chapter 1

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Es waren Wochen vergangen. Wochen, die sich anfühlten wie Jahre. Ich lag in Ramiels Bett und fühlte mich verloren. Zuerst war es anders gewesen. Ich hatte gewütet, gesucht, war jeder Möglichkeit, jedem Hoffnungsschimmer nachgejagt. Doch es waren bittere Enttäuschungen und jede einzelne hatte mich etwas weiter aus der Bahn geworfen. Und jetzt lag ich hier. Mit Blick über die Goldene Stadt, bis hoch über die Vulkanebene zum immer brennenden Fegefeuer am Himmelszelt.

Die Hand auf meinem Rücken wanderte nach oben in meinen Nacken und strich meine Haare zur Seite. Meine rosa Strähnen waren ausgeblichen. Meine blonden Haare so hell, dass sie fast weiß waren. So lange war ich schon in der Hölle.

Ich schloss die Augen, während seine Finger begannen meine Kopfhaut zu massieren. Ich wusste, dass es Gerüchte gab. Prekäre Gerüchte, doch sie waren mir egal. Mir war alles egal, was nicht mit Ramiels Befreiung zu tun hatte.

Diese Wochen hatten mich viel über die Hölle gelehrt, über ihre Dämonen, ihre Fürsten und ihren Prinzen. Gedankenverloren malte ich die Zeichen der Häuser auf das Bettlaken. Zu jedem Fürsten mit seiner Todsünde gehörte ein Haus. Und jedes Haus bestand aus einer Gruppe Dämonen, die sich ein Platz gesichert hatten. Azalee hatte mir erklärt, dass Balthazar Beelzebub ermordet hatte und seitdem seine Funktion als Dämonenfürst einnahm. Die einzigen bedeutenden Gruppierungen außerhalb dieser Häuser waren die Hohe Garde und die Elite.

Azalee hatte mir noch viel mehr erzählt, doch es gab Tage, an denen ich mir nichts merken konnte. Tage, an denen ich nichts schaffte, außer zu atmen. Ich konnte keine Magie wirken, mich nicht einmal vom Bett aufraffen und meine Wut war in etwas umgeschlagen, dass mir deutlich mehr Angst machte.

Ich schlief noch viel weniger als sonst, weniger als je zuvor. Azael hatte angemerkt, dass Dämonen oft keinen Schlaf brauchten, aber ich wusste, dass es bei mir anders war. Ich brauchte ihn. Dringend. Doch ich konnte nicht schlafen und wenn ich doch mal einschlief, ließen meine Träume mich das ganz schnell bereuen. Ich redete mir ein, dass ich mich an den Schmerz gewöhnte, dass es schon viel weniger wehtat und dass ich mit jedem Tag, den ich überstand, stärker wurde. Doch dem war nicht so. Ich spürte, wie mein Körper immer schwächer wurde. Wie meine Magie sich zurückzog, wie ich mich selbst verlor, doch ich konnte nichts dagegen tun. Ich fühlte mich machtlos und unfähig. Mit jedem Tag etwas mehr.

Ich hatte alles versucht, um nicht den Mut zu verlieren. War zu der Höhle gegangen, die Ramiel mir gezeigt hatte. Stand stundenlang auf dem Balkon, auf dem wir gefrühstückt hatten. Starrte Ewigkeiten auf die Zeichnungen, die ich von ebendiesem Ort angefertigt hatte, fast ein Jahrzehnt, bevor ich ihn das erste Mal betreten hatte. Las Bücher erneut, die ich in seiner Gegenwart gelesen hatte. Doch ich konnte nicht mehr.

Anfangs fühlte sich meine Wut unkontrollierbar an. Nur das Training mit Azael und manchmal auch mit Ale, bei dem ich den größten Teil meiner Wut rauslassen konnte, sorgte dafür, dass ich niemanden umbrachte.

Doch etwas Merkwürdiges passierte eines Nachts in der Bibliothek. Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal geschlafen hatte. Ich hatte mich unter Kontrolle, meistens, aber an diesem Abend war es anders.

Ich wusste nur, dass es schon spät war, weil die Uhr an meinem Handgelenk stetig weiter tickte und ich war rastloser als sonst. Ich wusste nichts mit mir anzufangen, hatte alle Bücher, die mir hilfreich erschienen, schon durchgelesen, hatte alle, die in den letzten Tagen mit mir sprechen wollten, innerhalb von Sekunden vergrault. Auch dafür war die Uhr gut. Zehn Sekunden hatte es gestern gedauert, bis der Dämon, der mir eine Nachricht überbringen sollte, mit schnellen Schritten und gesenktem Blick die Bibliothek verlassen hatte. Fünf als mich letzte Woche eine Dämonin zum Essen überreden wollte.

In der Bibliothek fühlte ich mich Ramiel nahe. Es war seine. Hier hatte er die meiste Zeit verbracht. Und es war der Ort, an dem ich mich schon immer am wohlsten gefühlt habe. Die Nähe von Büchern, hohen Fenstern samt breiten Fensterbänken und gemütlichen Erkern gab mir Sicherheit. Würde Ramiels und meine Geschichte nachgespielt werden, wäre Bibliotheken nahezu alles, was man für das Setting bräuchte.

An jenem Abend war ich besonders wütend, erschöpft von den zahlreichen Versuchen, die zu nichts führten, der ständigen Angst und Sorge um sein Wohl und gelangweilt von den Versuchen der Hohen Garde, mich zur Kooperation zu zwingen. An diesem Abend platzte mir der Kragen, als Cael hereinspaziert kam. Er fragte mich, ob in diesem Buch nicht etwas Sinnvolles stand und deutete auf einen Stapel, den ich bereits viermal durchgelesen hatte. Er legte fragend, mit einem spöttischen Zug um den Mund den Kopf schief und ich rastete aus.

Ich warf ihm allerhand gemeiner Sachen an den Kopf, froh endlich meinen Frust rauslassen zu können, ließ mich lang und breit darüber aus, wie unfair er mich behandelt hatte und wie nervig seine stets formelle Art war. Ich tobte und wütete und er ließ mich. Er ließ es zu, dass ich ihm blaue Flecke verpasste, ihn schubste und im nächsten Moment mit dem Kragen zu mir zog. Er sah weiterhin teilnahmslos zu, als ich sein Schwert nahm und es ihm an die Kehle setzte. Und erst da verstand ich, dass uns beide genau dasselbe quälte.

Die Liebe zu einem Mann, der dem Tod näher war als dem Leben.

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Willkommen zurück und willkommen bei Throne of Blood ❤️
Ich bin gespannt, was du zum Beginn des  Buches sagst und freue mich sehr, dass du hier bist!🤍
Wie geht es dir? Wie war dein September?
Bei mir war viel los, deshalb habe ich es auch nicht früher geschafft den zweiten Teil von Vios und Ramiels Geschichte hochzuladen. Wir sind in der Wohnung inzwischen so gut wie fertig und ich hatte zwei Abgaben bis gestern, mit denen zum Glück auch alles geklappt hat, sodass ich jetzt mehr oder weniger bereit für das dritte Semester bin.
Ich wünsche euch ein super schönes langes Wochenende ✨

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