chapter 10

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It's a new page in the same book
It's a new game with the same rules
...
I'd run away
But there is nowhere to go
So I'll stand and fight
- Tracy Chapman

Mit einem Handtuch um meinen Körper verließ ich die Dusche und stellte mich vor einen der Spiegel. Den Filmabend mit Ellie hatte ich gestern so dringend gebraucht, wie noch nie. Wir hatten stundenlang eine Reality Show geschaut, Ben und Jerrys und Pizza gegessen und zum Einschlafen ein Kinderhörbuch gehört.

Ich trug meine Nuud Deo Creme auf und kämmte meine Haare. Das musste reichen. Zwei Studentinnen betraten die Duschräume und mich traf ein Dé­jà-vu, bis ich erkannte, dass die beiden nicht Alicia und Olivia waren. Sie waren nicht einmal Dämoninnen.

„Hey Vio." Ich drehte mich zu den beiden um.
„Jessi, hi", begrüßte ich Alex Freundin. „Wie gehts dir?" Mein Puls raste. Dabei war auch nicht hilfreich, dass Jessis Freundin mich skeptisch musterte. Das hier ist nur Small Talk, redete ich mir gut zu, das schaffst du mit links, Vio.

„Gut und dir? Alex meinte, du warst die letzten Wochen bei deinen Verwandten."
Ich lächelte angestrengt. „Mir geht es auch gut und ja, genau." Ich kämmte meine Haare weiter und hoffte, dass das die Unterhaltung beendete.
Jessis Freundin schlug sich die Hand vor den Mund und kicherte. „Oh mein Gott! Du hast vergessen, dich zu rasieren!"

Ich senkte meine Arme und lief rot an. Jessi stieß ihre Freundin an. „Vergiss, was Pam gesagt hat", sagte sie zu mir und wollte ihre Freundin davonziehen.
„Aber das ist so... eklig und unhygienisch", jammerte diese. Und ehrlich, ich hätte es auf sich beruhen lassen, aber das war zu viel. Meine Scham verwandelte sich in Wut.

„Warum rasiert du dich?", fragte ich und ging auf sie zu. „Warte, weil du es schöner findest, richtig?" Sie sah mich an, als wäre ich verrückt geworden. „Und jetzt frage ich dich, was glaubst du hat dafür gesorgt, dass du es schöner findest? Ist es wirklich deine eigene Vorliebe oder ist es eher die Gesellschaft?

Werbungen für Rasierer mit schönen, schlanken glattrasierten Beinen oder Achseln?Werbungen, in denen natürliche Körperbehaarung als unhygienisch dargestellt wird, obwohl es genau das Gegenteil ist? Ich würde sagen, du hast die gesellschaftlichen Anforderungen an den weiblichen Körper schon so weit internalisiert, dass du nicht mehr weißt, dass es nicht deine eigenen sind. Wer profitiert davon, dass du dich rasierst? Wer verdient damit Geld? Wem gibst du Kontrolle darüber, wie du deinen eigenen Körper siehst?" Damit nahm ich meine Sachen und rauschte aus dem Bad. Ich stürmte in mein Zimmer, warf mich auf mein Bett und begann zu weinen.

Ich ärgerte mich, dass ich überrumpelt gewesen war und dass ich mich geschämt hatte.
„Es ist so albern", schniefte ich etwas später, als ich Alex von der Begegnung und den Kommentaren erzählte. „Dass ich mich davon habe treffen lassen, obwohl ich viel größere Probleme habe." Und dann erzählte ich alles. Ich erzählte davon, dass ich den Offizier umgebracht hatte und die Waffe nun in Gewahrsam war, von Ramiels Entführung und unserer Suche nach ihm. Ein bitterer Geschmack überdeckte die Erleichterung. Ich konnte Ramiel jetzt besser verstehen, als mir lieb war. Denn ich durfte es ihnen nicht sagen. Ich durfte niemandem die Wahrheit sagen.

„Oha," Alex drückte mich fester. „Kein Wunder, dass du so fertig bist." Mehr sagte they nicht und das war gut so. Es gab nichts, was dafür sorgen konnte, dass es mir besser ging und das wusste they.

Sumi und Ellie kamen und ich hörte an Sumis Stimme sofort, worum es ging. „Es ist einfach unfassbar! Sie lösen alles, absolut und restlos alles, mit Sex! Du kannst es dir nicht vorstellen, Ellie. Wenn man diese Seiten raustrennen würde, wäre nichts mehr von dem Buch übrig. Und ich mag das ja eigentlich und ich mag Hades und Persephone ja auch, aber das ist selbst mir zu viel."

A touch of ruin", flüsterte Alex mir verschwörerisch zu. „Es war zwischendurch echt anstrengend und Sumi hatte sich ziemlich darauf gefreut."
„Da seid ihr ja! Also, ich habe Gesprächsbedarf, Leute." Ellie grinste mich an, als sie mir eine Tasse reichte und ich grinste zurück. Sumis Energie überfiel uns alle wie ein Wirbelsturm. Irgendwann konnte sie kaum noch zusammenhängende Sätze formulieren.

„Hey Sumi." Sie sah mich an. „Zeigst du mir deine neuen Lieblingslieder?" Und dann saßen wir da, ich hatte mich in Ellies Ausgabe von Kingdom of the Wicked 2 vertieft, Sumi las ihre Lieblingsstellen in Covet, um sich zu beruhigen, Alex tippte auf ihrem Handy herum und Ellie las Das Mädchen mit der lauternen Stimme von Abi Daré.

„Wie ist das Buch?", fragte ich sie, als ich unsere Tassen auffüllte.
„Richtig toll." Ihre Augen glänzten. „So bewegend und leider so realistisch, dass es wehtut."

„Wenn du durch bist, würde ich es gerne lesen." Ellie hatte einen tollen Buchgeschmack, was feministische und antirassistische Bücher anging. Und auch mit Romanen, die zwar erschreckend realitätsnah und schmerzhaft waren und dennoch eine einzige Wohltat, weil sie daran erinnerten zu hoffen und zu kämpfen.

„Gerne." Zufriedenheit breitete sich in mir aus. Natürlich musste ich von meinem neuen Wissen erzählen, das würde ich, aber erstmal war das hier genau, was ich brauchte. Eine Atempause.

Das Semester hatte wieder begonnen und deshalb schlichen wir uns wie in alten Zeiten gegen Mitternacht zurück in unser Wohnheim. Es kam mir vor, als wären Jahre vergangen, seit dem Abend, an dem wir das das letzte Mal gemacht hatten. Mit dem Gefühl ruhiger warmer Zufriedenheit und sogar einem leichten Hoffnungsflimmern ging ich ins Bett. Und hätte es besser wissen müssen.

Der Alptraum war sogar für meine Verhältnisse grausam. Ich wachte auf mit einem stechenden Schmerz in der Brust. Ich schnappte. Nach Luft und durch einen kalten Zug bemerkte ich die Tränen, die ich geweint hatte. Ich erinnerte mich nur an die Dunkelheit aus meinem Traum, an einzelne Fragmente, die keinen Sinn ergaben. Mir war eiskalt und das war merkwürdig, denn ich war mir sicher, dass mein Traum in der Hölle gespielt hatte. Ich wünschte mir die Träume von dem Gefallenen Engel zurück. Noch immer tanzten rotglühende Punkte hinter meinen geschlossenen Lidern. Ich merkte, wie sich meine Kehle zuschnürte. Ich sah mich um und bastelte mir ein Mantra.

Mein Sternbild ist über mir.
Mein Bücherstapel ist neben mir.
Ich bin in meinem Zimmer.
Ellie ist bei mir.
Ich bin nicht allein.

Ich tastete nach meiner Magie und ließ sie mich aufwärmen, während ich das Mantra ein ums andere Mal wiederholte.

Throne of BloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt