chapter 43

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Als ich aufwachte, war das Erste, was ich sah, das Sternbild über meinem Bett. Ich kuschelte mich wieder unter die Decke, während mein Blick über Ellies neustes Lettering wanderte und zu dem Buch, das wir gerade gemeinsam lasen. Anscheinend hatte Ellie mir einen Kaffee gemacht, bevor sie zur Arbeit los ist, denn es stand ein noch dampfender Latte Macchiato auf meinem Nachttisch. Ich trank ein paar Schlucke. Ein Blick auf den Kalender verriet mir, dass heute Samstag war. Ein Glück. Ich griff nach meinem Tagebuch und blätterte die letzten Einträge durch. Heute war einer dieser Morgen, an denen ich besonders verpeilt aufgewacht war, als wäre ich 56 Stunden wach gewesen und hätte dann nur drei Stunden geschlafen. Mit Alpträumen selbstverständlich. Auch wenn ich mich an diesen nicht erinnern konnte, schienen mich seinen Nachwirkungen immer noch aus der Bahn zu werfen.

Den Tag verbrachte ich in der Bibliothek und mit lesen und am Abend war ich so ausgeruht und gleichzeitig erschöpft, dass ich viel schneller als gewöhnlich einschlief.

Ich schreckte mitten in der Nacht hoch, weil ich meinte, etwas Ungewöhnliches gehört zu haben. Ellie neben mir schlief tief und fest. Ihre Haare in ein oranges Seidentuch gewickelt und die Decke bis zum Kinn hochgezogen. Ich lauschte, konnte den Ursprung des Geräusches aber nicht identifizieren.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, hatte ich Kopfschmerzen. Ich ging ins Bad, nahm mir einen kalten Waschlappen mit und legte ihn mir auf die Stirn. In meiner Brust pochte es und ich rieb beständig über die schmerzende Stelle. Während ich einen Podcast hörte, schlief ich wieder ein.

Ich träumte von einem kleinen Jungen, der gefangen in einer Zelle saß und um Hilfe schrie. Stunden um Stunden. Tag um Tag. Als ich aufwachte, war ich verschwitzt und mein Herzschlag dröhnte in meinen Ohren. Ellie schlief neben mir, doch als ich genauer hinsah, verschwamm ihre Kontur. Ich blinzelte und blinzelte. Doch mein Blick wurde nicht schärfer. Und dann holte mich ein brennender Schmerz zurück in die Realität.

„Uppsi, das war wohl etwas zu heiß", kommentierte jemand mit süßlicher Stimme.
„Ja klar, das war definitiv ein Versehen", kam eine bissige Antwort.
Schlagartig fuhr ich hoch und riss die Augen auf. Zwei Dämonen sahen mich erschrocken an.

„Äh, soll das so sein?", fragte der Dämon mit rotblonden Haaren und seine erste Irritation verschwand schnell wieder hinter einem listigen Grinsen.

„Ziemlich sicher nicht", antwortete der andere. Er war kleiner und entsprach nicht ganz diesem hundertprozentigen wunderschönen, makellosen Auftreten der meisten dämonischen Wesen. „Sag mal lieber den anderen Bescheid."

Der Rotschopf widersprach ihm, doch ich hörte nur noch mit einem Ohr zu, denn mir wurde gerade bewusst, wo ich mich befand. Und zwar in einer verdammten Zelle. Mit Hand und Fußfesseln, die mit Ketten an der Wand neben mir befestigt waren. Ketten, dessen Metall in einem goldenen Schimmer leuchtete. Und dann war schlagartig alles wieder da.

Azaels Verletzung, die Entführung von Ale, Leviatha, der erstarrte Ramiel und dann der mit Blut durchtränkte Thronsaal. Varaine in Ketten. Chimi, Henna und Nakir ausgelaugt und kampfunfähig nach der Schlacht, die sie hinter sich hatten.

„Wo ist er?"
Die beiden Dämonen hatten mich durch ihren Streit anscheinend vollkommen vergessen, denn wieder sahen sie überrascht zu mir.

„Wo ist Ramiel?" Mein Ton war leise, gefährlich und hatte etwas Lauerndes. Der Blick, den die beiden austauschten, sagte mir, dass sie es auch hörten. Ich riss ruckartig an meinen Ketten und der kleinere Dämon zuckte zusammen. Ich trug glücklicherweise immer noch meine lederne Kampfmontur, die an ein paar Stellen aussah, als wäre sie verbrannt. Was komisch war, denn sie war eigentlich feuerfest.

„Du möchtest zu unserem Kronprinzen?", fragte der rotblonde Dämon.
Ich nickte und ein breites Grinsen ließ ihn dämonischer aussehen.

„Wir erfüllen gerne jeder Gefangenen ihren Wunsch", säuselte er. „Ach nein", er hatte eine Kelle in der Hand dessen Inhalt er jetzt auf mich goss. „Das ist ja gar nicht unsere Aufgabe."

Zischend brannte sich die Flüssigkeit durch meine Uniform und in meine Haut. Im ersten Moment spürte ich gar nichts und der Dämon stutzte, doch dann fraß sich die Flüssigkeit wie Säure durch meine Haut und sandte eine Flutwelle von Schmerzen durch meinen Körper. Ich brüllte und Tränen liefen mir übers Gesicht.
„Das ist nicht unsere Aufgabe", hörte ich den kleineren Dämon zischen.

„Hast du nicht gesehen, wie sie sich die letzten Monate hier aufgespielt hat? Als wäre sie besser als wir alle? Gut genug, um zu herrschen? Über uns? Das ist so lächerlich und Dummheit muss bestraft werden." Weitere Tropfen trafen meine Haut und ich konnte einfach nicht mehr. Ich schrie und zerrte an meinem Ketten, doch je mehr ich mich wehrte, desto heißer glühten auch die Ketten und das Metall brannte sich in meine Haut.

„Das reicht." Es rauschte in meinen Ohren. Der Schmerz war so allumfassend, dass ich nicht mehr denken konnte.

„Ich denke, ich schulde dir eine Erklärung." Mein Dämmerzustand endete jäh, als ich seine Stimme hörte. So nah, als würde er direkt neben mir sitzen. „Ah, da bist du ja. Ich habe Makriel eine andere Aufgabe zugewiesen. Er schien mir etwas zu motiviert. Schließlich brauche ich dich. Noch", fügte er leise hinzu. Ich versuchte die Augen zu öffnen, doch es blieb pechschwarz. Ich versuchte meine Hände zu bewegen, doch mein Körper fühlte sich taub an. Panik breitete sich in mir aus.

„Ganz ruhig, Vio." Ich zischte und Ramiel lachte leise. Es klang hohl. Fremd. „Es würde ihn verletzten, weißt du? Wenn er wissen würde, dass ihr den Unterschied nicht bemerkt habt. Über Wochen hinweg." Lauernde Kälte lähmte mich. „Seine Geliebte, seine besten Freunde, seinen Geschwistern. Niemandem ist sein Fehlen aufgefallen." Ramiel seufzte. „Natürlich war das mein Plan, aber dennoch. Ich habe nicht gedacht, dass ihr es mir so einfach macht."

„Wie..." brachte ich heraus. Meine Kehle brannte.

„Oh, ganz einfach. Wenn ein Dämon sich von seinen Gefühlen, seiner Seele lossagt, dann erinnert er sich noch immer an alles. Er spürt, wie er sich in gewissen Situationen verhalten hätte. Er weiß, was er gesagt hätte, oder gemacht hätte. Wenn er noch eine Seele besitzen würde. Und manchmal schmerzt der Verlust sogar. Der Verlust eines Teils seiner selbst." Er lachte leise. „Aber die meiste Zeit ist es ein wahrer Segen. Endlich vor den Lasten befreit zu sein, sich um andere zu sorgen, sie zu lieben und beschützen zu wollen. Das ist anstrengend und kräftezehrend. Das kannst du mir glauben."

„Wo..."
„Die anderen? Sie sind in ähnlichen Etablissements wie du. Und meine Seele? Zerstört. Im Abyss. Das weiß niemand so genau. Was wir allerdings wissen, ist das es unumkehrbar ist. Hat ein Dämon sich einmal von seiner Seele gelöst, ist diese verloren. Für immer." Er seufzte theatralisch. „Früher besaß so gut wie kein Dämon eine Seele. Wusstes du das?" Er fuhr fort, nachdem ich keine Anstalten machte, zu antworten. „Das hat sich verändert. Zu meinem ungeheuren Leid. Ich habe viel Arbeit vor mir. Oder soll ich sagen wir? Wir haben viel Arbeit vor uns."

„Ramiel...", setzte ich an. Doch ich spürte bereits wieder, wie die Bewusstlosigkeit an mir zerrte.

„Du sprichst mich mit Kronprinz an. Oder mit mein Fürst. Auch wenn du etwas Besonderes bist, muss ich mein Image verbessern und von dir als Ramiel angeredet zu werden, würde es schwächen, von daher muss ich dich um diesen Gefallen bitten."

Ich schnaubte spöttisch. „Was willst du?", fragte ich mit letzter Kraft.
„Oh so vieles." Seine Stimme verzerrte sich. „Aber wenn du langfristig meinst, dann ist es ganz einfach. Den Himmel stürzen."

Die Zeit verschwamm. Ich ertrank in Schmerzen. In der Dunkelheit, die immer da war, wenn ich zu Bewusstsein kam. In Gedanken, die an mir zerrten. In Ängsten. Und in Wut. In Hass.

„Du bist halt etwas Besonderes, Vio. Dein Großvater ist ein Dämon. Du bist es zum Teil. Doch wie groß ist dieser Teil genau? Du bist die Klinge. Teil einer Prophezeiung. Eine der mächtigsten Waffen, denn du kannst etwas, was sonst nur selten gelingt. Einen Dämon töten und davon werde ich definitiv Gebrauch machen."

Ich wandte mich unter seinen Worten. Sie taten weh. Wie eine Endlosschleife gingen Gespräche und Wortfetzen ineinander über. Ich konnte meine Albträume nicht mehr von der Realität unterscheiden. Wusste nicht mehr, wann ich wach war und wann ich schlief. Oder ob ich die ganze Zeit bewusstlos war. Was ich wusste, war das ich Schmerzen hatte. Jede Sekunde, die ich wahrnahm. Vor Allem mein Hals tat weh, von einer Flüssigkeit, die mich von innen zu verbrennen schien. Und ich betete, dass das alles nur ein Alptraum wahr und nicht die Realität.

Throne of BloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt