Kapitel 50 - Der Beginn

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"Bist du dir wirklich sicher?" Tony beobachtete mich mit Argussaugen während ich ein Kleidungsstück sorgfältig zusammenfaltete und in meinen Koffer packte. "Es ist das Beste Dad und das weißt du.", antwortete ich ohne ihn anzusehen und rollte ein paar Socken zusammen. "Mir ist nicht wohl dabei, dass du dich in ein fremdes Land absetzt.", gab er zurück und war wahrscheinlich versucht meine Klamotten wieder aus dem Koffer zu schmeißen. "Ich setzte mich nicht ab. Ich nehme mir Urlaub, den ich mir nach allem was passiert ist auch verdient habe.", sagte ich bestimmt und wagte es das erste Mal ihm in die Augen zu sehen. "In einem fremden Land, mit fremden Menschen, mit fremden Ansichten.", hielt er dagegen. "Ich wüsste nicht, was es an Griechenland auszusetzen gibt." Er schüttelte den Kopf und ließ sich resigniert auf die Kannte meines Bettes sinken. Seufzend ließ ich meine Socken, Socken sein und hockte mich neben ihn. "Ich brauche diese Auszeit Tony.", gab ich ihm eindringlich zu verstehen. Ich wollte oder besser gesagt, ich brauchte Abstand von allem, was mich in der letzten Zeit zum Verzweifeln gebracht hatte. Ich wollte nicht mehr jeden Tag mit dem Gefühl aufwachen irgendjemandem etwa schuldig zu sein. Ich wollte mich nicht mehr jeden Tag, jede Stunde, jede Minute fragen müssen, wie es James und Steve ging. Ich wollte leben und das außerhalb des Stark Towers. Es war für mich die einzige Chance wieder einen klaren Kopf zu bekommen. "Diese Auszeit kannst du auch hier zu Hause haben. Du könntest dein eigenes Loft bekommen, in ruhe entspannen, dein Buch schreiben und dich runterfahren." Tony schaute mich beinahe flehend an, doch meine Entscheidung stand fest. "Ach Dad...Mach es mir doch nicht noch schwerer als es ist.", meinte ich und legte eine Hand an seine Wange. "Wann bist du eigentlich so erwachsen und entscheidungsstark geworden?", seufzte er und betrachtete mich gerührt. Auch wenn ich es nicht zugeben wollte, seine Worte berührten mich sehr. Unsere Beziehung hatte in den letzten Monaten sehr gelitten. Unsere ständigen Streitigkeiten hatten in mir die Angst erweckt wir könnten uns eines Tages völlig voneinander entfremden. "Ich sagte: mach es mir nicht so schwer Tony.", antwortete ich grinsend, konnte mir jedoch ein gerührtes Lächeln nicht verkneifen.

Schweigend packte ich einen letzten Haufen Kleidung in meinen Koffer und zog dann mit einem kräftigen Ruck den Reißverschluss zu. "Mein Flug geht in zwei Stunden. Wir sollten langsam los.", meinte ich zaghaft und hievte mein Gepäck vom Bett. Ich war schon in der Tür als ich merkte, dass Tony mit nicht folgte. "Dad?", fragte ich und zeigte auffordernd auf meine Armbanduhr. "Ich habe Angst, dass du nicht mehr zurückkommst Elle." Diese Art von Gefühlsausbruch war ich von ihm überhaupt nicht gewohnt, weshalb es mir in den ersten paar Sekunden schwer fiel seine Worte richtig einzuordnen. Entschlossen ging ich jedoch auf ihn zu und nahm seine Hand. "Ich werde, egal was geschieht, immer wieder zurück zu dir kommen, denn du bist mein Vater. Meine Familie.", sagte ich. Tränen sammelten sich in seinen Augen. Sofort wischte er sie fort. Natürlich, Tony Stark weinte nicht. Doch mir reichte es, wenn ich wusste, dass ich ihm unglaublich wichtig war. Ich musste nicht seine Tränen oder Verzweiflung sehen. Wenn ich eines in den letzten Monaten gelernt hatte, dann war es dass, Tony mein Vater war und ich ihm alles bedeutete.

"Ich hasse Abschiede.", stellte er anderthalb Stunden später fest und drückte meine Hand. "Mir geht es genauso. Also lass es uns kurz und schmerzlos machen.", antwortete ich. Von Natasha und den anderen hatte ich mich bereits gestern verabschiedet. Alle waren zwar traurig, aber verstanden und respektierten meine Entscheidung. Sam war mein Abschied am Meisten nah gegangen, da er nun niemanden mehr um sich hatte. Steve war ohne Nachricht fort und ich würde nun ebenfalls eine Weile nicht mehr da sein. "Letzter Aufruf für Flug 37.", verkündete die freundliche Stimme einer Flugbegleiterin durch die Lautsprecher des Flughafens. Ehe ich mich versah hatte Tony mich an sich gedrückt. "Ich werde dich vermissen Kleines.", murmelte er in meine Haarbüschel. Ich legte ebenfalls die Arme um ihn. "Ich liebe dich Dad.", flüsterte ich ihm ins Ohr und löste mich von ihm. "Lass den Stark Tower stehen. Du schuldest mir einen Martini!" Ich zwinkerte ihm zu während ich den Griff meines Koffer schnappte und rückwärts zum Gate ging. Ich wank meinem Vater noch ein letztes Mal zu, dann drehte ich mich um. Ich konnte sein verletztes und trauriges Gesicht einfach nicht ertragen. Vorbildlich gab ich meine Bordkarte, Flugticket und Personalausweis ab, ließ meinen Koffer durchleuchten und saß daraufhin schon bald im Flugzeug.

"Möchten Sie etwas Wasser Miss?" Eine freundliche Stewardess schwenkte eine gläserne Wasserflasche vor sich her. Dankend nickte ich und lächelte ihr zu als sie sich den nächsten Passagieren zuwandte. Nachdenklich schaute ich aus dem Fenster. So vieles hatte sich in den letzten Monaten verändert. Allen voran ich und das nur dank eines einziges Menschen. "Wir starten.", verkündete der Kapitän. Routinemäßig legte ich meinen Gurt an und entspannte mich langsam. Ich war schon so oft geflogen, dass wir sowohl Start als auch Landung nichts mehr ausmachten. Ein plötzliches Ruckeln ließ mich dennoch erschrocken aufsehen. Auch andere Fluggäste schauten sich erstaunt um. Gerade noch war das Flugzeug rollend über die Startbahn gefahren, doch jetzt herrschte völliger Stillstand. "Was ist da los?!", regte sich ein dunkelhaariger Mann auf. Seine Sitznachbarin schüttelte missbilligend den Kopf. Ich wusste nicht was mich dazu trieb den Gurt abzuschnallen, aufzustehen und den Gang entlang zum Ausstieg zu gehen, doch ich tat es einfach. Eine Stewardess verdeckte die Sicht auf die Tür. Ein Luftzug umwehte mich und im nächsten Moment wurde mir klar wieso wir zum Stehen gekommen waren. Jemand hatte die Tür zum Ausstieg geöffnet. "Unmöglich.", murmelte ich. "Entschuldigen Sie, was ist denn...", doch meine Worte blieben mir im Hals stecken. "Sie verstehen nicht! Ich muss zu ihr!", wetterte jemand heftig gegen eine der Stewardessen. "James.", hauchte ich tonlos und brachte mein Gegenüber zum Schweigen. Sekunden, Minuten, vielleicht auch Stunden vergingen. Es herrschte Totenstille im Flugzeug. Es war als ob jeder Gast und Angestellte etwas von der Spannung spürte, die sich unwillkürlich aufbaute. "Sie kennen diesen Mann?" Ich nickte mechanisch, immer noch zu überwältigt um zu sprechen. "Dann kennen Sie sicherlich auch den Grund wieso er den Abflug verhindert.", schloss sie und ich bemerkte wie ihr Tonfall sich änderte. "Ich würde Sie jetzt bitten das Flugzeug zu verlassen.", fügte sie hinzu und schaute mich auffordernd an. In diesem Augenblick erwachte ich aus meinem Schockzustand. "Was? Nein! Ich habe nichts getan...Ich kann...", doch ich wurde unterbrochen. "Bitte, lass uns reden Eleanor." James samtweiche Stimme rief in mir Erinnerungen zurück, die ich eigentlich schon längst weggeschlossen hatte. "Bitte.", flehte er nachdrücklich. Plötzlich war es als würden Blitze um uns herum einschlagen. Seine Augen trafen auf meine. Ich wusste welche Anziehung sie auf mich ausübten und ich gab dem nach. Keine zwei Minuten später standen wir alleine auf dem Rollfeld.

"Du hast ein Flugzeug behindert.", bemerkte ich trocken. "Das hätte ich nicht tun müssen, wenn du nicht drin gewesen wärst.", gab er zurück und griff nach meiner Hand. Erschrocken zuckte ich, ließ seine Berührung jedoch zu. "Warum bist du hier?", hauchte ich und konnte nicht verhindern, dass mein Herz immer schneller schlug. "Ich will dich Eleanor. Ich brauche dich." Meine Atmung wurde schneller und schneller, mein Herzschlag unkontrollierbar. "Ich kann nicht ohne dich. Ich möchte sehen wohin das mit uns führt. Ich will leben....Ich will lieben.", bekräftige er und schaute mir tief in die Augen. Wie festgefroren starrte ich zurück, unfähig mich zu bewegen. "Komm mit mir. Lass und alles vergessen und weglaufen vor dem was wir waren. Lass uns zu dem werden, was wir zusammen sein können.", flüsterte er und streifte mit einer Hand zart über meine Wange.

Wenigsten Regen hätte es geben können als ich die letzten Centimeter zwischen uns überbrückte und ihn küsste. Die Zeit schien stillzustehen. Nur wir bewegten uns weiterhin in ihr. Mir war egal was gerade um uns passierte, was passiert war und was noch passieren würde. Alle meine Gefühle schienen sich zu sammeln. Sie galten nur ihm. Es gab nur ihn.

Desire - Bucky BarnesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt