14

608 19 0
                                    

Elian

"Bleib stehen!", rief Billy mir hinterher.
Doch ich ignorierte ihn. Wenn ich einfach schneller laufe werde ich ihn abhängen können.
"Ich hab gesagt, dass du stehen bleiben sollst du Wichser!"
Nein, das werde ich nicht tun. Ich werde einfach weiter laufen und...
Eine starke Hand packte mich an meiner Schulter und drehte mich um.
"Denkst du, dass du mich ignorieren kannst?!"
Scheiße, Billy machte mir echt Angst.
Langsam schüttelte ich den Kopf.
"Schüchterst du den Kleinen wieder ein?", fragte Dominik der nun auch dazu kam.
"Ich? Nein, niemals.", sagte er ironisch. "Ich hab nur eine Frage an ihn. Die Hausaufgaben von Herrn Cassens. Die machst du doch bestimmt auch für mich oder?"
"Oh und für mich auch.", meinte Dominik.
Ich sagte gar nicht dazu. Mal ehrlich, hatte ich eine andere Wahl?
"Ich...", setzte ich an, doch meine Stimme brach ab. Ich kann den beiden einfach nicht wiedersprechen. Die Angst war zu groß.
Billy kramte in seinem Rucksack nach etwas und holte eine Wasserflasche raus. Er nahm einen Schluck und schaute mich an.
"Ich nehme das als Ja.", sagte er nachdem er die Flasche wieder abgesetzt hat.
Dann kam er auf mich zu.
"Wenn du nur Scheiße schreibst oder es vergisst..."
Bevor er weiter redete hob er seine Wasserflasche wieder an und schüttete sie mir über den Kopf. Ich war so geschockt, dass ich nicht reagieren konnte.
Dominik fing laut an zu lachen.
"...dann bekommst du hiervon die doppelte Ladung ab. Und dann wird es kein Wasser sein."
Er ging wieder ein paar Schritte von mir zurück und fing auch an zu Lachen.
Keine Ahnung was gerade bei mir los war, aber mein Körper reagierte überhaupt nicht auf mich. Ich wollte so schnell wie möglich weg von hier, aber irgendwie konnte ich mich nicht von der Stelle bewegen.
"Was zum Fick tut ihr da?", fragte Levin, welcher nun auch dazu kam.
"Er ist feucht geworden bei meinem Anblick.", sagte Billy.
"Du bist echt durch.", lachte Levin.
"Ach und Elian. Für Levin machst du die Hausaufgaben selbstverständlich auch."
"Was?", fragte Levin verwirrt.
"Er macht die Hausaufgaben für uns."
In Levins Gesicht sah ich, dass er irgendwas sagen wollte, doch anscheinend überlegte er genau was er sagen sollte.
Aber darauf wartete ich nicht. Endlich konnte ich mich aus meiner Starre lösen, drehte den Dreien den Rücken zu und lief davon.
"Du hast was vergessen!", rief Billy mir hinterher und ich spürte nur noch wie er mich mit der Flasche abwarf. Sie traf genau die Mitte meines Rückens. Ich ignorierte den Schmerz einfach und lief weiter.
"War das echt nötig?", hörte ich Levin noch fragen. Dabei klang er aber nicht mehr belustigt, sondern total Ernst.

(...)

Wie immer wenn mein Tag komplett beschissen war, ging ich zu Oma um mich bei ihr auszukotzen. Sie war die einzige Person auf der ganzen Welt die mir zuhörte und mich verstand.
"Hallo Oma!", rief ich durch ihre Wohnung, doch es kam keine Antwort.
"Oma?"
Immer noch keine Antwort.
"Omaaa??!!"
"Hallo?", rief sie aus der Küche.
"Hey, da bist du ja."
Sie stand am Herd und drehte sich zu mir um. Sie sah verwirrt und überrascht gleichzeitig aus. So als wäre ich noch nie unangekündigt bei ihr aufgetaucht. Obwohl ich das öfters tat.
"Anton? Was machst du denn hier?"
Mein Herz setzte eine Sekunde lang aus. Meine Sicht verschwamm und mir wurde mit einem Mal total schwindelig.
Ich hatte mit allem gerechnet aber nicht damit, dass sie mich mit diesem Namen ansprach.
Mit dem Namen meines Vaters.
Warum tat sie das? Als Scherz? Nein, sie machte darüber keine Scherze. Sie wusste was für ein Arsch er ist.
"Hast du denn schon schulfrei? Wo ist dein Bruder?"
"Oma... Ich bins... Elian."
"Elian...?"
"Alles okay bei dir?"
"Anton, wer ist Elian?"
"Ähmm... Ich... Ich muss los."
"Aber sei zum Essen wieder da!"
Tränen stiegen mir in die Augen als ich das Treppenhaus herunterlief. Was war los mit ihr? Warum erkannte sie mich nicht mehr? Wieso dachte sie, dass ich mein Vater war? Und wieso denkt sie, dass mein Vater noch zur Schule ging? Und wie konnte sie vergessen, dass Onkel Stefan in Amerika lebt?

(...)

Für all diese Fragen gab es eine realistische Antwort. Ich hab lange mit googeln verbracht und wollte es zuerst nicht wahrhaben. Doch es gab nur einen Namen für diese Krankheit.
Demenz.
Und sie hätte mir bei Oma schon viel früher auffallen können. Alles fing damit an, dass sie ihre Autoschlüssel in den Kühlschrank gelegt hatte.
Sowas war der Klassiker.
Dann die sich ständig wiederholenden Geschichten die sie mir erzählte.
Scheiße... Was machte ich denn jetzt? Ich musste mit Onkel Stefan sprechen.
Oma kann nicht länger in der Wohnung bleiben. Noch ist sie zwar keine Gefahr für sich selbst oder für andere. Aber das kann natürlich schneller passieren als man denkt.
Onkel Stefan ging zum Glück sofort an sein Handy. Ich erklärte ihm alles schnell und versuchte dabei meine Tränen zu unterdrücken.
"Scheiße, das hört sich gar nicht gut an. Oma muss unbedingt in ein betreutes Wohnen oder in ein Heim."
"Ja... Wie macht man sowas? Sie hat doch nicht Mal einen Pflegegrad oder so."
"Am besten rufen wir ihren Hausarzt an. Nein. Ich rufe ihren Hausarzt an. Die Demenz muss natürlich auch noch festgestellt werden und dann kann der Hausarzt sie in eine Pflegestufe einstufen. Hoffentlich geht das mit dem Pflegeplatz dann auch ganz schnell."
"Ja... Hoffe ich auch. Sagst du mir bescheid, wenn du ihren Hausarzt erreicht hast? Und sag ihm am besten, dass er ihr einen Hausbesuch abstatten soll. Ich glaube nicht, dass ich es schaffe sie zum Arzt zu bringen und Auto fahren sollte sie auch nicht mehr."
"Nein, da hast du Recht. Ich rufe den Arzt gleich morgen früh an. Also... Euer morgen früh. Also für mich abends... Du weißt was ich meine."
"Ja, danke Stefan."
"Nichts zu danken. Melde dich, wenn du was auf dem Herzen hast. Auch wenn es nicht um Oma geht."
Tränen stiegen mir in die Augen. Ich war wirklich erleichtert darüber, dass es doch noch Leute gibt die sich um mich sorgten.
"Das mach ich. Danke."

Forgive meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt