chapter 20

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Alles. Alles konnte schief gehen.

Woher sollte ich wissen, wie ich zurück in meinen Körper kommen sollte? Wie ich mein Bewusstsein zurück in das Haus des Hexenmeisters bekommen sollte oder wo dieses Haus überhaupt stand. Alles, was ich wusste, war, dass das Haus in einem Wald stand oder in der Nähe von einem Wald. Und das war wenig. Viel zu wenig. Verdammt viel zu wenig.

In Filmen musste die Protagonistin es immer nur wollen, sie musste bereit sein ihr Leben weiterzuleben und die Entscheidungen zu treffen, die getroffen werden mussten. Das war ich nicht. Irgendwie schon. Aber irgendwie auch nicht.

Ich griff nach meiner Magie oder zumindest versuchte ich es. Denn da war nichts. Nur Leere. Es war als wäre ich nur das Innere einer fehlenden Hülle und ich fühlte mich machtlos, handlungsunfähig, schwach. Ohne eine Idee, was ich tun könnte, ließ ich mich durch den Club treiben, streifte durch den Glaskasten und tastete immer wieder ergebnislos nach meiner Magie. Ich suchte nach jemanden, den ich kannte, der mich sehen konnte, der mir half. Denn eines war mir in der letzten Stunde klar geworden. Obwohl die meisten Anwesenden übernatürlich waren, konnte mich keiner von ihnen sehen.

Ich meinte gerade ein bekanntes Gesicht gesehen zu haben, vertieft in ein Gespräch mit einer jungen Frau mit tiefvioletten Augen, das ich hier definitiv nicht vermutet hätte, als ich eine Veränderung in meinem Innersten spürte. Der Sog war weicher, vorsichtiger und ließ mir Raum, um mich zu widersetzen. Aber sollte ich das? Anders als bei den letzten Malen konnte ich sehen, wo ich ankommen würde. Deshalb gab ich nach, ließ mich von dem Sog mitnehmen, wie von der Strömung eines warmen, seichten Flusses.

Es fühlte sich richtiger an als vorher, aber immer noch nicht so, wie es sich anfühlen sollte. Wie es sich mal angefühlt hatte. Aber wenigstens auch nicht mehr vollkommen falsch. Und die Frage, wer mir gerade geholfen hatte, gesellte sich in die immer länger werdende Liste all meiner anderen Fragen. War es der Teufel gewesen, der wollte, dass ich seine Auftragsmorde erfülle? Oder war es Ramiel? Hatte er es geschafft, ihm zu entkommen?

Mich erwartete kein sanftes wach werden. Meine Umgebung wurde mir nicht langsam bewusst. In einem Moment war ich noch irritiert von Laykens Blick, im nächsten redeten unzählige Stimmen durcheinander und der Schmerz brach auf mich ein, als würde ich unter einem tonnenschweren Wasserfall stehen.

Meine Augen waren trocken, genau wie mein Hals, ich blinzelte und dann wurde es still um mich herum. Mit einem Stirnrunzeln fiel mein Blick auf die Menge an Menschen und Dämonen, die um mein Bett herumstanden.

„Was macht ihr da?", fragte ich heiser und griff nach dem Wasserglas, das auf meinem Nachttisch stand. Ich trank mehrere Schlucke, während die Umstehenden mich ansahen, als würden sie einen Geist sehen. Doch die Tatsache, dass ich mein Wasserglas hielt, bewies, dass dem nicht so war.

Mein Blick wanderte zu Sumi. „Maniac ist wirklich toll und du hast recht, Kingdom of the Wicked lässt sich nicht mit a touch of darkness vergleichen und können wir uns einfach darauf einigen, dass alles, was Nikola Hotel schreibt, einfach nur großartig ist?"

Ich tastete über meinen Körper und hielt mir eine hellblaue Strähne vor die Nase. Ich trug einen Måneskin Pullover, das war bestimmt Alex zuzuschreiben. They war letztes Jahr beim ersten Konzert der Band in Berlin gewesen.
„Leutee?"

Alle begannen durcheinander zu reden. Sumi und Ellie stürmten auf mich zu und fielen mir um den Hals. Alex erinnerte sie daran, dass sie vorsichtig sein mussten. Cael umklammerte meine Hand, Ale stand an Zenda gelehnt da und ließ mich nicht aus den Augen. Azael und der Hexenmeister hielten sich im Hintergrund. Varaine erwiderte meinen Blick mit einem aufmunternden Grinsen. Auf meinem Nachttisch entdeckte ich mehrere geletterte Zitate von Ellie, einige Polaroids von uns vier, das neueste hatten wir auf dem Weg zum Devils Dream aufgenommen, und einen Stapel neuer Bücher, die ich noch nicht gelesen hatte. Mein Herz machte einen riesigen Satz.

„Du musst uns alles erzählen, Vio! Wie ist das mit der Halswunde passiert?"
„Wer war das?"
„Ich bin so froh, dass es dir gut geht!"
„Geht es dir gut?"
„Was ist passiert?"
„Weißt du was Neues über Ramiel?"
„Wo warst du die ganze Zeit?"
„Wie hast du es geschafft zurückzukommen?"
„Geht es dir wirklich gut?"

Die Fragen trommelten auf mich ein, wie Sticks einer Drummerin auf ihr Schlagzeug. Azael versuchte die Anderen zur Ruhe zu bringen, aber das klappte nicht. Mein Blick flog von einer Person zur Anderen und ich kam überhaupt nicht mehr mit. Instinktiv suchte ich nach meiner Magie und fand sie. Ich war dermaßen erleichtert, dass eine blaue Stichflamme aus meiner Hand schoss. Was den positiven Nebeneffekt hatte, dass alle auf einmal ruhig waren und zum Glück niemanden traf.

„Hier ist die Zusammenfassung. Es geht mir gut. Alicia ist aus der Finsternis entkommen. Da war dieser Sog, der mich von hier weggezerrt hat. Ich weiß nicht, wo ich gelandet bin. Es war kalt und dunkel. Alicia hat mir..." Meine Stimme versagte. Alle sahen mich mit großen, erwartungsvollen Augen an. Und ich wusste nicht, wie ich es ihnen beibringen sollte. Wie ich ihnen sagen sollte, was passiert war. Was Ramiel getan hatte.

„Wie konnten das passieren?" Varaine hatte das Wort ergriffen und an Ale gerichtet, die anscheinend zum ersten Mal von deren Flucht hörte. „Und wie bist du entkommen?"
„Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht. In einem Moment lag ich noch in der eisigen Kälte und im nächsten war ich wieder hier." Hier und doch nicht wirklich hier.

„Du warst hier? Bei uns? Die ganze Zeit? Wie kann das sein..." Der Hexenmeister verfiel ins Grübeln und musterte mich gleichzeitig mit einem bohrenden Blick.
„Ich konnte euch die meiste Zeit hören." Ich versuchte mich an einem Grinsen, das, dem Blick der anderen nach zu urteilen, wohl nicht ganz gelang. „Ich bin also so gut wie auf dem aktuellen Stand. Habt ihr ihn gefunden? Wisst ihr, was Neues über Ramiel?"

Ihre Blicke waren Antwort genug. Ich presste die Lippen aufeinander und senkte den Blick. Das Drehen an den Ringen an meinen Fingern beruhigte mich normalerweise, doch gerade war davon nichts zu spüren.

Ein paar Stunden später hatte die allgemeine Aufregung nachgelassen. Ich hatte herausgefunden, dass es bei dem Gespräch zwischen Azael und Varaine, das ich gehört hatte, nicht um Ramiel gegangen war, sondern um mich. Sie hatten nach mir gesucht und nicht gewusst, dass ich wieder da war. Dadurch, dass ich mein Wasserglas umgeschmissen hatte, wurden sie aber auf mich aufmerksam.

Ellie, Sumi und Alex hatten sich zu mir auf das Bett gequetscht. Ich lag an Ellie geschmiegt, Alex kraulte mich und Sumi las uns etwas vor. Es war Balsam für meine Seele. Sie waren einfach Balsam für meine Seele und ich genoss jeden Moment mit ihnen.

Throne of BloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt