chapter 4

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Ira petit sanguinem.

„Nenne mir den Fürsten zu diesem Zeichen." Ale hielt ein schwarzes Emblem mit einer dunkelroten Weintraube hoch.
„Völlerei."
Das nächste Zeichen war eine silberne Schlange auf dunkelgrünem Stoff.
„Neid. Die Farbe ist Silber. Die Fürstin hat silberne Haare, kaum zu übersehen und ist angsteinflößend", wiederholte ich Ales Wortlaut von der gestrigen Einheit.

„Sehr gut", lobte sie mich. „Wie viele Höllenfürsten gibt es?"
„Sieben." Ich schaute nicht hoch, sondern hielt den Blick auf das Blatt vor mir gesenkt. Ich konnte schon immer gut nachdenken, wenn ich malte. Dann war mein Kopf freier und ich konzentrierter.
„Aber...?"
„Vor Urzeiten waren es mal acht."

„Letzte Frage. Welchem Haus steht Ramiel vor?" Ich knirschte mit den Zähnen und die Spitze meines Bleistiftes brach ab. „Ich weiß, wir reden nicht darüber. Aber ich muss wissen, ob du es weißt. Ich will dich nicht ins offene Messer laufen lassen. Wissen ist Macht und Unwissenheit kann hier den Tod bedeuten."

Ich seufzte. Sie hatte recht, aber immer, wenn ich daran dachte, dass Ramiel mir nach allem noch immer nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte, wurde ich rasend vor Zorn. Was mich unter den gegebenen Umständen nur noch wütender werden ließ.
„Zorn. Er ist der Fürst des Zorns. Emblem schwarzes Schwert auf rotem Grund."
Ale nickte, ihr aufmerksamer Blick noch immer auf mir. Ich zeichnete weiter, drängte die Wut in mir zurück und sperrte sie weg.

„Wir machen morgen weiter. Wir treffen uns ja gleich mit Azael und Cael. Ich finde es übrigens toll, dass ihr zwei euch endlich versteht."
Ich nickte nur. „Bis dahin werde ich ein bisschen in die Bibliothek gehen." Ich brauchte dringend Ruhe. Ales wachsamer Blick lag auf mir, bis ich ihr Zimmer verlassen hatte.

Sobald ich durch Ramiels Gemächer die Bibliothek betrat, fiel ein Teil der Anspannung ab. Ich blieb in dem bogenförmigen Durchgang stehen und ließ den Anblick auf mich wirken. Die Bibliothek war rund und ich hatte noch immer nicht rausgefunden, wie viele Stockwerke es nach unten gab. Ganz oben war ein kreisförmiges Glasfenster in die Decke eingesetzt, dass aus unzähligen Prismen bestand. Das Fegefeuer brach sich in diesen Prismen und warf rot leuchtende Punkte an die Bücherregale, Decken und schmiedeeisernen Geländer.

Ich schritt die Regalreihe entlang, bis ich am Geländer in der Mitte ankam, dass mich vor dem Sturz in die Tiefe schützte, und das Fegefeuer hoch über mir brennen sah. Eine der Treppen führte in einem kleinen Bogen auf die gegenüberliegende Seite, eine nach unten und eine nach oben.

Ich atmete noch einmal tief durch, bevor ich drei Stufen auf einmal nehmend die Treppen hochrannte, darauf bedacht keinen Blick nach unten zu werfen. Erst als ich oben, auf dem höchsten Stockwerk angekommen war, blieb ich stehen und strich meine Kleidung glatt. Ich stieg die letzte gusseiserne Treppe hinauf, die zu einer Aussichtsplattform führte, die sich mittig unter der gläsernen Decke befand.

Ich trat an das Geländer und starrte direkt in den Abgrund. Es ging so weit runter, dass die dort herrschende Dunkelheit selbst dem Licht des Fegefeuers standhielt. Ich sah in die Dunkelheit, bis meine Augen brannten.

Der Boden der obersten Etage bestand aus hellem Marmor und spiegelte den rötlichen Himmel wider. Die Bücherregale waren strahlenförmig von der Mitte ausgerichtet und ihr dunkles Holz barg einen starken Kontrast zu dem hellstrahlenden Marmor. Jeder Gang sah aus wie ein einzelner Sonnenstrahl und ich stand im Zentrum dieser Strahlen.

Als ich die Augen schloss, war ich überwältigt von dem Gefühl, dass mich erfasste. Blinzelnd und äußerst irritiert stellte ich fest, dass es Zufriedenheit war. Befremdlich sah ich mich um. Ich wusste, dass einige Dämonen Emotionen manipulieren konnten. Meine Magie tastete nach anderen Präsenzen und intuitiv legte ich das Schild schützend um mich. Doch es war niemand hier. Ich war allein, aber diese Zufriedenheit war mir fremd.

Ich machte es mir in einem der Sessel ganz am Ende einer der Gänge gemütlich, neben mir ein Stapel Bücher, den ich gerade wahllos zusammengesucht hatte. Ganz oben lag ein Buch mit einem wunderschönen glitzernden Umschlag, doch ich griff nicht danach. Stattdessen sah ich mich um, fest überzeugt davon, dass hier gerade etwas nicht stimmte. Dann sah ich zur Decke hoch.

Sie bestand aus perlmuttweißem Stein, eingerahmt von flammenden Verzierungen, befand sich ein Relief aus dämonischen Kriegern mit flammenden Schwertern. Und sie durchlief ein magisches Pulsieren. Blauweißer Schimmer wanderte wie ein Herzschlag durch die Verzierungen. Ich schritt den Gang entlang, folgte dem Pulsieren und erkannte die Geschichte, die sie abbildete. Es war die Entstehung einer Todsünde.

Ich wanderte von Gang zu Gang, stieg hinab, Etage für Etage und las, reimte mir zusammen und kombinierte. Auf jeder Etage wiederholten sich dieselben lateinischen Wörter. Auf der ersten waren es ira petit sanguinem. Auf der zweiten invidia pro argento. Die Geschichten ähnelten sich in ihrem Verlauf. Es begann mit einer Familie, Freundinnen, Brüdern, Feindinnen, Geliebten. Durch die Auslebung ihrer Sünde fanden andere den Tod.

Doch als ich die achte Etage bestand, fand ich kein magisches Schimmern, kein blauweißes Pulsieren. Die flammenden Verzierungen standen still, als würden sie innehalten. Ich ging von Ganz zu Gang und als ich alle bis auf den letzten durchschritten hatte, war es wieder da. Diese mir vollkommen fremde Zufriedenheit. Die Fackeln entzündeten sich, während ich auf das Ende des Ganges zusteuerte. Da fand ich es. Einen schimmernden Punkt. Nicht größer als mein Handteller. Das Pulsieren wurde stärker je näher ich kam.

Eine angenehme Wärme nahm Besitz von mir, wohltuend, einnehmend und ich folgte dem Impuls meine Hand aufzulegen. Zuerst geschah nichts. Dann spürte ich das warme Prickeln in meinen Fingerspitzen. Der Schimmer an der Wand breitete sich aus, zog Linien, formte eine Dämonin, einen Dolch, einen Mord. Ich zog meine Hand zurück und das Leuchten verblasste. Die Wand war perlmuttfarben und kein Schimmer ließ das vermuten, was ich gerade gesehen hatte.

Ich verließ die Bibliothek durch einen der Ausgänge im unteren Teil des Palastes und lief direkt zu Ales Gemächern. Ich vermisste es ein Handy zu haben und sie einfach anrufen zu können. Nach der brennenden Hochzeit, Ale glaubte, ich wusste nicht, wie alle diesen Tag nannten, hatte ich nie wieder versucht mit jemandem in Gedanken zu sprechen.

Ich vermisste meine Lieblingsmenschen, ich vermisste den Herbst, die Sonne, den nächtlichen Sternenhimmel. Und ich wusste, dass ich mich selbst damit bestrafte, dass ich mich selbst davon abhielt zu ihnen zurückzukehren, weil ich das, was ich bei ihnen empfinden würde, nicht verdient hatte. Und es war auch zum Schutz. Denn ich müsste es ihnen erzählen, ich müsste ihnen erzählen, was passiert war. Und das konnte ich nicht. Und wenn ich es niemals können würde, hätte ich es erst recht niemals verdient, zurückzukehren.

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Throne of BloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt