𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟑𝟒 - 𝐦𝐚𝐲

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(Vielen Dank für die 800 reads 😊✨...)

Seit dem Moment, in dem Delia und ich die letzten wenigen Zentimeter zwischen unseren Lippen überbrückten und uns einfach küssten, fühlt sich mein Körper warm und erfüllt an. In meinem Oberkörper kribbelt alles und mein Herz schlägt so schnell, wie nach einem Ausdauerlauf. Die ganze Zeit über habe ich meine Augen geschlossen gehalten, die Wärme von Delia und das Gefühl ihrer weichen Lippen auf meinen genossen. Aber nun sehe ich in die blaugrünen Augen meines Gegenübers, die mich anleuchten und mich verliebt ansehen. Ich muss ebenso wie Delia lächeln.
"Das war so schön...", flüsterte ich nach einigen Sekunden und alles fühlt sich immer noch ein wenig unrealistisch an.
-"Das stimmt...", meint Delia erst einfach nur und sieht mir dabei immer noch tief in die Augen. Dann flüstert sie aber ruhig und liebevoll: "Deine Lippen sind wirklich weich...". Ich muss lächeln und sofort wieder an das Gefühl denken, welches ich hatte, als ihre Lippen auf meinen lagen. Es war warm, weich und so sehr voller Liebe und Nähe, dass ich auch noch jetzt das angenehme Kribbeln in meinem ganzen Körper spüren kann. Wenn dieser gesamte Augenblick nicht der Höhepunkt von Delias und meiner Bekanntschaft ist, dann weiß ich auch nicht weiter, denn irgendwie weiß ich, dass dieser Kuss und insgesamt die ganze Nacht inklusive des Spaziergangs nun für immer in meinem Gedächtnis bleiben wird. Es wird die Erinnerung sein, die mir immer, auch noch in fünf Jahren ein Lächeln ins Gesicht zaubert und ein warmes Gefühl in meinem Herzen auslöst. Ich sehe weiterhin im Delias Augen, bis mein Blick ganz kurz an ihrem Körper entlang wandert. Es ist so verdammt süß, wie Delia in dem Pullover, den ich ihr gegeben habe, aussieht, denn er ist ihr vor allem an den Armen ein wenig zu lang und allgemein ein wenig zu groß. Dann gilt mein Blick wieder ihren blaugrünen Augen, in denen sich das Licht der aufgehenden Sonne spiegelt. Und so sehr ich diesen Moment auch liebe, so sehr ich Delia auch liebe, denke ich daran, ihr noch den Sonnenaufgang am See zeigen zu wollen, bevor sich die wunderschönen rosa und orangefarbenen Nuancen am Himmel verzogen haben.
-"Ich will jetzt die Stimmung nicht zerstören, aber wenn wir den Sonnenaufgang am See noch sehen wollen, sollten wir langsam mal weitergehen...", erkläre ich ruhig und sehe Delia dabei nicht an. Zu sehr schmerzt es in meinem Herzen, wenn ich sie ansehen muss, während ich ihr indirekt sage, dass dieser Moment nun vorbei ist. Er ist zwar nicht vergangen, denn wir sind immer noch beieinander und haben immer noch das unveränderte Verlangen nach Delias körperlicher Nähe und danach, sie in meinen Armen halten zu können, aber trotzdem stehen wir nicht mehr dort, wo der Kuss gefallen ist. Nachdem wir uns schon ein paar Schritte in Bewegung gesetzt haben, nickt Delia einmal kurz, mit einem vorsichtigen Lächeln im Gesicht,
-"Ist das in Ordnung, wenn ich deine Hand nehme?", fragt die junge Frau links neben mir plötzlich und sieht mich an, während wir langsam gehen. "Ja, natürlich...", antworte ich ihr, denn ich habe schon ein wenig erwartet, dass die Frage danach von einer von uns bei diesem Spaziergang kommen wird und ein bisschen komisch fühle ich mich schon dabei, zu bemerken, dass es immer Delia ist, die über ihren Schatten springt. Es bin nie wirklich ich. Ich habe Angst vor Zurückweisung und Kritik - daran muss es liegen. In diesem Moment würde ich meine Gedanken, die mir sagen, was falsch an mir ist, so gerne stillen, doch das funktioniert erst so wirklich, als ich vorsichtig nach Delias Hand greife und diese eine Sekunde später mit meiner verschränke. Die ganze Zeit über spüre ich einen leichten Druck durch ihre Finger, die meinen Handrücken umfassen und jedes Mal muss ich ein wenig lächeln. Es muss unwahrscheinlich seltsam und nach der billigen Geschichte in einem Liebesfilm für alte Leute klingen, aber ich habe schon seit zwei oder drei Tagen das Gefühl, dass ich meine Beruhigung darin finde, Delia zu beschützen und zu zeigen, dass ich da bin. Ich will es mir nicht anmaßen, zu behaupten, sie würde meine Einsamkeit und meine Angst vor dem alleine sein therapieren, aber helfen tut sie mir auf jeden Fall. Vor allem in meinem inneren Chaos, welches schnell zwischen zwei vollkommen verschiedenen Optionen hin und her springt. Aber es ist nicht nur das, denn es ist auch Liebe. Es ist wirkliche Liebe, die ich empfinde, wenn ich Delia in die Augen sehe und ihr nahe bin. Es ist das Gefühl, welches mir Wärme und Herzklopfen gibt und mir Schmetterlinge im Bauch bereitet. Und es stört mich kaum, dabei die Rolle der Person einzunehmen, die für Delia da ist, sie beschützt und sie fest in den Arm nimmt. Denn schließlich, mache ich mir in dem Moment bewusst, bin ich sicherlich mindestens zehn Jahre älter als sie und habe ihr gegenüber auch dadurch ziemlich große Gefühle, was ihr Wohlbefinden, ihre Gefühlswelt und ihre möglichen Unsicherheiten angeht.
-"Bist du hier eigentlich schon oft spazieren gegangen?", fragt Delia mich plötzlich und reißt mich damit total aus meinen Gedanken. Das ist zwar nicht schlimm, lässt mich in diesem Moment aber vorerst vertritt darstellen.
"Ja... manchmal mache ich das morgens... Auch da, wo ich wohne, gehe ich bei Sonnenaufgang sehr gerne im Wald spazieren...", erzähle ich ihr und ich muss dabei nicht nur an meine vielen Morgenspaziergänge hier, sondern auch an die in meiner Heimat, einem kleinen Ort namens Stirling denken.
-"Ich würde es so gerne... Aber meine Mutter hat immer Angst...". Ich nicke, denn so unsympathisch, wie mir Delias Mutter mittlerweile schon geworden ist, kann ich ihr ihre mütterliche Sorge nicht verdenken. Dieses Gefühl ist mir komplett neu, denn mit 30, in zwei Tagen 31, habe ich noch nie darüber nachgedacht, wie sich das Gefühl der mütterlichen Sorgen anfühlen muss. Klar ist mir durch meinen Beruf schon bewusst, was Verantwortung ist und ich weiß nur zu gut, wie es ist, sich ständig Sorgen um jemanden zu machen, aber so wie eben habe ich noch nie daran gedacht.
-"May?... Was ist los?", reißt mich Delia ein weiteres Mal aus meinen Gedanken und es wird mir fast unangenehm, wie wenig ich mich in der Gegenwart aufhalte und wie sehr meine Gedankenwelt das, was ich jetzt eigentlich fühlen könnte, überschattet. Plötzlich bleibt Delia stehen und sieht mir in die Augen, während sie meine beiden Hände in ihre nimmt.
-"Ich weiß... Gedanken sind immer lauter, als die Realität..."
"Dabei ist die doch so schön...", flüstere ich fast schon weinerlich als Antwort und Delia muss seufzend lächeln.
-"May... Das weiß ich doch... Lass uns wenigstens für diesen Spaziergang an nichts denken, okay?"
"Das ist so viel leichter gesagt, als getan", seufze ich und Delia nickt verständnisvoll.
-"Ja... Aber wir können es versuchen... Vielleicht reden wir über irgendetwas... Wo würdest du gerne mal hinreisen?". Delias Stimme klingt auf einmal freudig und energiegeladen und ich muss lächeln.
"Oh ja... Ich würde gerne mal nach Norwegen... Um die Nordlichter zu sehen", erzähle ich und Delia lächelt mich verträumt an.
-"Ja... Das klingt wunderschön...".

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