𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟒𝟒 - 𝐦𝐚𝐲

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Ich habe seit dem Mittag nichts Wirkliches mehr gegessen und liege nun mit leerem Magen in meinem Bett. Ohne Unterbrechung starre ich die Zimmerdecke an, die ich aufgrund des wenigen Lichts kaum erkennen kann. Alles ist sinnlos und alles tut weh. So fühlt sich mein gesamter Körper, meine gesamte Seele in diesem Moment und ich kann nichts dagegen tun. Egal, ob ich mir nochmal vor Augen führe, dass Delia und ich uns am frühen Morgen am Steg treffen wollen und wir weiterhin natürlich auch über Telefon kommunizieren können - mein Herz zerberstet daran, dass mein Gehirn ihm sagt, dass ich Delia nach dem nächsten Morgen nie wieder sehen werde. Und im Moment hilft es nicht einmal, meine warme, weiche Bettdecke ganz dicht an mich zu drücken und mir vorzustellen, es wäre sie. Sie, diese wunderschöne junge Frau, die nicht viel tun muss, um mir das Gefühl von Liebe, Wärme und Ruhe zu geben. Es ist einfach alles sinnlos.
Auch gefühlte Stunden später liege ich noch mit offenen Augen dort und spüre, wie immer einzelne Tränen aus diesem Fließen und auf den Stoff meines Kopfkissens treffen. Plötzlich ist mir so unfassbar kalt, ich beginne zu zittern und mein Herz rast, während es immer und immer weiter zerbricht. Schon als Delia aus meinem Haus verschwunden ist, habe ich erahnt, dass diese Nacht so wird. Doch sie ist tausendmal schlimmer als das und ich befürchte, dass ein weiterer meiner halben Nervenzusammenbrüche folgen wird, wenn ich es nicht auf wundersame Art und Weise schaffe, in den nächsten Minuten einzuschlafen. Aus meiner Angst davor kuschle ich mich ganz fest in meine warme Bettdecke ein, verschwinde fast ein wenig darin, als würde ich mich vor etwas verstecken, was mich in den nächsten Minuten heimsucht. Eigentlich ist es das auch, nur dass es sich bei mir nicht um das gefürchtete Monster im Schrank handelt, sondern um den psychischen Ausnahmezustand, der in letzter Zeit immer weniger zu einer Ausnahme wird. Mir fallen zwar langsam die Augen zu, aber trotzdem gebe ich immer wieder ein unwillkürliches Wimmern von mir. Meine Gedanken sind wie leergefegt und mein ganzer Körper tut weh. Wie ich in dieser Nacht auch nur eine Sekunde lang schlafen soll, weiß ich nicht.

Am nächsten Morgen klingelt um Punkt 6:00 Uhr mein Wecker. Der erste Gedanke, der in mir aufkommt, ist, wie ich es bloß geschafft habe, die vergangenen fünf Stunden durchzuschlafen. Schließlich habe ich in der Nacht noch befürchtet, dass eine weitere Panikattacke oder ein weiterer halber Nervenzusammenbruch folgen wird. Aber es ist nichts passiert - auf wundersame Art und Weise.
Müde streiche ich mir ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht und gehe langsam zu meinem Kleiderschrank, welcher sich innerhalb der letzten Zeit eher zu einem lieblosen Kleiderhaufen entwickelt hat. Ganz oben liegen die zwei Pullover, die ich die letzten Tage über immer anhatte, sowie die weiße Bluse, die ich an dem Tag trug, an dem es so heiß war. Deswegen entscheide ich mich für eine fliederfarbene Fleecejacke, die ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr getragen habe. Schon so lange, dass ich kurz die Angst habe, sie könne mir mittlerweile ein bisschen zu eng sein. Wenn ich mit meinen Erinnerungen richtig liege, dann hatte ich sie das letzte Mal irgendwann gegen Ende meines Studiums an und das liegt mittlerweile gute fünf Jahre zurück.
Zu der Jacke trage ich die helle Jeans, die ich die letzten Tage über auch schon fast immer getragen habe. Allerdings denke ich, dass das nichts ausmacht. Im Badezimmer betrachte ich mich im Spiegel. Ich sehe müde aus und man könnte bemerken, dass ich knapp fünf Stunden geschlafen habe, dennoch klatsche ich mir einfach kurz ein wenig kaltes Wasser ins Gesicht, wodurch ich deutlich wacher werde. Ich sehe von meinem Gesicht hinunter an meinem Körper. Die dünne Fleecejacke sitzt immer noch gut, verdeckt an meinen Schultern jedoch nicht einmal meine Unterwäsche. Ein wenig nervös ziehe ich die Ärmel der fliederfarbenen Jacke zurecht, hoffe dadurch, nicht allzu sehr so zu wirken, als wäre ich eben erst aus dem Bett gefallen.
Als ich das letzte Mal auf die Uhr in der Küche sehe, ist es 6:12 Uhr. Die Sonne geht draußen gerade erst auf und unwillkürlich muss ich an den letzten Morgen denken. Ich bin gemeinsam mit Delia spazieren gewesen. Wir sind den Waldweg entlanggegangen, haben uns den Sonnenaufgang hinten an der Wiese angeguckt und waren uns dabei immer wieder unfassbar nahe. Wie soll ich es nur ohne diese Nähe und diese Wärme aushalten? Ohne diese wunderschöne junge Frau, die mir immer wieder zeigt, wie wundervoll doch alles sein kann und die ich bis an mein Lebensende für immer lieben und beschützen werde.
Als ich den sandigen Weg hinunter zum Steg entlanggehe, bemerke ich schon die kleinere Person mit den langen rotblonden Haaren am Ende des Weges. Irgendetwas scheint Delia daran zu hindern, den Steg zu betreten. In dem Moment stelle ich fest, wie sehr mir der Anblick im Herzen wehtut. Es ist erst früh morgens, eigentlich dämmert es noch fast und als Delia mich zu bemerken scheint und sich langsam umdreht, sehe ich schon von drei Metern Entfernung die Tränen in ihren Augen. Bei diesem Anblick tut mein Herz immens weh und am liebsten hätte ich sie direkt wieder in den Arm genommen und ihr damit gezeigt, dass sie weinen darf und dass ich da bin, um sie festzuhalten und sie zu beschützen. Aber diese Handlung würde es mir in nicht einmal einer halben Stunde noch schwerer machen, mich von ihr zu trennen.
"Hey...", flüstere ich in die noch ein wenig kühle Morgenluft. Delia sieht mich immer noch an und ich sehe von ihrem Gesicht ab an ihrem Körper hinab. Ihre gesamte Haltung wirkt eingeknickt und klein und sogar in dem dicken lilafarbenen Pullover und der knöchellange schwarzen Leggins sieht sie so aus, als wäre ihr unwahrscheinlich kalt. Dazu bemerke ich im nächsten Augenblick, dass sie den bunten Pullover, den ich ihr am vorherigen Morgen gegeben habe, in ihren Händen hält. Ich muss lächeln und Delia folgt meinem Blick und sieht traurig auf ihre Hände.
-"Den wollte ich dir zurückgeben... Ich klaue schließlich nicht die Kleidung von anderen Menschen...", meint sie und will mir gerade den Pullover in die Hände legen, als ich kurz lachen muss und Delia dann ansehe.
"Bitte behalte den... Wenigstens ist dann irgendetwas von mir bei dir...". Ich merke, wie sich bei mir ebenfalls langsam die Tränen anbahnen und sich mein Hals immer weiter zuschnürt.
-"Ich-, Nein... Also... Ja... Danke...". Trotz der Tränen in meinen Augen muss ich lächeln. Mit meinen eigenen Worten breche ich schließlich mein eigenes Herz:
"Wenn du mich irgendwann mal zu sehr vermisst... Dann kannst den Pullover einfach ganz dicht an dich drücken...".
Ich sehe, wie die Tränen langsam aus Delias Augen fließen und sie diese einfach auf den Boden tropfen lässt. So viele Emotionen und Gedanken überfallen mich auf einmal und ich nähere mich ihr, lege sanft meine linke Hand auf ihre rechte Schulter und merke, wie kalt diese ist.
"Ist dir kalt?", flüstere ich deswegen und realisiere, wie besorgt meine Stimme klingt. Delia nickt. Ich weiß nicht, was es ist, das mich dazu bewegt, aber irgendetwas in meinem Herzen sagt mir, dass es trotz meiner Angst, dass die Trennung von ihr zu schlimm wird die junge Frau einfach in den Arm nehmen und ihr sowohl physische, als auch psychische Wärme geben will.

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