mich, wie ihre Mutter reagiert hat, ob sie Verdacht geschöpft hat und generell frage ich mich, wie es Delia geht. Schließlich ist die Tatsache, dass sie sich bei mir vollkommen sicher und geborgen fühlt, nicht zu übersehen. Für mich zumindest nicht. Und durch das, was ich von Delia über ihre Mutter mitbekommen habe, denke ich nicht, dass diese ihr besonders herzlich gegenübertritt. Ich habe es die ganze Zeit über unterdrückt, weil ich seit den letzten Wochen und Monaten vor den Sommerferien weiß, wie schlecht es mir tut, aber ich fange an, mir unheimliche Sorgen um Delia zu machen. Dass ihre Mutter ihr etwas antut, körperlich gewalttätig wird, schließe ich eher aus, dennoch habe ich das erdrückende Gefühl, dass es Delia gerade nicht allzu gut geht.
Ich sehe immer wieder auf die Uhr. Erst ist es genau 13:00 Uhr, dann 13:01 Uhr und nach dem zehnten Mal, welches ich zur Uhr gesehen habe, ist es dann auch 13:02 Uhr. Meine Gedanken sind immer noch bei Delia. Mein Herz will mir immer wieder sagen, dass es ihr gerade nicht gut geht, dass sie mich brauchen könnte und dass ihr Herz will, dass ich sie in die Arme nehme. Mein Gehirn hingegen hält sich für konstruktiv und sagt mir, dass alles in Ordnung ist und ich mich nur verrückt mache. Irgendein Gefühl sagt mir dennoch, dass Delia gerade nicht allzu glücklich ist, warum auch immer. Nervös knacke ich mit meinen Handgelenken und sehe mich in meinem Wohnzimmer um. In diesem Moment ist es nahezu unvorstellbar für mich, dass Delia hier noch vor nicht einmal zwanzig Stunden hier geschlafen hat, schließlich spüre ich nichts mehr von ihrer Präsenz und somit nichts mehr von dem Gefühl, welches mich beruhigt und mir irgendwie Sicherheit und Hoffnung gibt, wie sie es nun einmal tut.
Als ich dann wieder auf die Uhr sehe, ist es kaum später als vorher. 13:08 Uhr. Ich habe das Gefühl, mich selbst mit jeder vergehenden Sekunde verrückter zu machen.

Zwei Stunden später sitze ich auf meiner Terrasse und versuche mich, wie die eineinhalb Stunden davor schon, mit einem Buch abzulenken. Wäre kein Sommer und wäre es nicht so extrem warm, dann würde ich mich zum Lesen sicherlich auf mein Sofa zurückziehen, mich in warme und flauschige Decken kuscheln und einen Tee trinken. Aber es ist Sommer, es ist warm und die Sonne, die jetzt um etwa 15:30 Uhr schon etwas tiefer steht, scheint fast direkt in mein Gesicht. Eigentlich mag ich das Gefühl der Sonnenstrahlen auf meiner Haut und eigentlich bringen sie mich immer zum Lächeln, aber meinem Herzen fehlt etwas. Delia fehlt, mit der ich dieses Gefühl teilen könnte, die dabei sein könnte, die jetzt in diesem Moment mit mir unten am Steg sein und in meinen Armen liegen könnte. Ich muss traurig seufzen. Wie gerne würde ich ihr jetzt wenigstens eine Nachricht schreiben und fragen, ob sie Zeit hat, jetzt zu mir zu kommen. Aber unsere Kontaktdaten haben wir nicht voneinander, denn so schön es auch wäre, hat es bis jetzt nie den richtigen Augenblick gegeben, das anzusprechen. Und vor allem jetzt, wo sie schon am nächsten Morgen weg sein wird, tut es noch mehr weh, nicht zu wissen, wie ich sie in Zukunft erreichen könnte. Ich meine, unsere Heimatorte sind laut dem, was ich herausfiltern konnte, nicht weiter als eine Stunde voneinander entfernt, aber sie dort unter mehreren tausend Menschen wiederzufinden, würde nicht einfach werden. Wieder seufze ich, klinge dabei definitiv verzweifelt wegen meiner eigenen Gedanken und Sorgen. Fast fühle ich mich wieder wie vor den Sommerferien. Als ich zwar noch meinen Job an der Schule in der Nähe von meinem Heimatort Stirling hatte, mir es aber zunehmend schlecht ging, mein eigenes Unterrichten und das Vorgehen in der Schule nur zur Hälfte mitbekommen habe, wenn überhaupt. Ich lege mein Buch auf den Tisch und sehe geradeaus auf den See. Das Wasser hat immer noch Gemeinsamkeiten mit Delias wunderschöner Augenfarbe, so glänzend blaugrün wirkt es in dem Moment.
Wenn sich unsere Blicke treffen, muss es wirken wie wunderschönes blaugrünes Meerwasser, welches an der Küste auf das beruhigende Goldbraun der Bernsteine trifft. Dieser Gedanke, den ich dort verfasst habe, klingt fast schon zu poetisch. Trotzdem entspricht er der Wahrheit, zeigt meine Eindrücke der intensiven Augenkontakte mit Delia nur zu gut. Müde lasse ich meinen Kopf sinken, lege ihn auf meinen Unterarmen ab, die ich auf dem Tisch platziert habe. Nicht gerade selten habe ich so gesessen, wenn ich gerade unterrichtet habe und es einfach eine Stillarbeitsphase gab, in der meine Schülerinnen und Schüler mich gekonnt ignorierten. Ich sehe immer noch auf das Wasser, welches sich kaum hundert Meter von meiner Hütte entfernt befindet. Es ist so wunderschön anzusehen, aber dennoch traurig. Für mich jedenfalls, denn der Gedanke an Delia bleibt und leider vermute ich, dass er von Sekunde zu Sekunde stärker wird. Trotzdem erschöpft schließe ich meine Augen und kaum zehn Sekunden später bin ich weg.

-"May?", höre ich eine sanfte Stimme nach meinem Namen fragen und kurz darauf nehme ich wahr, wie jemand meine Terrasse betritt. Ich schrecke hoch, denn eben hatte ich mich noch im Halbschlaf befunden, hatte meine Augen noch geschlossen, bis ich realisiert habe, dass mir die Person die dort spricht ganz nahe ist. Erschrocken erstarre ich für einen Moment, bis ich erkenne, dass es Delia ist, die dort vor mir steht. Ein wenig erleichtert darüber, dass sich niemand daran versuchen wollte, in meine Hütte einzubrechen, aber ebenso fertig von meinem Schreck, fasse ich mir überfordert an den Kopf.
-"May... Sorry, dass ich dich so erschreckt habe... Ich wusste nicht, dass du schläfst...", meint Delia einfach nur ruhig und während bei mir eben noch alles durcheinander war, fokussiert mein Blick nun ihre blaugrünen Augen. Vorsichtig löse ich meine Hände von dem Tisch.
"Ist okay...", murmle ich nur und merke, wie müde ich klinge. Außerdem ist mir ziemlich warm und meine Hände sind schweißnass.
-"May? Ist alles in Ordnung?", hakt Delia schon eine Sekunde später nach, nachdem sie mich intensiv gemustert hat. Ich kann mir nicht erklären, warum, aber diese Frage trifft mich ziemlich, da sich meine Gedanken um fast nichts anderes gedreht haben, als sie und ich deswegen vor geschätzt einer Stunde erschöpft eingeschlafen bin. Am liebsten würde ich sie, diese wunderschöne, liebevolle junge Frau nicht anlügen, doch zu ihrem eigenen Wohl nicke ich und will dazu ansetzen, das Thema zu wechseln.
-"Sicher? Du wirkst irgendwie erschöpft", flüstert Delia nun schon fast und legt ihren Kopf schief. Ich kenne das alles nur viel zu gut von mir selbst. Ich kenne das nachhakende Fragen, wenn es jemanden offensichtlich nicht gut geht, ebenso wie die Geste mit dem Kopf, warum auch immer ich das tue. Generell kommt es mir langsam vor, als wäre sie eine Art Spiegel meiner selbst, wenn auch ein jüngerer, mit einem anderen Aussehen.

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