chapter 59

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Ramiel

Mein Blick fand Vio sofort. Die Menge wogte wie eine Welle zur Musik und Vio war mitten unter ihnen. Die Hände zum bunten Lichthimmel erhoben, den Kopf in den Nacken gelegt. Sie war so wunderschön. Wie sehr ich ihre blauen Haare liebte. Wie sehr ich mich nach ihr sehnte. Mein Sternum pochte. Alles in mir verlange sofort zu ihr zu gehen. Meine Nase in ihrem Haar zu vergraben. Meine Lippen auf ihre zu legen. Alles, was wir letzte Nacht gemacht hatten zu wiederholen. Und noch mehr. Sie sah aus wie eine Göttin. Das dunkelblau ihres Kleides war dasselbe wie das ihres Lidschattens und wenn sie ihre Augen zwischendurch öffnete, konnte ich von hier aus, ihre wunderschönen, strahlenden Iriden bewundern.

Sie war schön. Sie war die schönste Person, die ich je gesehen hatte. Und es erforderte alles, auch das letzte Fünkchen meiner Selbstkontrolle, um mich zusammenreißen, um mir nicht sofort einen Weg zu ihr zu bahnen. Meine Magie begehrte auf. Meine Schatten waren kurz davor hervorzubrechen. Ich schloss die Augen, biss die Zähne zusammen, versuchte mich zu beherrschen.

Ale stand mit Vios bester Freundin zusammen und sah grinsend zu mir hoch. Ich verengte die Augen und sie lachte. Azalee sah aus, als würde sie mir meine Gefühle vom Gesicht ablesen können. Wie oft hatte ich sie früher wegen ihrer Schwärmereien genervt und geärgert und sie freute sich anscheinend diebisch, dass ich jetzt endlich an der Reihe war, wie sie es mir immer prophezeit hatte. Ellie folgte ihrem Blick und schien erleichtert, als sie mich sah. Gut zu wissen.

Mein Blick wanderte zurück zu Vio. Normalerweise spürte sie immer, wenn ich sie ansah, vermutlich auch jetzt. Ihre Bewegungen waren aufreizend und mein Herz stolperte. Meine Hände umfassten das Geländer noch fester, bis meine Knöchel weiß waren und mir ein Knacken zu verstehen gab, dass ich mich lieber schnell wieder in den Griff bekommen sollte. Die Instinkte in mir waren seit der letzten Nacht, um einiges schwerer zu kontrollieren.

„Ramiel."
Ich drehte mich der Stimme entgegen. Ich war so abgelenkt gewesen, dass ich sie nicht mal kommen hören habe. „Acrasia", begrüßte ich die Fae Prinzessin.
„Wo warst du die letzte Zeit? Ich habe einige unglaubliche Gerüchte gehört." Sie lachte, entblößte ihre spitzen Eckzähne und lehnte sich direkt neben mir ans Geländer.
„Was denn so?" Ich leerte den Drink in meiner Hand. Für dieses Gespräch brauchte ich dringend Nachschub.

„Wildes Zeug, um ehrlich zu sein. Chaos in der Hölle, Reich Neid soll gefallen sein. Eine Verlobung. Eine Seelengefährtin. Es war so gut, wie alles dabei." Ihr Ton war locker, ihr Blick kokett, aber ich spürte ihre Aufmerksamkeit. Jedes Wort war abgewogen, gezielt und jede Regung von mir wurde genauestens beobachtet. Sie tippte mit ihren Fingern gegen die Unterlippe. „Hm Ramiel? Als deine Freundin, habe ich doch das Recht zu erfahren, wenn du eine Verlobte hast." Ich leerte das nächste Glas.

„Ex-Freundin", stellte ich fest. Mein Ton war hart und sie zuckte zusammen. Da verstand ich keinen Spaß und das musste sie verstehen.
„Jaaa." Sie zog das Wort in die Länge. „Aktuell." Sie grinste und ihre Hand landete auf meiner Brust.

„Acrasia." Ich wurde ungeduldig. Es gefiel mir nicht mit ihr hier zu stehen. Mein Blick zuckte an ihr vorbei. Fand sofort die Stelle, wo ich Vio das letzte Mal gesehen hatte. Und alles in mir versteinerte. Selbst meine Magie hielt inne, als wäre sie schockgefroren. Vio war nicht allein. Hinter ihr stand ein Mann. Ein Mensch. Und sein Gesicht kam mir bekannt vor.

Als die Starre nachließ, begann meine Magie zu brüllen, wie ein eingesperrtes Tier. Schatten brachen aus meiner Haut heraus. Sie züngelten um meine Schultern und formten sich zu scharfen Klingen. Bereit den Grund für meine Wut aus dem Weg zu räumen. Sie war mein. Selbst meine Flügel begannen Anstalten zu machen aus meinem Rücken zu brechen. Vor letzter Nacht hatte ich zehn jahrelang nicht mehr die Kontrolle über meine Flügel verloren und jetzt fast zum zweiten Mal.

„Ramiel." Acrasias Stimme drang durch das Rauschen zu mir. „Komm, du musst dich beruhigen. Wenn du jetzt zu ihr gehst, wirst du sie verlieren. Sie will bestimmt kein Höhlenmensch, der sie über die Schulter wirft und aus dem Club trägt." Gute Idee. Sehr gute Idee, kommentierte eine barsche Stimme in mir. Meine Schatten bahnten sich einen Weg durch die Menge. Bereit zu einer meterdicken Wand zwischen ihr und diesem Vollidioten zu werden. Als ich sie das erste Mal gesehen hatte, war er bei ihr gewesen. Und ich wünschte, ich hätte ihn damals schon umgebracht.

„Sie ist eine erwachsene Frau. Eine mächtige Dämonin. Jedenfalls zum Teil. Du musst sie ihre eigenen Entscheidungen treffen lassen. Sie wird dir das sonst nie verzeihen." Meine Schatten waren fast bei ihr angekommen, als ihre Worte mich innehalten ließen. „Wenn du ihr nicht vertraust, kannst du das mit der Verlobung sowieso vergessen." Acrasia hielt mein Gesicht in ihren Händen, sah mich eindringlich an. „Wenn du das tust, riskierst du sie zu verlieren." Sie nickte aufmunternd, als mein Blick klarer wurde. „Komm, erzähl mir, was du die letzte Zeit getrieben hast. Sie zog mich zu einem der unzähligen Separees und ich ließ es geschehen. Hauptsache ich sah Vio nicht mehr mit ihm.

Cri zog mich zu einem der Sessel und ich ließ mich hineinfallen. „Erzähl mir, was du die letzten Tage gemacht hast. Zur Ablenkung, komm." Sie reichte mir ein Glas und ich stürzte es in einem Zug hinunter. Ich versuchte nachzudenken. Versuchte mich zu erinnern. Doch es war als würde ich gegen eine Wand rennen. „Gestern war die Zeremonie. Was hast du davor gemacht? Oder heute? Vor einer Woche? Erzähl mir irgendetwas."

Mir brach der Schweiß aus. Ich suchte nach Antworten. Suchte nach den entsprechenden Erinnerungen. Aber da waren keine. Da war nichts. Weder gestern noch vorgestern. Ich konnte mich an nichts erinnern. Ich ging weiter zurück, immer weiter, durch die wabernde Dunkelheit, die meinen Kopf im Griff hatte, bis da wieder etwas war. Tiefste Finsternis. Dunkle Zelle. Einsamkeit. Schmerz.

Fuck. Nein.

Ich hörte jemanden meinen Namen rufen, als ich aufstand. Als ich über die Brüstung direkt in die Menge sprang. Die Musik verstummte und eilig begannen die ersten Menschen und übernatürlichen Wesen das Weite zu suchen. Ich steuerte auf Vio zu. Sie war das Einzige, was ich sah. Alles andere war verschwommen, undeutlich, ohne Bedeutung.

Er fasste sie an. Er hatte seine Arme um sie geschlungen und Vio sah ihn wie gebannt an. Sein Finger war erhoben und dort blitzt ein Blutstopfen. Ein Tropfen Blut reichte aus, um einen Pakt einzugehen. Oder einen anderen zu brechen. Alles in mir vibrierte und zerrte vor Wut. Meine Magie tobte, drängte mich sie freizulassen und einfach alles um uns herum in Schutt und Asche zu legen.

„Fass sie nicht an." Meine Stimme war mir fremd. Ich schleuderte ihn von ihr weg und er landete mit einem befriedigenden Klatschen auf dem Boden. Ich spürte Ale, Cael und Azael um mich herum, aber ich sah nur Vio. Sie taumelte gegen mich und sofort legte ich meine Arme um sie und hielt sie fest. Genüsslich sog sie die Luft ein, bevor sie die Augen wieder aufschlug und einen wackeligen Schritt von mir wegmachte. Der Schmerz in mir begann zu rasen. Sie fiel auf die Knie, während sie sich auf ihn zubewegte. Von mir weg.

Ein schmerzhaftes Keuchen entkam meiner Kehle. Alles in mir brannte lichterloh. Tausende von ähnlichen Szenarien hatte der Teufel mich sehen lassen und nie war ich gebrochen. Bis zu diesem einen Mal. Bis zu diesem einen Mal, wo es die Realität war, die mich brach. So wie jetzt. Ich dachte, ich kenne Schmerz. Mein ganzes Leben habe ich gelitten. Hat er an mir die verschiedensten Methoden ausprobiert und analysiert, wie viel Schmerz ich aushalten kann. Er hatte mich auf Hass getrimmt. Dabei hätte er einfach nur zulassen müssen, dass ich liebe, damit ich breche.

Und jetzt passierte es ein zweites Mal. Ich spürte es. Wie der letzte Funken meiner Seele mir entglitt. Wie der letzte Rest Hoffnung, den ich mir bewahren konnte, mit jedem Zentimeter, den sie sich ihm näherte, immer mehr verschwand. Er streckte die Arme nach ihr aus und ich konnte nicht wegsehen. Sie landete auf ihm und ich zersplitterte. Zerfiel.

Da war nur noch Schmerz. Das war mein Ende.

Throne of BloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt