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Elian

"Ich werde so einen Anschiss von meinen Eltern kassieren. Wahrscheinlich hab ich die nächsten zehn Jahre Hausarrest."
"Hör auf.", sagte ich plötzlich, weswegen Levin stehen blieb und mich verwirrt ansah.
"Lass mich bitte in Ruhe... Hör auf so zu tun als wärst du nett zu mir..."
Keine Ahnung wo mein Mut plötzlich herkam. Wahrscheinlich, weil mir gerade alles über den Kopf wächst und ich Levin jetzt gerade nicht auch noch ertragen kann.
"Ich tu nicht so... Ich will wirklich nett sein."
Ich schaute ihm genau in die Augen und versuchte seinen Blick zu lesen. Seine Augen waren leicht glasig.
"Jetzt musst du aber aufhören.", sagte er und lächelte leicht.
"Womit?"
"Mich so anzugucken."
Er kam ein paar Schritte auf mich zu und aus Reflex wich ich etwas zurück.
Auch er ging plötzlich wieder ein paar Schritte und schaute verlegen drein.
"Ähm... Sorry..."
Meine Knie wurden weich. Was hatte er gerade versucht?

(...)

Ich versuchte den ganzen Tag lang einfach nicht über Levin nachzudenken und den Schultag rum zu kriegen.
Außer ein paar dumme Sprüche von ein paar Mitschülern passierte heute nicht viel. Wofür ich wirklich dankbar war.
Ich hatte bereits mit dem Krankenhaus gesprochen. Meiner Oma geht es soweit gut und sie ist ganz ruhig. Sie weiß auch, dass sie im Krankenhaus ist, wenn man sie daran erinnert. Sie wird nun solange im Krankenhaus bleiben bis ein Pflegeplatz für sie gefunden wird.
Nun war sie zumindest in guten Händen und wurde die ganze Zeit beobachtet.
Doch trotz allem schweiften meine Gedanken ab und an wieder zu Levin. Warum war er nett zu mir gewesen? Warum redete er überhaupt mit mir? Stand er vielleicht noch voll unter Schmerzmitteln, als wir uns im Krankenhaus begegnet sind?
Egal, ich musste mich jetzt auf wichtigere Dinge konzentrieren. Wie zum Beispiel die Biologiearbeit die in 2 Tagen ansteht. Da unser Lehrer kurzfristig erkrankt war, hatten wir nun 2 Freistunden. Diese wollte ich sinnvoll und in Ruhe nutzen, weshalb ich mich entschied in die Bibliothek zu gehen. Da war zu dieser Uhrzeit normalerweise keiner. Und so wie ich Dominik, Levin und die anderen kannte, würden die auch nicht freiwillig in ihren Freistunden hier sein.
Ich suchte mir einen ruhigen Platz in der hintersten Ecke der Bibliothek aus. Von hier aus strahlte die Sonne auf den Tisch, sodass dieser warm war, obwohl es draußen arschkalt war.
Gerade als ich mein Biologiebuch aufschlagen wollte, bemerkte ich, dass jemand vor mir stand. Langsam schaute ich hoch und sah Levin.
Bitte nicht.... Was wollte er? Wieso konnte ich nicht Mal zwei Stunden Ruhe vor ihm haben?
Er fing meinem Blick auf und setzte sich dann an die andere Ecke des Tisches.
"Ich brauch deine Hilfe.", sagte er schließlich und klang dabei wirklich ernst. "Bei Bio. Ich check das nicht."
Und deswegen wollte er meine Hilfe? Klar, verarschen kann ich mich alleine.
Das war doch wieder irgendein dummer Trick von ihm um mich voll zu blamieren.
"Ich weiß du hast jeden Grund mir nicht zu helfen. Ich bin schließlich der Wichser vom Dienst und du hasst mich. Verständlich. Aber ich verstehe dieses ganze Thema wirklich null und hätte mich selbst gehasst, wenn ich nicht Mal versucht hätte dich zu fragen. Also.... Hilfst du mir?"
Nein, natürlich werde ich ihm nicht helfen? Was zum Teufel ist sein Problem? Er macht mich so runter und demütigt mich wann er nur kann und jetzt soll ich ihm helfen?
Die Frage ist nur, was wird er tun, wenn ich ihm nicht helfe? Wird er sich irgendwelche Sachen ausdenken um mich nur noch mehr zu demütigen? Er weiß wo ich wohne, er hat meinen Vater gesehen. Was ist, wenn er herausfindet wie meine Eltern wirklich ticken? Wenn er es in der ganzen Schule herum erzählt? Oder wenn er herausfindet, dass ich mich selbst verletze?
Scheiße, das durfte auf keinen Fall passieren.
"Ja...", antwortete ich leise.
"Gott, danke! Ich hab das nicht verdient, ich weiß."
Er kramte sein Biologiebuch raus und legte es auf den Tisch.
War das ein Fehler? Wahrscheinlich. Schließlich saß hier Levin vor mir und wenn er irgendwas über mich herausfindet was er noch nicht weiß, wird er mich so oder so damit demütigen. Egal ob ich ihm helfe oder nicht. Andererseits, hätte ich Nein gesagt, hätte er mich wahrscheinlich vermöbelt.
"Wo fangen wir an?", fragte er.
"Was verstehst du denn nicht?"
"Alles."
Ich schaute ihn stirnrunzelnd an. Jetzt verarscht er mich aber.
"Ich mein es ernst.", sagte er, als könne er meine Gedanken lesen. "Ich hab null Plan von dem ganzen hier."
"Aber die Grundlagen von Krankheiten..."
"Versteh ich nicht."
"Also fangen wir ganz von vorne an?"
"Jap."
"Die Arbeit ist übermorgen."
"Du verstehst also mein Problem?", fragte er lächelnd.
Ich nickte nur und schlug auch mein Buch auf.
Gut, dann wollen wir mal.

(...)

Die kleine Nachhilfestunde verlief angenehmer als ich gedacht hätte. Levin war die ganze Zeit über echt nett zu mir. Er hat sogar die zwei Anrufe von Dominik ignoriert, die reinkamen.
"Also Bakterien sind meistens ganz easy zu besiegen, aber Viren sind richtige Wichser."
"Ja... sozusagen."
"Okay, dann ist mir jetzt einiges klar... Ich verkacke die Arbeit."
"Du kannst das doch."
"Ich finde ich stell mich da ziemlich dumm an."
"Ne, das wird schon."
Levin lächelte mich an. "Wenigstens einer der an mich glaubt. Das einzige was ich mit Sicherheit weiß ist, dass Penicillin aus Versehen entdeckt wurde."
"Nicht aus Versehen. Durch Zufall."
"Ist das Gleiche."
Die Schulklingel unterbrach unsere Sitzung. Die zwei Freistunden kamen mir dieses Mal tatsächlich ziemlich schnell vor.
"Ich hab noch deine Hausaufgaben.", sagte ich und holte sie aus meinem Rucksack.
"Danke.", sagte Levin und nahm sie entgegen. "Aber ich will sie nicht annehmen."
Er riss das Papier vor meinen Augen in viele kleine Teile und verteilte sie auf dem Tisch.
"Ich hätte dir das auch eher sagen können, aber ehrlich gesagt hab ich da gar nicht mehr dran gedacht und hab sie schon selbst erledigt. Hast du die Aufgaben von Billy und Dominik dabei?"
Langsam nickte ich.
"Gibst du sie mir? Ich gebe sie weiter, dann musst du den beiden nicht unter die Augen treten."
Das hörte sich wirklich gut an und aus irgendeinem Grund vertraute ich Levin in diesem Moment. Was sich schnell als Fehler herausstellen sollte.
Er nahm mir die beiden Blätter ab und zeriss sie genauso wie er es mit seinen eigenen Aufgaben gemacht hatte.
Mit großen Augen schaute ich auf die Papierschnipsel auf dem Tisch.
Scheiße! Warum hat er das getan? Er weiß doch wie das endet. Natürlich weiß er wie das endet... Genau deswegen hat er es getan...
Er will mich leiden sehen. Er will sehen wie die beiden mich vermöbeln. Wahrscheinlich machte er auch noch mit.
"Die beiden können ihre Aufgaben selbst machen."
Anscheinend sah er meinen besorgten Gesichtsausdruck, der immer noch auf den Papierschnipseln lag.
"Keine Sorge.", sagt er und plötzlich hörte sich seine Stimme so nah an.
Ich schaute hoch und erschrak ein wenig, als sein Gesicht genau vor meinem war. "Die beiden werden dir nichts tun. Versprochen."
Da war ich mir wirklich nicht sicher. Er wollte doch nur, dass ich mich in Sicherheit wiege um mir dann Schmerzen zufügen zu können.
Wieso war er so schrecklich? Wieso ausgerechnet jetzt, wenn mein Leben sowieso gerade schwer genug war?
Levin stand auf und packte seine Sachen zusammen. Ich blieb sitzen und atmete tief durch, damit mir keine Tränen in die Augen stiegen. Denn für die nächsten und letzten beiden Stunden, brauchten wir genau diese Hausaufgaben, welche Levin gerade zerstört hatte.
"Ach und übrigens Elian..."
Levin stand nun hinter mir, doch ich drehte mich nicht um. Ich wusste, dass nun ein dummer Spruch kam. Der kam immer, wenn er so tief und dominant sprach.
"An dem Abend beim Kiosk... als ich dir gefolgt bin...."
Was kam jetzt? Was für einen dummen Spruch hatte er sich überlegt.
"Ich hab nicht vergessen, was ich da gesagt habe. Ich meine das ernst."

Forgive meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt