chapter 62

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Ich war in der Bibliothek. Über mir brannte das Fegefeuer und sandte sein Leuchten über die Regale in der obersten Etage. Alles schimmerte in einem warmen Rot, das seltsam gemütlich wirkte. Ich saß am Ende eines der strahlenförmigen Gänge und hatte den Kopf an die Wand gelehnt. Die Wand in meinem Rücken wärmte mich, während ich den Absatz in dem Buch vor mir ein fünftes Mal las und immer noch nicht verstand.

In einer Stunde fand eine Sitzung statt, in der ich Bericht erstatten musste. Zwei Tage waren seit dem Erscheinen des Blutthrons vergangen. Seitdem der Teufel von dem Gold seines eigenen Thronsaals umgebracht worden war. Zwei Tage voller Chaos, Streit und Fragen, auf die niemand eine Antwort hatte.

Die Magie der Insignien, die ich in mir katalysiert hatte, forderte ihren Preis. Ich hatte mich unbesiegbar gefühlt, mächtig, endlos. Aber jetzt war ich nur müde, erschöpft und seltsam traurig. Nachdem die erste Euphorie abgeklungen war, blieb die Ungewissheit. Ramiel war wieder er selbst. Ich sollte glücklich sein. Mich anders fühlen. Aber ich konnte mich nicht darauf einlassen. Ich traute mich nicht. Die Ringe an meinem Arm begannen zu prickeln und ich spürte ihn, bevor ich ihn sah. Er kam durch die Tür, die von seinen Gemächern zu der Bibliothek führten. Statt sich suchend umzusehen, steuerte er mich direkt an. Er trug seine Lederkluft, nach Monaten, in denen er meistens einen Anzug getragen hatte, schlug mein Herz schneller bei diesem Anblick.

„Wie geht's ihm?", fragte ich, als Ramiel vor mir zum Stehen kam. Azael war heute bei Varaine gewesen.
„Den Umständen entsprechend. Die Wunden sind gut verheilt. Jedenfalls die physischen."

Ich nickte. Seine Stimme war warm und vertraut. Ich spürte seinen Blick auf mir, hatte meinen aber auf das Buch vor mir gesenkt. Mein Sternum pochte. Meine Augen begannen zu brennen.
„Vio..." Ramiel ging vor mir auf die Knie. Sein Atem stockte, als spürte auch er die schmerzhaften Nadelstiche, die sich überall in meine Haut gruben.

„Ich muss dir was sagen." Ich räusperte mich und strich über das Tattoo an meinem Puls. „Bevor die Besprechung beginnt."
Ramiel atmete aus. Ich spürte seine Enttäuschung. „Okay."

„Als ich aus dem Saal gerannt bin...", begann ich und Ramiel versteifte sich. „Da hat Luzifer etwas gesagt. Zu Layken." Mein Körper begann zu kribbeln. Jetzt nahm ich doch Ramiels Hand. Sie war kühl, aber nicht so kalt, wie zu der Zeit, wo er keine Seele hatte. Ich sah hoch, begegnete seinem aufmerksamen Blick. Er lächelte schief, doch da lag eine Vorsicht in seinem Blick. Eine Vorsicht, die mehr als angemessen war, in Anbetracht dessen, was ich ihm zu sagen hatte. „Er hat ihn Sohn genannt."

Ramiels Miene war neutral. Er hatte eine Maske aufgesetzt, aber in seinen Augen tobte ein Sturm. „Das bedeutet, er ist mein Halbbruder." Die Wut in seiner Stimme kannte keinesgleichen. Sein Blick war für einen Moment verschwommen, dann fokussierte er mich, versuchte meine Miene zu deuten.

„Ira petit sanguinem." Meine Stimme war ein tödliches Versprechen. Zorn fordert Blut. Unsere Blicke verschränkten sich ineinander.

„Ira petit sanguinem", stimmte Ramiel mir zu. Wir verschränkten unsere Hände miteinander und der Schmerz in meinem Inneren klang ab. Er setzte sich neben mich, zog mich auf seinen Schoß, während er den Kopf in meinen Haaren vergrub. „Ich habe seine Wut immer gespürt, weißt du?" Ramiel strich geistesabwesend über meine Wange. „Und seine Wut war nie auf mich gerichtet, nicht einmal auf dich. Ich glaube, wir waren nur Mittel für ihn, um an sein Ziel zu gelangen."

Ich nickte zustimmend und strich über seinen Siegelring an meinem Finger. „Früher hatte ich eine Zeitlang immer denselben Traum. Von einem Vater und seinem Sohn. Von einem Thronsaal der rot von Blut durchtränkt war. Und von Wut, die alles vergiftete." Meine Gedanken drifteten zu diesem Traum ab. Ich hatte ihn manchmal dreimal in derselben Nacht gehabt und war immer schreiend aufgewacht. Meine Eltern wussten nicht, was sie tun sollten. Sie waren mit mir bei einer Therapeutin, ich habe ihnen erzählt, was ich gesehen habe. Ich habe es gemalt. Aber nichts hat geholfen.

Throne of BloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt