chapter 16

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Kalte Tücher lagen auf meiner Stirn, auf meinen Augen, die wieder angeschwollen waren. Mein ganzer Körper pulsierte vor Schmerz. Ich schmeckte Blut. Es war als würde ich jeden Tritt, jeden Schlag, den Baseel gelandet hatte noch einmal erleben. Wieder und wieder.

„Ich dachte, dass meine Worte Warnung genug waren, Viona." Ich kannte die Stimme.
„Varaine, was ist mit ihr passiert?" Das war Ale. Ale, die seltsam weit entfernt und fremd klang.

„Sie hat sich in fast in der Magie des Clubs verloren. So wie du. Ihr hättet es besser wissen müssen. Wenn man derart anfällig für die Magie des Clubs ist, wie ihr es wart, saugt sie einen auf und lässt nur noch leere Hüllen zurück. Dass Viona es noch aus ihren Fängen geschafft hat, ist ein Wunder. Ich habe noch nie erlebt, dass ihre Magie bereits so weit vorgedrungen ist und dann doch noch zurückgedrängt werden konnte." Es war der Hexenmeister, der sprach. Mit der bläulichen Magie und den alten Augen.

Die Wunde zwischen meinen Rippen pulsierte. An meiner Wange lief Blut hinunter. Meine Fingerknöchel schwollen an. Alles war Schmerz. Ich taumelte auf der Kante zur Bewusstlosigkeit herum.

„Wie kann es sein, dass unsere Heilung wieder rückgängig gemacht wurde? Von so etwas habe ich noch nie gehört." Es kam keine Antwort. Ale nahm meine Hand, rückte die Tücher auf meinem Gesicht zurecht und kontrollierte meine Verbände.

„Ich auch nicht, Azalee." Er schwieg eine Weile. „Es könnte an der Wunde liegen. Wir kennen die Magie des Dolches nicht. Vielleicht lassen sich seine Wunden nicht einfach heilen." Ich verlor das Gleichgewicht und fiel in die Nebel der Bewusstlosigkeit.

Ich wusste, dass die Sonne auf und unterging. Ich hörte Ale, Azael und Cael. Den Hexenmeister, Nakir und auch Alex, Ellie und Sumi. Ich hörte ihre Stimmen, konnte aber nicht verstehen, was sie sagten. Ich kämpfte mich auf die Kante, schaffte es aber nicht, das Bewusstsein zurückzuerlangen. Ich fiel immer wieder auf der falschen Seite hinunter. Ich fiel und taumelte, kämpfte, taumelte und fiel erneut.

Als der Nebel sich endlich lichtete, war ich allein. Allein in einem fremden Zimmer. Sterne tanzten durch mein Blickfeld, als ich mich vorsichtig umsah. Dunkelheit lauerte am Rand meines Bewusstseins, bereit mich zurückzuholen. Ich blinzelte und sah mich um ohne mich zu bewegen. Der Schmerz pulsierte wie ein ständiges Echo durch meinen Körper. Ich durfte ihm nicht zu viel Raum geben.

Etwas essentielles stimmte nicht. Ich machte eine Bestandsaufnahme. Meines Körpers und meiner Seele. Etwas fehlte. Ich erinnerte mich an das Gespräch von Ale und dem Hexenmeister, Varaine hatte sie ihn genannt. War etwas von mir in diesem Club, in der Magie dieses Clubs zurückgeblieben? Ich erschauderte und musste unwillkürlich an den Kampf und die anschließende Nacht zurückdenken. Die Erinnerungen waren verschwommen, aber sie waren da. Tränen liefen aus meinen Augenwinkeln direkt in das Kissen unter mir. Was hatte ich getan?

Irgendwann betrat der Hexenmeister das Zimmer. Er redete mit mir, war augenscheinlich erleichtert, dass ich bei Bewusstsein war. Mein Blick war aus dem Fenster gerichtet, an den dunkelblauen Vorhängen vorbei, in den Wald. Ich beobachtete, wie das Licht in die Bäume fiel und wie es sich veränderte, als die Sonne unterging. Wie das Mondlicht seine Schatten warf. Wie die aufgehende Sonne die Blätter zuerst in buttergelbes und dann in orangerotes Licht tauchte. Ale war da, Cael und Azael. Dann Alex, Sumi und Ellie. Unerbittlich rannen Tränen aus meinem Augenwinkel. Meine Verbände wurden gewechselt, meine Wunden eingecremt. Ich stand nur auf, um in das angrenzende Badezimmer zu gehen. Ich sollte etwas trinken, meine Kehle war ausgetrocknet, aber ich weigerte mich.

Die Panik lähmte mich. Die Panik über das, was ich getan hatte und die Panik über das, was mir fehlte, was mir die Magie des Clubs gestohlen hatte. Ich wollte es zurückhaben. Ich brauchte es. Ich war wie erstarrt. Gefangen in meiner Schuld, meiner Trauer, der Ungewissheit, dem Schmerz.

Ales Stimme verfolgte mich. Sie hatte den Hexenmeister flüsternd gefragt, ob ich einen Teil meiner Seele in dem Club verloren hatte. Und das Schweigen, seine Antwort, hallte und dröhnte in mir wider.

Ich war wach, tagelang, die ganze Zeit und es war Folter. Und dann als ich doch einschlief war es schlimmer. Ich träumte von Ramiel. Von dieser Zelle und den Ketten und den Verletzungen, den Narben, den Verbrennungen. Von seinem verlorenen Blick. Meine Brust schmerzte. Jeder Atemzug tat weh.

Es war mitten in der Nacht und stockfinster draußen. Ich drängte die Panik zurück, klammerte mich an mein Mantra. Die Bilder verfolgten mich, die Dunkelheit ließ sich nicht zurückdrängen, es war als wäre sie ein Teil von mir. Ich zählte mit, sagte mein Mantra auf und passte meine Atemzüge an.

Eins. Ich bin nicht allein.
Wir werden Ramiel zurückbekommen.

Zwei. Ich bin nicht allein.
Wir werden Ramiel zurückbekommen.

Drei. Ich bin nicht allein.
Wir werden Ramiel zurückbekommen.

Als die Sonne aufging, saß ich noch immer kerzengerade in meinem Bett. Mein Atem war noch immer zittrig und diese Stelle in meiner Brust pochte unablässig.

Plötzlich war da der Sog, der Sog, der sonst immer nur auftauchte, wenn ich mich nach der anderen Welt sehnte und in die Hölle teleportieren wollte. Ich wehrte mich gegen ihn, wollte ihn zurückdrängen, doch er zerrte unablässig an mir. Bis ich nachgab, weil ich wusste, dass er mich sonst zerreißen würde.

Ich landete auf dem Boden, nicht wie sonst auf den Füßen, sondern auf den Knien. Ich wollte aufstehen, doch es war als würden unsichtbare Fesseln mich zurückhalten. Der Boden hielt mich fest, als wären wir zwei verschiedenartige Magnetpole, die sich nicht voneinander lösen konnten. Ich konnte mich nicht rühren. Meine Hände, mit denen ich mich abgefangen hatte, ließen sich nicht vom Boden heben.

Und dann traf mich die Kälte. Mit einem Schlag presste sie mir die Luft aus den Lungen und mit Entsetzen bemerkte ich, dass das worauf ich kniete, woran ich klebte, eine Eisfläche war. Um mich herum war alles dunkel. Meine Magie begann in mir zu brodeln, bereit das Eis, das mich gefangen hielt zum Schmelzen zu bringen. Sie wärmte mich, breitete sich aus, begann zu brodeln und ich webte goldene Fäden in das Eis unter meinen Händen und Knien. Das Eis begann zu glühen und zu knistern. Dann erstarb meine Magie. Wie eine Kerze, die ausgepustet wurde. Einen letzten Moment spürte ich ihre Wärme, dann war sie verschwunden, wie flüchtiger Rauch im Wind verweht.

„Viona."

Ich erstarrte, konnte noch immer niemanden sehen, aber ich erkannte die Stimme. „Alicia." Mein Zähneknirschen durchdrang die eisige Stille. Um mich herum begann das Eis zu leuchten, sodass sie mich eindeutig sehen konnten und ich sie nicht.

Ich trug eine kurze schwarze Hose und ein großes T-Shirt und die Kälte war bereits bis in mein Innerstes vorgedrungen. Die Wunden unter meinen Verbänden pochten. Ich sah zu, wie mir das letzte bisschen Wärme in Atemwolken entwich.

Ich hatte Alicia und Olivia das letzte Mal in der Finsternis gesehen. Wir hatten sie dort zurückgelassen, um zu entscheiden, was wir mit ihnen machen wollten. Es war mir unbegreiflich, wie sie unbemerkt hatte entkommen können. Und ich verstand nicht, wo ich war und wieso ich meine Magie kaum noch spüren konnte.

„Ich kann nicht glauben, dass du das hier tust." Meine Stimme war eisiger, als die Flocken um uns herum und klirrte vor Kälte.

„Ich auch nicht." Etwas in ihrer Stimme irritierte mich, ließ mich aufhorchen. Sie klang nicht triumphal, mehr noch, sie klang niedergeschlagen. „Ich wollte nicht mehr, weißt du?" Sie kam näher. „Ich hatte meine Lektion gelernt. Ich wollte nicht weiter machen." Ein pfeifender, hoher Ton entkam ihr. „Ich habe keine Wahl." Dann stand sie plötzlich über mir und zückte ihr Messer.

Ich versuchte auszuweichen, doch mein Bewegungsspielraum war derart gering, dass es mir nicht annähernd gelang.

„Halt still." Sie zog das Messer über meine Kehle.

Throne of BloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt