𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟐𝟔 - 𝐦𝐚𝐲

164 16 10
                                    

(Danke für die 600 reads 🙏🏼🧡 - Heute gibt's auch mal ein etwas längeres Kapitel)

"Delia.... Ich muss aber zugeben, dass ich das, was du eben gesagt hast sehr, sehr gut kenne... Alleine im Haus hocken und trotzdem nicht alleine sein, denn die Gedanken sind immer bei einem... Und manchmal kommt man gar nicht zur Ruhe...". Mein Herz tut eindeutig weh, während ich das sage, aber es entspricht der Wahrheit. Noch dazu habe ich meine Aussage größtenteils nur getätigt, um Delia nicht allzu einsam oder komisch fühlen zu lassen, denn schließlich ist sie beides nicht. Das signalisiere ich in dem Moment auch damit, dass ich wieder mit meinem Daumen beruhigend über ihr Knie streiche, auf welchem ich meine rechte Hand platziert habe.
-"Ja...", meint Delia erst und ihre Stimme scheint, als wäre sie außer Atem oder müsste sich zusammenreißen, nicht zu weinen. Aber beides ist nicht der Fall. Wenige Sekunden später redet sie auch weiter: "Aber wenigstens sind wir beide jetzt gerade nicht mehr alleine...". Sofort wird mir warm, ein Lächeln stiehlt sich in mein Gesicht und mein Herzschlag schnellt in die Höhe. Ich sehe Delia an, welche konzentriert, aber ebenso verliebt in meine Augen sieht. Ihr Blick ist interessiert, wirkt total verknallt, ist aber ebenso zerbrechlich und auch ein wenig traurig. In ihren grünblauen Augen spiegeln sich so viele Facetten an Gefühlen und Gedanken wider, dass ich kaum alle benennen kann.
"Das stimmt...", flüsterte ich als Antwort auf Delias Aussage, die einen kompletten Schub an Wärme durch meinen gesamten Körper geleitet hat. Mein Blick weicht dabei nicht von den wunderschönen Augen meines Gegenübers ab, aus denen nur ein tiefes Starren in meine Richtung reicht, um mir ein wohliges Befinden und ein warmes Gefühl im Herzen zu geben. Mir fällt auf, dass meine Hand immer noch auf Delias Knie liegt und sich zwischen meiner Hand und ihrer wahrscheinlich immer noch ziemlich kalten Haut nur der Stoff ihrer langen Jeanshose befindet.
-"Mit dir fühle ich mich nicht so einsam, wie in meinem Zimmer in der Hütte...". Mein Unterbewusstsein sagt mir wieder, wie unwahrscheinlich gerne es die junge Frau mit den rotblonden Haaren einfach nur in den Arm nehmen und ihr sagen will, wie unfassbar lieb sie ist und wie unfassbar viel sie mir jetzt schon bedeutet. Und das erste Mal kommt in mir die Frage auf, ob das wirklich so seltsam wäre dies zu sagen und zu tun. Ich würde sie fragen, ob es in Ordnung wäre, sie zu umarmen, denn ich weiß ganz genau, wie erdrückend es sich anfühlen kann, einfach umarmt zu werden, selbst wenn es Menschen sind, die mir wichtig sind. Aber zuzugeben, dass ich sie mag, sie mir wichtig ist und es mir jedes Mal das Herz erwärmt, wenn sie so ruhig und lieb mit mir redet, könnte ich mir erlauben. So hoffe ich es immerhin, als ich anfange, zu reden.
"Ach Delia... Das freut mich...", beginne ich und sehe wieder in das Gesicht der jungen Frau, auf welchem sich langsam ein Lächeln ausbreitet. Ich springe über meinen Schatten und rede weiter: "Weißt du... Du bist mir sehr wichtig geworden, habe ich so das Gefühl... Ich mag dich wirklich sehr, Delia...". Innerlich schlage ich mich selbst. Wie unstrukturiert und dumm muss meine Ausdrucksweise geklungen haben? Vielleicht habe ich es doch mal wieder nötig, Englischunterricht zu veranstalten, denn ich bin mir sicher, dass das Sprachareal meines Gehirns mich in Momenten wie diesem schallend auslacht. Ich kann nicht anders, als wieder auf den Fußboden zu sehen, oder eher zu meiner rechten Hand, die immer noch auf Delias Knie liegt. Doch plötzlich bemerke ich, wie sich eine andere Hand auf meine legt, die Finger beruhigend über den Handrücken meiner rechten Hand streichen. Mein Blick wandert ziemlich schnell wieder zu Delia, die ihre Hand jedoch nicht von meiner löst. In mir kommt ein warmes und angenehmes Gefühl auf, welches sich in meinem gesamten Oberkörper ausbreitet. Ich weiß genau, dass dies das Gefühl ist, welches so oft als die 'Schmetterlinge im Bauch' beschrieben wird. Wegen der Gedanken an diesen Ausdruck muss ich unwillkürlich lächeln, denn ich denke an die vielen Male in meinem Leben zurück, in denen dieser Satz gefallen ist.
-"Ich mag dich doch auch, May", flüstert Delia daraufhin nur leise und setzt ihr Starren in meine Augen fort. Ich erkenne ihre geweiteten Pupillen ganz klar, ebenso wie das allgemeine Glitzern ihrer grünblauen Augen, mit denen sie mich ganz klar ansieht. Schon einen Moment später sehe ich wieder weg. Mein Herz schlägt wieder doppelt so schnell wie sonst und ich habe immer wieder ein bisschen das Gefühl, immer mehr die Kontrolle über das zu verlieren, was mein Körper als Reaktion auf Delias Präsenz und ihren freundlichen, vertrauenden Umgang mit mir tut. Ich fluche mit mir selbst, denn noch vor zwei Tagen habe ich mir geschworen, mich nicht in sie zu verlieben. Warum ist mein Durchhaltevermögen was das angeht nur so verdammt schwach?
Ich werde aus meinen sekundenlangen Gedanken gerissen, als ich eine Berührung an meiner Schulter spüre, kurz darauf bemerke, dass Delia ihren Kopf an dieser abgelegt hat. Für einen Moment sehe ich nicht zu der jungen Frau, die sich an meine rechte Schulter gelehnt hat, denn ganz kurz muss ich die Berührung, die aber keinesfalls negativ ist, registrieren. Ganz langsam aber wandert mein Blick zu Delia, die mit einem nachdenklichen Blick an die Wand schaut und im ersten Augenblick gar nicht zu merken scheint, dass ich sie ansehe. Am liebsten würde ich meinen rechten Arm um ihre Schultern legen, die junge Frau, die mit einem eindeutig bedrückten und gedankenverloren Blick an die Wand starrt, in eine Umarmung ziehen. Aber das wäre wirklich zu viel, ermahne ich mich selbst, so sehr ich es auch mag, dass mir die Wärme von Delias Körper neben mir eindeutig schon ein ganzes Stück der Einsamkeit nimmt. Erst einen Moment später scheint Delia darauf zu reagieren, dass ich sie schon eine ganze Weile lang ansehe, denn sie schreckt hoch und sieht mich mit einem entschuldigenden Blick an.
-"S-Sorry, ich wollte... Dir nicht so nahekommen... Tut mir leid, wirklich... Ich war nur so in Gedanken und...", redet Delia hastig und gestikuliert dabei wild mit ihren Händen. Ich lege sofort meine rechte Hand, die ich durch ihre Hektik von ihrem Knie gelöst habe, an ihren linken Oberarm und sehe in Delias Gesicht.
"Das ist doch okay... Und ich habe gesehen, dass du in Gedanken warst, Delia...". Ich habe meine Stimme lange nicht mehr so ruhig und verständnisvoll klingend erlebt.
-"Ich habe nachgedacht... Ich... Ich hoffe, das kommt nicht unpassend... Aber... Ich werde heute Nacht wahrscheinlich alleine sein und... Du weißt, wir fühlen uns beide einsam... Und noch dazu habe ich Angst vor Gewitter und das alles... Tut mir auch leid, dass ich frage und falls das nicht in Ordnung ist für dich...". Delias Stimme zittert ein wenig und ich bemerke, dass sie es nicht hinbekommt, mich anzusehen, während sie redet. Trotzdem weiß ich schon, auf was sie hinauswill. Deswegen verstärke ich den Druck des Griffes um ihren Arm ein wenig, aber nicht so, dass es unangenehm wird. Mit meinem Daumen streiche ich sanft über ihre Schulter und bringe sie damit irgendwie dazu, mich anzusehen.
"Delia, falls du fragen willst, ob du heute Nacht bei mir bleiben kannst-"
-"Ist okay, wenn ich wieder gehen soll, May... Wirklich, ich will dir nicht noch mehr Stress bereiten"
"Hey, das ist in Ordnung für mich... Du kannst hier schlafen, wirklich..."
Delia sieht mich ungläubig an und für einen kurzen Moment bilde ich mir ein, Tränen in ihren Augen sehen zu können, doch schon im nächsten Augenblick scheint sich das als falsch zu erweisen, denn die junge Frau neben mir sieht mich mit einem dankbaren Lächeln an. Sie macht sogar kurz Anstalten, mich umarmen zu wollen, doch irgendetwas hält sie zurück, aber das hinterfrage ich nicht.

Es ist kurz nach 22 Uhr. Und Delia verkündet mir, dass ihre Mutter sie bereits darüber informiert hat, dass sie wahrscheinlich bei ihrer Freundin in der Nähe übernachten und um etwa acht Uhr morgens zurückkommen wird. Wir hatten nach dem leicht emotionalen und schweren Gespräch über die Möglichkeit, dass Delia bei mir übernachten kann, noch weiterhin Tee getrunken. Und kurz danach hatten wir auch noch etwas Hunger gehabt, weswegen die altmodische Obstschale in meiner Küche nun um zwei große, rote Äpfel ärmer ist. Draußen gewittert es zwar nicht mehr, aber ich bemerke, dass es ohne Ende regnet, als ich nach Delias Verkündung, dass ihre Mutter erst am nächsten Morgen zurückkommt, in meinem Schlafzimmer am Fenster stehe. Ich habe mir meinen übergroßen gelben Wollpullover übergezogen, dazu meine dunkelblaue Schlafhose, die ich bis jetzt fast jede Nacht hier getragen habe, während Delia im Badezimmer ist. Ich habe einen Moment lang darüber nachgedacht, ihr einen von meinen gemütlichen Pullovern, die ihr möglicherweise zwei oder drei Nummern zu groß sein dürften, anzubieten, aber halte mich davon ab. Schließlich wirkt ihr großes, graues T-Shirt auch nicht gerade ungemütlich. Langsam drehe ich mich um und sehe zu meinem Wohnzimmer. Ich habe das Sofa mit meinen gemütlichen Wolldecken und einem großen Kissen mit einem hellgrauen Fellbezug bestückt und die Lichterkette auf der Fensterbank angeschaltet. Habe ich mir zu viel Mühe gemacht? Zu viel Mühe für eine junge Frau, die mir immer wichtiger wird und in die ich mich langsam und sicher immer mehr verliebe?

Fading Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt