(Eines meiner favourite Kapitel 🥺🧡)
Delia hat mir mit ihrem plötzlichen Aufschrecken, als ich gerade zufällig in der Küche war, um ein Glas Wasser zu trinken und ihrer deutlichen Panik vor ihrem Albtraum einen ziemlichen Schrecken eingejagt. Ich weiß in dem Moment, in dem wir uns in dem schwachen Licht der Lichterkette gegenseitig in die Augen sehen, gar nicht, warum es mich fast so sehr mitnimmt, wie sie selbst, dass sie einen Albtraum hatte. Aber ihr kleiner Zusammenbruch und ihre Panik haben bei mir nicht nur dazu geführt, im selben Moment wie sie die unsichtbare Grenze der Berührungen zu unterschreiten. Denn während ich merke, wie ich wieder viel zu mitfühlend werde, gibt mir das Ganze wieder einmal das Gefühl gegeben, Delia beschützen zu müssen. Ich weiß, dass es nicht meine direkte Aufgabe ist und dass es uns beiden nicht guttun würde, wäre das das einzige Gefühl, welches ich ihr gegenüber habe. Aber ihr in Situationen wie dieser Sicherheit zu geben und ihr zu zeigen, dass ich da bin und sie beruhigen kann, ist mir wichtig und schon diese Aspekte zähle ich zum Beschützen. Denn so, wie Delia sich eben erst weinend in eine Umarmung hat fallen lassen, kommt es mir mit einem schweren Gefühl in meinem Herzen fast so vor, als hätte sie das Gefühl von Sicherheit und Beruhigung in solchen Situationen in ihrem jungen Leben selten bis noch gar nicht erleben dürfen.
"Geht's dir jetzt besser?", flüstere ich und will mich innerlich dafür schlagen. Es ist augenscheinlich, dass es Delia nicht gut geht, denn sie hat es gerade einmal geschafft, ihre Atmung und ihr Zittern wieder unter Kontrolle zu bringen und nun rinnen ihr die Tränen endlos übers Gesicht. Ich bemühe mich um einen Blick, der möglichst viel Sorge und Sicherheit gleichzeitig ausstrahlt. Delia braucht sichtbar einen Moment, atmet durch, bevor sie einmal stumpf nickt. Dabei ist es doch eigentlich offensichtlich, dass es nicht so ist, aber die Art und Weise, wie ich sie gefragt habe, erwartet eigentlich nur eine bestätigende Antwort, mache ich mich enttäuscht von meiner eigenen Aussage bewusst. Doch Delia beginnt dann doch, wenn auch nur flüsternd und mit ziemlich gebrochener und erschöpfter Stimme zu reden: "Ja schon, aber Angst habe ich immer noch...".
Ich kann mir nicht erklären, warum, aber dieser Satz lässt mein Herz irgendwie in tausend kleine Einzelteile zerspringen. Nicht nur, weil ich das Gefühl der Panik und der Angst selbst viel zu gut kenne, sondern auch, weil die aufgekratzte Art und Weise von Delias Tonlage irgendetwas Ungeahntes mit mir macht und ein Gefühl davon auslöst, sie weiterhin beruhigen und beschützen zu müssen. Dieses Mal bin ich es, die sie aktiv in den Arm nimmt und Delia lässt diese Umarmung sofort zu und hält sich an mir fest. Beruhigend streiche ich ihr mit meiner rechten Hand über den Rücken, platziere meine linke Hand an ihrem Kopf, welchen sie an meine linke Schulter gelehnt hat. Ich habe schon eben, als sie sich anfangs ohne Vorwarnung in meine Arme hat fallen lassen, gespürt, wie ihre Tränen auf den dicken Stoff meines gelben Pullovers getropft sind. Aber es macht mir nichts aus. Und am liebsten würde ich Delia, die wahrscheinlich schon in wenigen Minuten davon überzeugt sein wird, dass das alles vollkommen unnötig und unangenehm ist, auch ihre Tränen ungeschehen machen. Dabei würde ich ihr so gerne auch noch sagen, dass es in Ordnung ist, Angst zu haben und zu weinen. Und würde sogar so weit gehen und ihr versprechen, dass ich immer für sie da sein werde, vor allem, wenn es ihr mental nicht gut gehen sollte. Aber das ist ein großes Versprechen, mache ich mir selbst mahnend bewusst und nachdem mir plötzlich und unerwartet das Wort 'Burnout' im Kopf herumschwirrt, rette ich mich aus meinen Gedanken wieder in die Gegenwart. Ich habe das Gefühl, Delia irgendetwas sagen zu müssen, sie irgendwie durch Worte zu beruhigen.
-"Das ist in Ordnung, wenn du Angst hast... Aber bei mir musst du keine Angst haben...", antworte ich mit einer selten sanft und liebevollen Stimme. Dabei streiche ich weiterhin beruhigend über Delias Rücken, während sie ihren Kopf mehr an meine Schulter drückt, mir dabei mit ihrem gesamten Körper nochmals näher kommt. Ich spüre, wie Delia wahrscheinlich ziemlich erschöpft von ihrem Zusammenbruch an meiner Schulter nickt. Immerhin ihre Atmung hat sich inzwischen wieder beruhigt, doch ich bin mir ziemlich sicher, dass in Delias Inneren noch alles durcheinander schwirrt und ihre kompletten Gedanken rastlos und generell aufgescheucht sind.
Schließlich murmelt sie in unsere feste Umarmung hinein: "Ich habe Angst, dass der Albtraum weitergeht, wenn ich jetzt wieder schlafen gehe... Das passiert nicht gerade selten". Delia seufzt schwer und für den Moment, in dem sie einatmet, drückt sie ihren Oberkörper so dicht an mich, dass ich für ein paar Sekunden ihren schnellen Herzschlag an meinem Körper spüren kann. Es ist nicht nur so, dass ich es ihr keinesfalls verdenken kann, weil es mehr als nur logisch ist, dass der Kreislauf bei Albträumen und Angst auf Fluchtreaktion schaltet, sondern auch so, dass ich es selbst nur so gut kenne. Ich habe es hier insgesamt dreimal gehabt, dass ich mit Schwindel, Zittern und Herzrasen irgendwo in meiner Hütte herumlag und das Gefühl hatte, jede Sekunde von der Panik überrollt zu werden. Einmal ist Delia noch nicht hier aufgetaucht, aber bei den zwei anderen Malen kannten wir uns schon.
Als Antwort auf Delias beinahe geflüsterte Aussage nicke ich nur kurz, während ich sie weiterhin fest umarme, ihren Körper, der sich sicherlich größtenteils immer noch in dem Modus befindet, der auf die Flucht vor Gefahr aus ist, an meinen drücke, um ihr meine Wärme und Nähe noch mehr zu symbolisieren.
Nach einigen Minuten lösen wir uns voneinander und ich muss unwillkürlich lächeln. Ein aufbauender Ausdruck, der Delia zeigt, dass sie mir vertrauen kann und bei mir ihre Emotionen herauslassen kann, wie sie nun einmal sind, ist meine Intention. Und als auch Delia selbst, deren Gesicht immer noch überströmt vom den Spuren von Tränen ist, lächelt, wird mir bewusst, dass es mir geglückt ist.
-"May?", flüstert Delia plötzlich meinen Namen und ich sehe wieder vollkommen aufmerksam in ihre Augen. Auch jetzt, wo diese gerötet und von Tränen unterlaufen sind, löst der Blick aus diesen ein warmes, wohliges Gefühl in mir aus.
"Ja"
-"Kannst du bei mir bleiben? Ich habe Angst... Ich... Habe Angst, wenn du nicht da bist". Ich weiß nicht wirklich, ob mir dieser Satz eher das Herz erwärmt oder es eher in tausend Einzelteile zerspringen lässt. Ich glaube allerdings, dass es eine Kombination aus beidem ist.
"Ja, das kann ich, Delia... Du kannst aber auch zu mir kommen, wenn du magst...", biete ich ihr an und hoffe, dass es bloß nicht falsch rüberkommt und nicht so, als würde ich nur darauf warten, mit ihr zusammen in einem Bett zu liegen. Denn auch, wenn ich die körperliche Nähe von Delia als angenehm empfinde, ist es nicht mein Ziel, sie möglichst lange möglichst nahe bei mir zu haben.
-"Ja... Wenn das für dich in Ordnung ist..."
"Das ist es...". Ich muss lächeln. Dann stehen wir beide auf und mit einem seltsam verbotenen Gefühl in meinem Magen gehen wir in Richtung meines Schlafzimmers.
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Fading
Teen Fiction🧡🌈🌱 Delia ist siebzehn Jahre alt und fährt in den Sommerferien gemeinsam mit ihrer Mutter, einer strengen, eher gefühlskalten Person in den Urlaub an einen See. Dass Delia dort jedoch auf eine Person trifft, deren Herzenswärme und Geborgenheit si...