(Thanks für die 900 reads 🙏🏼🥺)
Eine ganze Weile sitzen wir schon dort und sehen uns den Sonnenaufgang über der wunderschönen grünen Wiese an, die sich gefühlt endlos bis zum Horizont erstreckt. Ich habe meinen Arm um Delias Schultern gelegt und müde und nachdenklich lehnt sich die junge Frau ein wenig gegen meinen Körper. Darüber muss ich fast lächeln. Doch ihr gedankenverlorener Blick kommt mir ebenso wie ihr schmerzverzerrtes Gesicht, gepaart damit, dass ihre Hand immer noch auf ihrem Herz liegt, traurig und bedrückend vor und auf jeden Fall nicht so, als könnte ich lächeln. Delia starrt nur geradeaus und scheint wirklich nachzudenken. Auch, wenn ich mir selbst immer zu viele Sorgen mache, wünsche ich mir in Momenten wie diesen, Delia von ihren negativen Gedanken zu befreien und ihr irgendetwas Schönes zu geben oder zu zeigen. Aber was soll ich tun? Schon den ganzen Morgen über sind wir uns körperlich unfassbar nahe gewesen, haben uns sogar geküsst. Es wäre zu viel, sie jetzt einfach wortlos nochmal in den Arm zu nehmen, obwohl es mir so guttun würde, sie wieder ganz nahe bei mir zu haben und sie beruhigen und beschützen zu können. Es macht mich innerlich fertig, so sehr hin- und hergerissen zu sein, stelle ich wieder einmal fest und bevor mein Kopf explodieren kann, spreche ich mein Problem mit den Sorgen und Gedanken laut aus. Auch, um Delia aus ihrer komischen Starre herauszuholen.
"Weißt du was?", beginne ich und sehe Delia dabei von der Seite aus an. Ihre Augen wandern langsam zu mir und ich umfasse ihre rechte Schulter mit meiner Handfläche etwas fester. "So oft ist es praktisch und nützlich, über alles nachzudenken und alle möglichen Szenarien durchzuspielen... Aber manchmal hasse ich es auch einfach, mir so viele Gedanken zu machen...", spreche ich einfach alles aus, was mir in dem Moment auf dem Herzen liegt. Ich habe Angst, Delia damit zu überfordern, doch ihr leichtes Lächeln und der mitfühlende Blick verraten, dass sie irgendeine Antwort parat hat.
-"Das geht mir manchmal auch so... Einerseits gibt es die schlauen Überlegungen und die wichtigen Sachen, die man sich merken muss... Aber dann gibt es da auch noch die schrecklichen Gedanken, die einem die Freude und die Energie rauben...". Delia wirkt plötzlich wieder so traurig und zerbrechlich, während sie redet, was mein Herz wieder dazu bringt, sich schmerzhaft zusammenzuziehen und mir das Gefühl gibt, die junge Frau rechts neben mir fest in den Arm nehmen und beschützen zu wollen. Ich will ihr sagen, dass sie damit nicht alleine ist, ihr das Gefühl geben, dass alles gut ist und ihr zeigen, dass wir einander helfen können. Ich weiß, dass sie das mit den Gedanken auch kennt, denn irgendwie habe ich es schon von Anfang an erahnt. Wie oft sie sich anfangs für alles Mögliche entschuldigt hat und wie unsicher ihre Aussagen teilweise gewirkt haben, als wir uns gerade erst kennenlernten. Aber besonders stark habe ich den Ausdruck der Überforderung durch endlose Gedankenspiralen in ihren Augen gesehen, als sie heute Nacht aus ihrem Albtraum hochgeschreckt ist und mich dann als wir im Schlafzimmer lagen, fragte, ob ich sie umarmen könnte.
"Ach Delia.... Das weiß ich doch...", sage ich leise, bestätige dadurch nochmal laut, dass ich bereits erahnt habe, dass sie sich so fühlt und, dass ich ihr Verständnis und Vertrauen entgegenbringe. Das ist für mich persönlich das wichtigste. Auch durch meine hoffentlich beruhigenden Berührungen an ihrer rechten Schulter verstärke ich mein Dasein und mein Vertrauen ihr gegenüber.
-"Woher?", fragt Delia in einem gehauchten Flüsterton, den ich sicherlich überhört hätte, wären wir nicht die einzigen Menschen hier gewesen. Delias gesamter Gesichtsausdruck wirkt fragend und zerbrechlich. Er befindet sich irgendwo zwischen Trauer und dem Willen nach einer Antwort.
"Ich habe es in deinen Augen gesehen... Als du heute Nacht geweint hast...", flüstere ich und merke erst im nächsten Moment, wie verliebt und gleichzeitig traurig es geklungen haben muss. Sofort muss ich wieder an ihre Tränen denken, die im schwachen Licht der Lichterkette wie Sterne wirkten, die aus ihren wunderschönen Augen liefen. Augenblicklich spüre ich, wie Delia sich mit ihrer Hand an meinem rechten Knie festhält. Es fühlt sich fast so an, als hätte sie plötzlich Angst, mich zu verlieren, auch, wenn ich gar nicht weggehen will. Delias Blick ist durchdringend, hat trotzdem aber eine Spur von Trauer in sich. Sie wirkt gedankenverloren.
Erst, als sie sich mir vollkommen zuwendet, bekomme ich langsam eine Ahnung davon, was sie vorhat und dass sie mir dabei näher kommen will, was meinen Herzschlag ziemlich stark beschleunigt. Aber als ihre blaugrünen Augen mich anleuchten, dabei kaum noch traurig oder nachdenklich aussehen und sich ihr Arm um meine Schulter legt, wandert meine linke Hand wie automatisch zu ihrem Hals. Und schon einen Moment später legen sich unsere Lippen wieder sanft aufeinander. Immer wieder ganz kurz und zaghaft. So wunderschön vorsichtig und darauf bedacht, miteinander möglichst liebevoll und sanft umzugehen. Es ist solch ein perfektes Gefühl, welches meinen ganzen Körper erwärmt. Ein Vorgang, der nicht nur stattfindet, weil mein Körper an mehreren Stellen von dem von Delia berührt wird. Alles kribbelt und es ist wunderschön. Immer wieder denke ich während der vorsichtigen Küsse darüber nach, wie es wäre, Delia nun vorsichtig auf meinen Schoß zu ziehen und liebevoller und herzlicher als zuvor schon in meine Arme zu schließen, sie beruhigend und sichernd festzuhalten. Aber das wäre zu viel auf einmal, ermahne ich mich selbst, obwohl ich in ihren Augen erkennen kann, dass sie meine Nähe mag, sich sicher und geborgen bei mir fühlt. Trotzdem wird der Moment nicht für immer bleiben können und er wird vergehen, auch wenn ich es nur zu gerne für immer haben würde, Delia in meinen Armen zu halten und ihr das Gefühl davon zu geben, geborgen und geliebt zu sein. Gefühle sind zwar auch über körperliche Distanz sehr präsent, das ist keine Frage, aber die Art und Weise, wie Delia die ganze Zeit über ganz nahe bei mir ist, gibt mir so viel Glück und Hoffnung, dass es schon fast absurd ist, diesen Gedanken auszuführen.
Schließlich lösen wir uns voneinander, sehen uns kurz in die Augen und wenden dann beide unsere Blicke auf das Feld vor uns, über welchem die Sonne nun deutlich aufgegangen ist.
-"Es tut mir leid, aber ich muss gleich los... Meine Mutter ist gleich wieder da... Und ich habe echt Angst, dass sie bemerkt, dass ich nicht im Haus bin-", beginnt Delia unsicher und ihre Stimme zittert plötzlich ein wenig. Ich sehe sie von der Seite aus an, betrachte ihre rötlichen Haare dabei, wie sie ihr in Strähnen ins Gesicht fallen.
"Delia...", spreche ich sie einfach nur mit ruhiger Stimme an.
-"Es tut mir leid... Ich würde mir wünschen, dass dieser Moment noch länger bleibt... ".
"Ich weiß... Ich doch auch...". Ich merke, wie ich selbst ebenfalls ein wenig emotionaler werde.
Etwa fünf Minuten später, die wir nahezu wortlos verbracht haben, gehen wir den kleinen Waldweg zurück zu den Hütten. Wieder hält Delia meine Hand mit ihrer verschränkt und drückt manchmal etwas fester zu, als in anderen Moment, was bei mir den Eindruck auslöst, dass sie sich durchgehend negative Gedanken macht. Wie gerne würde ich ihr diese Last abnehmen...
-"May?", spricht Delia mich schließlich an, als wir vor meiner Hütte ankommen und ich sehe die junge Frau, die in dem Pullover, welchen ich ihr gegeben habe, so wahnsinnig hübsch und niedlich aussieht, durchdringend an. Ihre Augen wirken traurig, aber trotzdem lächelt sie.
-"Sehen wir uns heute Abend wieder?... Morgen fahre ich leider schon wieder nach Hause...". Auch, wenn ich mich über die Frage direkt freue, trifft mich der zweite Teil ihrer Aussage umso mehr. Mir ist zwar schon von Anfang an klar gewesen, dass sie nicht wie ich noch bis zum Ende der Ferien hier bleiben wird, aber dass sie schon am nächsten Morgen weg sein wird, tut irgendwie weh. Als Reaktion nicke ich einfach nur.
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Fading
Teen Fiction🧡🌈🌱 Delia ist siebzehn Jahre alt und fährt in den Sommerferien gemeinsam mit ihrer Mutter, einer strengen, eher gefühlskalten Person in den Urlaub an einen See. Dass Delia dort jedoch auf eine Person trifft, deren Herzenswärme und Geborgenheit si...