chapter 22

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Sie brannte zu hell für diese Welt. – Emily Brontë

Die Chance darauf, möge sie noch so klein sein, den Teufel töten zu können, wirkte wie ein Aphrodisiakum auf uns.
Sogar auf mich. Jedenfalls für eine Weile.

Als ich am Abend allein auf meinem Zimmer ging, bemerkte ich, dass ich mich zu früh gefreut hatte. Denn wir hatten keine Zeit, um Nachforschungen zu betreiben oder Balthazar zu befragen, um am Ende dann vielleicht doch mit nichts dazustehen. Wir hatten keine Zeit, weil er sie nicht hatte.

Das grünhaarige Mädchen lehnte an meiner Tür.
„Hey Quinn", begrüßte ich sie.
„Hier." Sie überreichte mir einen Zettel. Ich hörte Sumis Stimme von drin und lächelte unwillkürlich. „Varaine wollte sichergehen, dass du ihn ungestört lesen kannst."
„Danke." Ich sah ihr hinterher, dann faltete ich den Zettel auseinander und fand die Bestätigung, die ich brauchte.

Es dauerte eine Weile bis ich Sumi, Alex und Ellie davon überzeugt hatte, dass es mir gutging und sie mich die Nacht ruhig allein lassen konnten. Was sie definitiv nicht wollten.
„Ich brauche Ruhe und Zeit für mich allein, ja? Ich muss das alles verarbeiten und ihr seid mir eine supergroße Hilfe, die beste Unterstützung überhaupt, aber einen Teil davon muss ich auch allein machen. Ihr könnt gerne morgen wieder herkommen? Vielleicht zum Frühstück?"

Ich dirigierte die drei zur Tür. „Und Ellie wegen Tys Geburtstag am Wochenende. Ich werde versuchen zu kommen, aber ich kann nichts versprechen, ja?" In den letzten Jahren hatte sich eine Routine bei Tys Geburtstags- und Weihnachtsgeschenken eingeschlichen. Ich schenkte ihm einen Büchergutschein und eine Kleinigkeit, oft aus dem Campus Laden. Er hatte inzwischen einen Schlüsselanhänger und einen Plüschbären mit dem Ávila Logo und ein Lesezeichen, das aus Bildern von Ellies Handletterings bestand.

Ellie nahm mich fest in den Arm. „Danke, dass du es nicht vergessen hast."
„Niemals." Ich blinzelte und erwiderte ihre Umarmung.
„Ich werde eifersüchtig", murrte Sumi und schloss sich uns kurzerhand an, woraufhin auch Alex seufzend nachgab. „Wir sind so ein liebesbedürftiger Haufen. Und ich liebe es." Sumi kicherte und drückte uns noch fester.

„Sumi, was hast du in deiner Tasche?", fragte ich, als sich etwas in meine Seite bohrte.
„Entschuldige?", empörte sie sich, als ich mich von ihr löste. „Ich verstehe die Frage nicht, Miss Cartwright. Du weißt, dass es darauf nur eine richtige Antwort geben kann."
Alex verdrehte die Augen und ich lachte leise, während Sumi voll in ihrer Rolle blieb.
Sie schien tatsächlich auf meine Antwort zu warten. „Bücher."
„Das einzig wahre."

Mein Lächeln fiel in sich zusammen, sobald die Tür sich schloss. Es war nicht so, dass ich es aufgesetzt hatte, aber zusammen mit meinen besties verschwand auch der Moment, der Moment, bevor ich tun musste, was ich jetzt tun würde.
„Varaine." Ich schloss die Tür hinter mir. Mit jeder Stufe der Wendeltreppe war ich dem hier nähergekommen, hatte gezögert, gezweifelt und mich dann doch dafür entschieden.

„Viona." Der Hexenmeister hatte eindeutig auf mich gewartet. „Ich nehme an, dass du die Information erhalten hast, um die du gebeten hast?" Ich nickte. Varaines helle Augen wurden schmal, als er mich genauer betrachtete. Es lag etwas Wissendes in seinem Ausdruck. Gestern hatte er mich genauso angesehen.

„Es ist noch etwas passiert." Der Hexenmeister war nicht überrascht. Und bevor ich es mir anders überlegen könnte, erzählte ich dieses Mal alles, was in den zwei Wochen passiert war. Varaine stellte ein Pokerface zur Schau, das seinesgleichen suchte. Er verzog keine Miene, als ich nach dem, von ihm bereits bekannten, Teil mit Alicia stockend von Ramiel erzählte. Wie fremd er mir erschienen war und was er getan hatte.

Erst als ich bei der Begegnung mit dem Teufel und seiner Forderung angelangt war, meinte ich Entsetzen und Verwirrung bei ihm zu erkennen. Als ich geendet hatte, war die Stille erdrückend. Meine Augen brannten, aber es kamen keine Tränen mehr. Gedankenverloren rieb ich mit den Fingern über die schmerzende Stelle in meiner Brust.

„Warum hast du es vorher nicht erzählt?"
Das war die entscheidende Frage. Aber ich hatte eine Antwort. Eine Begründung.

„Kennst du den Wortlaut der dritten Prophezeiung?" Varaine schüttelte irritiert den Kopf. „Als wir uns kennengelernt haben, hat Ramiel mir von den Prophezeiungen erzählt. Von der ersten Klinge und dem Amulett, das jedes übernatürliche Wesen verbrennt, das es berührt. Und er hat auch gesagt, dass niemand weiß, was die dritte Waffe ist." Ich wandte mich unter Varaines aufmerksamen Blick. „Balthazar wusste es. Er hat es mir gesagt."
„Wo die Waffe ist?"
„Nein, dass ich die Waffe bin."

Die Augen des Hexenmeisters wurden groß. Wir hielten beide den Atem an, während die Rädchen in seinem Kopf sich zu drehen begannen. Ich meinte, zu hören wie sie zischten und knackten, als er aufstand und begann im Raum auf und abzulaufen. Zwischendurch blieb er stehen, fluchte leise und wanderte dann weiter.

Schließlich setzte er sich wieder. „Und dann hast du es so gedreht, dass alle dachten, es wäre die Klinge gewesen, die den Offizier getötet hat. Genauso wie bei Baseel." Er klang außer Atem. „Das ist... brillant", staunte er. „Das ist einfach nur fantastisch, Vio."

Ich blinzelte verständnislos. „Und der Teufel weiß es. Deshalb sollst du für ihn diese Engel umbringen. Mithilfe meiner Information weißt du, dass er die Wahrheit gesagt hat, dass es tatsächlich diese beiden Engel waren, die deinen Vater umgebracht haben. Und du kannst den anderen nicht vom Angebot des Teufels erzählen, weil du dann auch erzählen müsstest, dass du die Waffe bist. Und sobald das nach außen dringt, würde sie das zu Zielscheiben machen. Würde das alle in Gefahr bringen, die du liebst. Ach du schöner Hexenkessel!"

Ich grinste unwillkürlich bei dem Ausruf, war aber sofort wieder nüchtern. „Du hast es auf den Punkt gebracht. Sie würden gegen mich benutzt werden, um mich zu kontrollieren." Ich schwieg einen Moment. „Varaine, hilfst du mir? Hilfst du mir die Engel umzubringen?"

Meine Faust lag auf dieser Stelle in meiner Brust, die ständig zu schmerzen schien. Ich trug einen Umhang und darunter meine Lederkluft inklusive der Stiefel. Ramiels Ring, der mich mit dem Haus Zorn verband, trug ich nach innen gedreht, damit das Siegel nicht zu erkennen war. Ich hatte irgendwann vergessen die Dolche mitzuzählen, mit denen ich mich bewaffnet hatte, doch den Dolch aus tintenschwarzem Onyx hatte ich griffbereit an meinem Gürtel. Daneben hingen eine Phiole und ein weiteres Gefäß, das aus weißem, undefinierbarem Material bestand.

Ich kauerte in einer dunklen Ecke, lauschte den Geräusche einer nächtlichen Stadt und wartete. Es war stockfinster und mein Herz pochte unbändig. Mein Schild lag wie eine wärmende Decke über mir und verhinderte, dass jemand meinen Atem oder mein pochendes Herz hören konnte. Ich musste lange warten, erst kurz bevor die Sonne aufging, hörte ich ein ungewöhnliches Geräusch in meiner Nähe. Ein helles Leuchten näherte sich, und wieder wartete ich, zügelte mich, bis der richtige Moment gekommen war.

Throne of BloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt