𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟒𝟎 - 𝐦𝐚𝐲

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-"May...", flüstert Delia ruhig meinen Namen, während in meinem Kopf alles immer mehr durcheinander zu kommen scheint. Mir ist eben schon ein wenig schwindelig gewesen und ich merke, dass ich zittere, Probleme damit habe, zu sprechen, ohne zu stocken. Ich sehe in Delias Augen. Diese wirken wie ein sicherer Fixpunkt für mich, auf den ich mich Ewigkeiten konzentrieren könnte, wenn ich wollte. Und in diesem Moment strahlen sie Verständnis und Fürsorge aus und mein Herz wird automatisch schwer, während ich die Tränen in meinen Augen spüre.
"Delia... Ich-...", beginne ich und will mich ihr erklären, aber die Tränen in meinen Augen erschweren es und das erdrückende Gefühl in meinem ganzen Körper ist immer noch da. Im nächsten Moment spüre ich, wie Delia meine linke Hand in ihre rechte Hand nimmt und mir vorsichtig mit ihrem Daumen über den Handrücken streicht. Durch diese kleine, aber so sanfte Berührung habe ich einerseits das Gefühl, mich ein bisschen mehr zu beruhigen, andererseits aber auch, dass die Tränen mehr werden.

"Ich weiß, das muss vollkommen kindisch klingen... Schließlich gibt es hunderte Formen, immer noch in Kontakt zu bleiben, nachdem du morgen früh nach Hause fährst und ich in etwa drei Wochen das Gleiche tue...", spreche ich alles in Lichtgeschwindigkeit aus und halte danach meine Luft an, um nicht losheulen zu müssen. Delia sieht mich an und ihr Blick strahlt ziemlich viele Emotionen aus. Trotzdem kann ich mich in ihren blaugrünen Augen verlieren und meinen Blick an diesen festhalten, um genug Sicherheit zu finden, um weiterzureden. Dabei bin es doch eigentlich ich, die sich zur Aufgabe gemacht hat, Delia zu beschützten und die ihr gegenüber das Gefühl hat, Vertrauen und Sicherheit zu vermitteln. Es fühlt sich nicht gut an, dass sie das nun für mich tut. Schließlich ist sie noch so jung und wirkt trotz ihrer ruhigen Ausstrahlung ziemlich aufgewühlt. Mein Herz fühlt sich an, als würde es jeden Moment in alle seine Einzelteile gerissen werden, wie ein Blatt Papier.
"Ich habe nur einfach Angst, dass ich dich verliere", denke ich und sage es in dem Moment ungewollt auch laut. Es überrascht Delia nicht allzu sehr und ich kann mir vorstellen, dass sie schon ähnliche Gedanken gedacht hat, aber jetzt ist meine größte Angst einfach, dass sie schon bald weg sein wird. Ich weiß, dass es so ist, dass sie morgen früh schon nach Hause fährt. Mein Blick verschwimmt aufgrund der Tränen und ich sehe nur noch Delias Gestalt dicht links neben mir sitzen und mich ansehen. Mehrmals versuche ich, die Tränen wegzuwischen, aber es kommen immer wieder neue.
-"May, du wirst mich nicht verlieren, okay?", flüstert Delia mit einer solchen Sanftheit in der Stimme, dass sie es vermutlich selbst nicht realisieren kann.
"Ja... Ich werde dich auch nie verlieren, Delia", antworte ich mit kratziger Stimme und mein Gegenüber muss automatisch lächeln. Dadurch kehrt dieses alte Gefühl der Wärme in mich zurück und augenblicklich schlägt mein Herz deutlich schneller, als eben noch, wo ich in Delias Gegenwart plötzlich ziemlich entspannt war. Ich liebe dich. Dass ich diesen Satz ihr gegenüber aussprechen will, fliegt mir in den letzten Stunden immer wieder durch den Kopf. Wir sind einander so unheimlich wichtig, brauchen die Nähe der anderen und es gab schon zwei Küsse. Es wäre nicht verwunderlich, würde dieser Satz irgendwann fallen. Ich versuche für einen Moment, mein Gehirn auszuschalten und nur mein Herz mir zusprechen zu lassen.
"Ich werde dich nie verlieren, denn ich liebe dich, Delia...".
Danach herrscht einige Sekunden lang Stille. Sekunden, die für mich anstrengend sind und in denen man nur das Ticken der Uhr in der Küche wahrnehmen kann. Bei einem kurzen Blick dorthin stelle ich schockiert fest, dass es schon kurz vor 18 Uhr ist, ich also ziemlich lange draußen gesessen und geschlafen habe. Dann sehe ich wieder zu Delia, die mich in dem Moment einfach nur anlächelt und nichts sagt. Ich weiß nicht, ob ich diesen Ausdruck als Bestätigung nehmen soll, denn schließlich können nur Worte formulieren, was ein Mensch fühlt. Wobei das manchmal auch nicht richtig ist, denn manchmal sprechen auch die Emotionen, während die Fähigkeit zu reden blockiert ist. Delias Hand drückt meine ein bisschen stärker und unsere Blicke treffen sich wieder, sind dabei wieder so intensiv und tief gehend, wie am ersten Abend. Mein Herz flattert aufgeregt, als ich daran zurückdenke.
-"Ich liebe dich doch auch, May...", spricht Delia ruhig und vermutlich ist es die gesamte Situation, die mir den Rest gibt und das Fass der Emotionen zum Überlaufen bringt. Die Tränen fließen mir langsam die Wangen hinunter und das, was ich sehen kann, ist nur noch ein verschwommenes Bild. Delia flüstert die ganze Zeit über unverständliche Laute, die mich aber zutiefst beruhigen. Und dann nehmen wir uns mehr oder weniger gegenseitig in die Arme, halten und schützen uns somit auch gegenseitig. Die Art und Weise, wie sie mich aktiv an sich drückt, ist ein wahnsinnig schönes Gefühl dessen, dass jemand da ist und dass sie mich versteht. Während ich die kleinere und jüngere Person ebenfalls festhalte und ihr somit das Gefühl von Sicherheit und Vertrauen vermitteln will.
-"Ich liebe dich so so sehr, May", meint Delia mit einer leisen, niedlichen Stimme und murmelt dann noch leiser in die Umarmung hinein: "Ich habe auch Angst, dich zu verlieren... Aber das ist erst morgen... Und jetzt gerade haben wir einen wundervollen Moment zusammen...". Ich nicke, löse danach mein Kinn von ihrer Schulter und sehe Delia ins Gesicht, während ich mit meinen Armen immer noch ihre Taille umschlinge, sie mit ihren Armen immer noch meinen Nacken. Der Blick aus ihren wunderschönen Augen wirkt verletzlich, aber ebenso stark und ruhig. Ich versuche, diesen Ausdruck so gut wie ich nur kann zu erwidern.
-"Ich würde mich jetzt so gerne an dich kuscheln und dich küssen, aber ich weiß, dass meine Abschiedsschmerzen nachher zu stark wären, weil mein Herz dich dann so sehr vermisst...". Ich erkenne, dass Delia zu mehr als hundert Prozent die Wahrheit gesagt hat. Nicht nur, weil ich spüre, wie mir warm wird, das Kribbeln zurückkehrt und mein Herz gefühlt dreimal so schnell schlägt, wie normal, sondern auch, weil ich es einfach fühlen kann. Ich maße mir an, zu behaupten, dass ich fühle, dass sie die vollkommene Wahrheit ausgesprochen hat. Ich muss lächeln. Wie gerne würde ich genau das, was Delia eben gesagt hat auch haben? Sehr gerne. Aber Angst vor den psychischen Schmerzen bei dem Abschied nachher habe ich auch. Schließlich weiß ich mittlerweile allzu gut, wie diese bei mir aussehen können und noch einen halben Nervenzusammenbruch will ich nicht haben, denn jetzt gerade bin ich aufgrund der Sonne eigentlich schon erschöpft genug.
"Ich würde das auch so gerne, Delia... Aber meine Angst vor dem Abschied und dass wir uns nicht voneinander trennen können, obwohl wir es müssen...". Meine Aussage ist unstrukturiert.
-"Ich weiß das doch... Ich fühle es nämlich... Hiermit...", meint sie und legt ihre Hand auf ihr Herz. Delia muss lächeln, ich ebenfalls und ein wenig verwirrt sehe ich zwischen ihren blaugrünen Augen und ihrer Hand, welche nach wie vor direkt auf ihrem Herzen liegt hin und her.
"Ich habe es mir schon fast gedacht... Und wenn wir beide Nähe brauchen und kuscheln wollen, dann ist das in Ordnung und dann können wir das auch gerne machen, Delia". Durch meine eigenen Worte erwärmt sich in meinem Körper alles. Augenblicklich lehnt Delia sich mit ihrem Kopf an meine linke Schulter und ein Lächeln wandert in mein Gesicht.
"Ist schon okay... Komm her...", flüstere ich und umschließe Delias Oberkörper mit meinen Armen. Ihre Beine legt sie über meine, sitzt somit mehr oder weniger auf meinem Schoß und ist mir nicht nur deswegen so unfassbar nahe. Zwischen Berührungen unserer nackten Haut steht an so vielen Punkten, wie zum Beispiel den Oberschenkeln, der Hüfte und des Brustkorbs nur der Stoff der Kleidung. Entspannt kuschelt Delia sich an mich.

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