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Elian

Mit sicheren Schritten kam er auf mich zu. Ich stand nur da und starrte ihn an.
"Jetzt bekommst du, was du verdienst!"
Ich wich nach links aus, wollte an ihm vorbeirennen, doch er hielt mich fest. Mit all meiner Kraft wehrte ich mich, krallte meine Hände in seinen Arm, doch er ließ nicht los. Er gab mir eine saftige Backpfeife, welche mich kurz taumeln ließ. Dann stieß ich ihn endlich von mir weg und rannte die Treppe hinunter. Doch bevor ich die Tür öffnen konnte, hatte er mich bereits eingeholt und schubste mich, sodass ich mit dem Kopf gegen die Wand knallte.
Ein stechender Schmerz zog durch meinen Kopf und mir wurde schwindelig. 
"Du wirst nicht einfach so abhauen!", schrie er mich an und trat nach mir.
Dann packte er mich am Kragen und zog mich wieder auf die Beine. Er schubste mich in die Küche, wo ich erneut auf den Boden fiel. Der Schwindel wurde immer schlimmer und ich hatte das Gefühl, dass ich mich gleich übergeben muss. Doch ich werde nicht kampflos ausgeben. Ich musste hier raus, sonst prügelt er mich ins Grab. Er wusste nicht wann Schluss war und wann er mir gefährliche Verletzungen zufügte.
Ich versuchte aufzustehen, meine Beine reagierten aber nicht auf mich. Ich sackte wieder auf dem Boden zusammen und konnte mich nur mit den Armen abstützen.
"Du bist so ein Schwächling.", sagte mein Vater herablassend. "Verletzt dich selbst. Sowas machen nur Schwächlinge! WIE DU!"
Er kramte in einer Küchenschublade und zog ein Messer heraus. Meine Augen wurden groß und ein Kloß bildete sich in meiner Kehle. Tränen rannen mir die Wangen hinunter.
"Du magst doch das Gefühl von einer Klinge auf deiner Haut! Du bist so widerlich! Jetzt bin an der Reihe dich zu verletzen!"
Langsam kroch ich von ihm weg und fühlte mich wie in einem Horrorfilm. Das konnte doch gerade alles nicht wahr sein. 
"Das wäre dir alles erspart geblieben, wenn du nicht abgehauen wärst. Und wenn du von Anfang an auf uns gehört hättest! Wir hätten das Haus der Alten verkaufen können! Dann hätten wir genug Geld! Aber NEIN! ELIAN MUSS WIEDER NUR AN SICH DENKEN!"
Endlich fand ich die Kraft aufzustehen. Schnell stand ich wieder auf meinen Beinen und rannte aus der Küche. Die Haustür war direkt vor mir. Wieder ein Schubs von hinten. Dieses mal landete ich auf der Treppe. Gerade noch rechtzeitig konnte ich mich mit den Händen abfangen um nicht erneut auf den Kopf zu fallen.
Mein Vater packte mich am Arm und zog mich auf die Füße. Der Schwindel wurde schlimmer und die Kopfschmerzen heftiger. Doch das war gerade meine geringste Sorge.
Er setzte das Messer an meiner Haut an. Mit aller Kraft versuchte ich mich zu wehren, doch es gelang mir nicht. Ich spürte wie das kalte Metall meine Haut aufschnitt und Blut herunterlief.
"Ich hoffe, dass dir das eine Lektion sein wird!"
Ich wimmerte und schaute auf meinen blutenden Unterarm. Mein Vater ließ wieder ab und schaute mich siegessicher an. 
"Quälst du ihn immer noch?", fragte meine Mutter, welche nun auch in den Flur trat.
"Er hat es nicht anders verdient!", schrie mein Vater mich an.
"Was haben wir bei deiner Erziehung nur falsch gemacht?", fragte meine Mutter kopfschüttelnd.
Langsam machte ich ein paar Schritte von ihnen zurück und lief eine Treppenstufe hoch.
"Hierbleiben!", schrie mein Vater. "Wir sind noch nicht fertig! Wir können mit diesem Katz und Maus Spiel aufhören, du musst mir nur das Haus übertragen, damit wir es verkaufen können."
Egal wie sehr er mich noch quälen wird. Egal wie lange er mich noch verprügeln wird. Ich werde ihm niemals im ganzen Leben dieses Haus geben. Ich werde ihn nicht dafür belohnen, dass er ein schlechter Mensch ist. Dass er ein schlechter Sohn war.
Er hat sich nie um seine Mutter geschert.
"Nein.", sagte ich mit fester Stimme.
"Nein? Schön, wie du willst."
Er ließ das Messer hinter sich fallen und sofort rannte ich wieder los. Ich rannte ins Badezimmer und schloss auch dort die Tür wieder ab.
Wo bist du Levin? Ich brauche dich... Du musst mich hier rausholen...
Mit zitternden Beinen ließ ich mich auf den Boden sinken und starrte an die Tür. Sie drehte sich. Alles in diesem Raum drehte sich. Langsam kroch ich zur Toilette. Ich musste mich übergeben.
Mein Vater stand vor der Tür und versuchte erneut die Tür einzutreten.
"RAUS HIER!", schrie meine Mutter von unten.
Dann hörte ich wie jemand die Treppen hochrannte. Es waren mehrere Leute.
Sie schrien, auch mein Vater schrie.
"Elian! Mach die Tür auf."
Levin! Er war da!
Ich stemmte mich an der Toilette hoch und wankte zur Tür. Gerade als ich den Schlüssel im Schloss umgedreht hatte, stürmte Levin herein.
"Scheiße...", flüsterte er nur als er mich ansah.
Ich musste wirklich schrecklich aussehen. Mein Arm blutete immer noch, wahrscheinlich war meine ganze Kleidung, so wie der Boden voller Blut bedeckt.
"Wir bringen dich raus.", sagte er sanft und schlang einen Arm um mich.
"WICHSER!", schrie Flynn und schubste meine Vater.
"Du kleines Arschloch! Denkst du kannst hier reinkommen und mich beleidigen!"
"Pack ihn nicht an!", schrie Thomas meinen Vater an.
"Los, Leute. Kommt.", meinte Levin und gemeinsam liefen wir die Treppen hinunter.
"Ihr kommt mir nicht so leicht davon!", schrie mein Vater und war uns dicht auf den Fersen.
Er warf eine Flasche, welche oben im Flur stand nach uns. Doch zum Glück traf diese nur die Wand.
"Mattheo?", rief Levin.
"Komme!", rief er zurück und rannte aus dem Wohnzimmer, aus welchem auch meine Mutter kam.
"Ich zeige euch an!", schrie sie und warf ihm eine Glasflasche hinterher, welche kurz hinter ihm zersplitterte.
"Kommt schon Jungs.", sagte Emma besorgt, welche die Haustür aufhielt.
Schnell flohen wir aus dem Haus. Doch ich konnte nicht erleichtert ausatmen. Denn sofort wurde ich aus Levins Griff gerissen und mein Vater verpasste mir einen Schlag ins Gesicht.
Er zog mich von den Anderen weg, zurück ins Haus.
"Nein...", sagte ich leise und versuchte mich zu befreien.
Doch ich war viel zu schwach. Es drehte sich immer noch alles um mich herum und mein Körper reagierte nicht auf mich.
"Lass ihn los!", schrie Levin ihn an und rannte auf meinen Vater zu. Die Anderen kamen ihm hinterher.
Mein Vater schubste mich durch die Tür und wieder fiel ich auf den Boden. Ich konnte mich mit meinen Armen nicht auffangen, weswegen ich erneut mit dem Kopf aufschlug. Ein leiser, wimmernder Schmerzensschrei kam über meine Lippen.
"Du bist die kleine Schwuchtel, wegen der mein Sohn abgehauen ist.", sagte mein Vater aggressiv.
"Lass ihn in Ruhe.", sagte ich so laut wie es ging und versuchte mich wieder mit den Armen auf dem Boden abzustützen. "Bitte, ich bleibe hier. Aber lass sie in Ruhe."
Mein Vater drehte sich zu mir um. "Du weißt, dass es mir auch um etwas anderes geht."
"Okay...", keuchte ich. "Du kriegst es. Tue ihnen nichts."
Mein Vater baute sich vor mir auf, ich schielte zu meinen Freunden, welche ich aber nur noch verschwommen war.
"Ich hoffe für dich, dass deine Freunde nie wieder hierherkommen und versuchen dich zu retten!"
Er gab mir einen Tritt, damit ich weiter ins Haus krabbelte und ging dann zur Tür um diese zu schließen.
Das war es jetzt also. Ich war wieder hier.
Gefangen.
Jeden Tag mit der Angst lebend, dass mein Vater mich verprügelte und meine Mutter mich psychisch fertig machte und dabei zuschaute wie ich verprügelt wurde.
Doch die letzten paar Wochen und Monate mit Levin habe ich sehr genossen. Es war eine kurze Auszeit von meinem schrecklichen Leben und dafür danke ich ihm.
Doch ich musste hierbleiben.
Ich musste weiter in diesem Haus leben, wenn ich meine Freunde nicht in Gefahr bringen will. Auch, wenn das heißt, dass ich sie nie wieder sehen werde.
"LASSEN SIE DEN JUNGEN LOS!", schrie eine männliche Stimme.
"ENTFERNEN SIE SICH VON DER TÜR!"
Geschockt drehte mein Vater sich um. "Was...", sagte er überrascht.
"WEG VON IHM!", schrie die männliche Stimme erneut.
Doch mein Vater machte keine Anstalten sich zu bewegen. Langsam robbte ich zur Seite um zu schauen, wer dort schrie.
Ich konnte gar nicht so schnell reagieren, schon rannten zwei Polizisten in die Wohnung und fielen über meinen Vater her.
"Lassen Sie ihn los!", schrie meine Mutter. "Er hat nichts getan!"
Sie wollte dazwischen gehen, was ihr Fehler war, denn sofort wurde auch sie von den Polizisten überwältigt.
Ich spürte wie zwei starke Arme mich hochhoben. Links und rechts von mir sah ich Flynn und Levin. Sie schliffen mich aus dem Haus. Ich sah alles doppelt und die Übelkeit wurde immer schlimmer. Ich schaffte es nicht mich durch meine eigene Kraft auf den Beinen zu halten.
Auf unsere Auffahrt standen zwei Streifenwagen, das Blaulicht war noch an.
Ein Rettungswagen fuhr vor und hielt vor dem Streifenwagen an.
Keine Sekunde zu spät, denn ich verlor in Levins Armen das Bewusstsein.

Forgive meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt