𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟐𝟒 - 𝐦𝐚𝐲

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(Vielen Vielen Dank für die 500 oder mittlerweile sogar schon 530 reads 🙏🏼✨🧡)

Schon den ganzen Tag über habe ich das schreckliche Gefühl, mich innerlich im Kreis zu drehen. Nicht nur, dass mir schon seit der letzten Nacht immer wieder leicht schwindelig ist, sondern auch, dass sich meine Gedanken im Kreis drehen. Angefangen bei meinem Gefühl, hin zu meinem Burnout, hinzu zu meiner stetigen Sorge um andere Menschen in, damit direkt zu Delia. Bei ihr bleiben meine Gedanken meistens am längsten hängen und teilweise verbringe ich über zehn Minuten damit, mir ihre möglichen Meinungen über mich auszumalen und mir vorzustellen, was sie fühlt, wenn sie mir in die Augen sieht. Denn ich kann in diesen Momenten immer diese zarte Röte auf ihren Wangen erkenne, ihre geweiteten Pupillen und ihren komplett auf mich fixierten Blick. Ohne Bedeutung ist das ganz sicherlich nicht, stelle ich für mich selbst fest und muss lächeln, während mir innerlich ein bisschen wärmer wird, vor allem in der Herzgegend. Auch die Dinge, die Delia zu mir gesagt hat und ihr fast schon entspannter und immer so freundlicher Blick, wenn auch nur die kleinste Form einer körperlichen Berührung zwischen uns stattfindet, sind aussagekräftig.
Es ist kurz nach 15 Uhr, als ich mit dem Buch, welches ich vor wenigen Tagen angefangen habe zu lesen auf dem Sofa in meiner Hütte sitze. Ich gebe zu, dass mir das Lesen ziemlich gut dabei hilft, über meinen Stress und meine negativen und überfordernden Gedanken hinwegzukommen, denn schließlich reicht jedes auch nur ansatzweise gute Buch dafür, um mich in seinen Bann zu ziehen. Die Situation ist beinahe schon perfekt. Denn während der Himmel draußen grau ist und der vermutlich kalte Regen nur so an die Fensterscheiben prasselt, sitze ich in meiner warmen Hütte und das warme Licht einer Lichterkette scheint auf das Papier des Buches.
Erst nach ein paar Seiten, in denen ich komplett aus der echten Welt abgetaucht bin, holt mich ein Gedanke wieder zurück in die reale Welt. Unwillkürlich muss ich an Delia denken. Es verunsichert mich fast schon ein wenig, dass sie mittlerweile beinahe schon jede halbe Stunde Gast in meinen Gedankengängen ist. Ich kann nicht einschätzen, warum, aber etwas gibt mir das Gefühl, dass die junge Frau, an die ich schon den ganzen Tag über hin und wieder gedacht habe, sich gerade auch Gedanken über mich macht. Mir ist klar, dass das nur eine Vermutung meinerseits ist, aber irgendwie bringt diese mich zum Lächeln. Aus diesem und meinem generell ziemlich gedankenverlorenen Starren an die Wand mir gegenüber, finde ich erst wieder hinaus, als es zaghaft an meiner Tür klopft. So vorsichtig, dass ich mit mir selbst in eine Diskussion gehen muss, ob ich es mir vielleicht nur eingebildet habe. Aber nach wenigen Sekunden klopft es ein zweites Mal. Zwar eben so zaghaft, aber länger und klarer, als davor. Langsam lege ich das Buch beiseite und bewege mich auf die Tür zu. Ich kann mir nicht erklären, warum, aber ich erwarte keinesfalls jemand Bösen hinter der Tür, was vielleicht auch dem vorsichtigen Klopfen geschuldet sein dürfte. Trotzdem schlägt mein Herz aufgrund irgendeiner Nervosität deutlich schneller, als ich auf die Tür zugehe und sie langsam öffne. Doch als ich die vollkommen vom Regen durchnässte Person vor meiner Tür identifiziere, fällt diese seltsame Nervosität sofort wieder weg und während mir einerseits warm wird, versetzt mir der Anblick andererseits auch einen kleinen Stich.
"Komm' rein, Delia...", sage ich ihr sofort und schließe die Tür hinter uns. Ihre Kleidung ist ebenso wie ihre langen rotblonden Haare triefend nass. Ich hoffe, dass ich mich in der Art und Weise, wie ich mit ihr umgehe, nicht seltsam anstelle.
-"Danke, May", murmelt Delia einfach nur, während wir mitten in meinem Wohnzimmer stehen und ich den gesamten Körper meines Gegenübers mustere, während ihr Blick wieder ganz allein meinen Augen gilt.
"Ist doch in Ordnung...", flüsterte ich ihr fast unhörbar zu, aber Delia nickt, was mich dazu verleitet, sie anzulächeln. Trotzdem sehe ich nicht nur ihr Gesicht, sondern auch ihre nasse Kleidung und ihre langen Haare, von denen es nur so auf den Fußboden meines Wohnzimmers tropft an. Ich fühle mich schlecht dafür, Delia bestimmt schon eine Minute lang so untätig anzustarren, weswegen ich mich dazu entscheide, etwas zu sagen.
"Du siehst aus, als wäre dir kalt, Delia...", meine ich nur als eine Feststellung und mache eine eher kleine Geste mit meinen Händen, die zeigen soll, dass Delia sich auf mein Sofa setzen kann, was sie einen Moment später, als sie meine Zeichen versteht, auch tut. Ich setze mich mit etwas Abstand rechts neben sie und nachdem wir uns für wenige Sekunden untätig in die Augen sehen, beginne ich wieder ein Gespräch.
"Willst du vielleicht eine Decke haben? Dann ist dir nicht so kalt... Denn ich will nicht, dass du krank wirst"
-"Danke, das wäre wirklich sehr nett". Ihre Stimme klingt auf einmal ziemlich ruhig und fast schon kleinlaut, was ich aber der Kälte schulde, die sich in dem Moment in Delias Körper ausbreiten muss. Schnell greife ich nach meiner flauschigsten Decke, einer weißen aus einem Material, welches mich persönlich immer an das Fell eines Eisbären erinnert. Ohne einen weiteren Kommentar außer ein leises "Hier... Bitte" reiche ich Delia das große Stück weichen Stoff und sofort kuschelt sie sich ziemlich süß in diesen ein. Ich verbiete mir diesen Gedanken nicht einmal, denn so, wie sie die Decke um ihren gesamten Oberkörper schlingt und mich dabei mit einem irgendwie schuldigen Blick ansieht, ist einfach nur ziemlich niedlich. Trotzdem würde mich der Grund für ihr von mir vermutet schuldiges Gefühl schon interessieren, doch in diesem Moment entscheide ich mich dazu, nicht zu fragen und nicht die Therapeutin spielen zu wollen. Denn so gerne, wie ich Menschen helfe und auch Delia mit den Problemen in ihrem Leben helfen würde, ist es nun einmal nicht direkt meine Aufgabe. Außerdem muss ich mir gezwungenermaßen immer wieder in meine Gedanken rufen, warum ich hier bin, warum ich jetzt alleine in dieser Hütte lebe und nicht weiß, ob mein Job als Lehrerin am nahegelegenen Gymnasium noch eine Zukunft hat. Schließlich bin ich fast, wenn nicht sogar wirklich innerlich ausgebrannt. Denn auch, wenn ich es hinbekomme, morgens aufzustehen, mir Kleidung anzuziehen, mich zu pflegen und Nahrung zu mir zu nehmen, habe ich trotzdem nicht gerade selten negative Erlebnisse. Schreckliche Gefühle und Zustände, die denen von schweren Panikattacken und gar schon Nervenzusammenbrüchen ähneln und in denen ich mich einfach überfordert und überlastet und gleichzeitig so hilflos fühle. Erst einen Moment später werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Ausgerechnet von Delia.
-"D-Danke... Für die Decke und so...", meint sie mit ruhiger, fast flüsternder Stimme und sieht mich mit einem warmen Lächeln auf ihren leicht blauen Lippen an. Mir wird warm, auch wenn die Farbe von Delias Lippen verrät, dass ihr immer noch ein wenig kalt ist oder immerhin ihr Körper sich noch nicht an die Wärme gewöhnt hat.
"Kein Problem... Ist dir denn noch kalt?", frage ich nach und in mir kommt direkt wieder das Gefühl auf, mich gezwungenermaßen um sie kümmern zu müssen, obwohl dies eigentlich nicht meine Aufgabe ist, immerhin nicht offiziell. Delia scheint für einen Moment zu überlegen, nickt dann aber und murmelt kurz danach etwas von wegen "Ja... Noch ein bisschen... Obwohl Sommer ist, aber der Regen ist nun mal kalt". Ich muss irgendwie automatisch lächeln und sehe wieder zu der jungen Frau mit den rotblonden Haaren, welche inzwischen allmählich trockener werden. Ihren Oberkörper wickelt Delia hingegen immer noch in die weiße Decke ein und ein wenig kommt in mir der Wunsch auf, selbst etwas tun zu können, um ihrer dem nassen, ekligen Regen geschuldete Kälte zu reduzieren. Und auch, wenn es nicht viel sein müsste, sondern vielleicht sogar nur eine Umarmung, verbiete ich mir diese Gedanken und weiß im nächsten Moment nicht einmal den wirklichen Grund für dieses Verbot. Es ist einfach irgendwie da.

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