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Elian

Während alle Gäste sich langsam vom Grab entfernten, stand ich weiterhin davor und starrte auf den Grabstein. 
Levin hatte Recht. Die Trauer vergeht nicht, aber man lernt mit ihr umzugehen.
"Alles okay?", fragte Stefan, der plötzlich wieder neben mir stand und mir eine Hand auf den Rücken legte.
"Ja, geht schon."
"Wollen wir langsam los? Da kommt eine dicke Regenwolke. Und es tut dir nicht gut, hier die ganze Zeit zu stehen."
Ich nickte und ließ mich von Stefan zum Auto bringen. Er hatte sich das Auto von einem guten Bekannten ausgeliehen, welchen er noch aus Kindheitstagen kannte.
Als wir gerade dort ankamen, hielt uns ein älterer Mann auf. Er stellte sich als einen guten Freund von meiner Oma vor und verwickelte Stefan in ein Gespräch. Ich stieg bereits ins Auto und schaute auf mein Handy. Ich hatte nur eine Nachricht, diese war von Levin.

Levin
Wie geht es dir?

Elian
Ganz okay.

Levin
War die Beerdigung schlimm für dich?

Elian
Ja

Warum sollte ich ihn anlügen? Die Beerdigung bewies mir wieder einmal mehr, dass Oma nun gegangen war und ich sie nie wieder sehen werde.

Levin
Gehst du nach Hause?

Elian
Ja, ich will allein sein

Levin
Wenn du es zuhause nicht aushältst, dann komm zu mir. Ich bin da.

Elian
Wird schon gehen

Levin
Nein. Sag das nicht. Wenn deine Gedanken zu laut werden, dann ruf mich an oder komm einfach vorbei! Bitte, tu dir nichts an...

Ich seufzte und starrte weiterhin auf diese Nachricht. Gerade als ich ihm antworten wollte, stieg Stefan ins Auto.
"Was hast du vor? Wollen wir was essen gehen?"
"Ne, ich hab keinen Hunger."
"Willst du nach Hause?"
Ja, wollte ich. Ich will unbedingt nach Hause. Mein Handy vibrierte. Eine neue Nachricht von Levin.

Levin
Bitte ignorier mich jetzt nicht sonst komme ich zu dir und muss dich zu deinem Besten zwingen.

"Hey, da kann ja schon wieder jemand lächeln.", sagte Stefan und strich mir beruhigend über den Rücken. "Mit wem schreibst du?"
"Niemand bestimmtem."
Das war gelogen. Es war jemand Bestimmtes. Doch ich wusste nicht wie ich erklären sollte was Levin genau für mich war. Ich konnte meine Gefühle einfach nicht einschätzen.
"Kannst du mich vielleicht zu ihm bringen?"
"Zu dem, der niemand bestimmtes ist?"
"Ja."
"Aber sicher doch."
Stefan startete das Auto und ich schrieb Levin eine Nachricht.

Elian
Kann ich zu dir kommen?

Levin
Klar, du brauchst nicht fragen

Elian
Danke

"Wie heißt er denn?", fragte Stefan.
"Levin."
"Aha und er ist also Niemand bestimmtes?"
Ich seufzte und ließ mich in den Sitz sinken. "Keine Ahnung."
"Hab ich mir gedacht. Verliebt sein ist scheiße."
"Ich bin nicht verliebt."
"Sicher?"
"Ja..."
"Die ganzen Gefühle die man nicht einsortieren kann. Dieses seltsame gute Gefühl, welches man immer dann hat, wenn man bei demjenigen ist. Kommt dir das bekannt vor?"
"Ja...", sagte ich kleinlaut.
"Verliebt."
"Nein!"
"Doch."
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und sagte nichts mehr. Doch ein leichtes Lächeln blieb trotzdem auf meinem Gesicht. Vielleicht hatte Stefan ja recht.
"Ich hab dir übrigens ein Flugticket gekauft in der ersten Ferienwoche."
"Das ist nächste Woche.", stellte ich mit Erstaunen fest.
"Richtig. Ich werde Samstagabend noch abreisen müssen und du kannst Sonntag direkt nachkommen. Bring Levin ruhig mit wenn du willst."
"Ehrlich?"
"Klar, dann wird dir auch nicht so langweilig. Ihr könnt zusammen mal richtig durchatmen."
Ich weiß nicht ob ich das wirklich machen sollte. So gut kannten Levin und ich uns ja auch noch nicht. Und dann direkt eine Woche zusammen in Amerika? 
Schneller als gedacht kamen wir dann vor dem Haus von Levin an.
"Danke.", bedankte ich mich bei Stefan.
"Kein Problem. Wenn du nachher abgeholt werden möchtest, ruf mich einfach an."
"Okay, danke."
Ich stieg gerade aus dem Auto aus, als Levin schon die Haustür öffnete. Er winkte Stefan kurz zu und ließ mich dann rein.
"Lass uns hochgehen, da haben wir unsere Ruhe."
Ich nickte und folgte ihm. Als wir in seinem Zimmer ankamen, setzten wir uns auf sein Bett.
"Willst du drüber reden?", fragte er mich. 
Ehrlich gesagt hatte ich gerade keine Ahnung was ich wirklich wollte. Wollte ich wirklich drüber reden? Vielleicht sollte ich das tun.
"Erzähl mir doch wie es abgelaufen ist. Dann wirst du dich bestimmt besser fühlen."
Und das tat ich dann auch. Ich erzählte ihm wie friedlich meine Oma in dem Sarg lag und wie es dann weiter ging. In der Mitte meiner Erzählung fing ich an zu weinen. Levin nahm mich in den Arm und forderte mich auf einfach weiter zu erzählen. Und tatsächlich fühlte ich mich danach besser. Erleichtert.
Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und atmete tief durch.
"Siehst du? Es fühlt sich gleich besser an oder?"
"Ja. Danke, dass du da bist."
"Du brauchst dich dafür nicht zu bedanken. Das mache ich gerne für dich."
Wir saßen noch kurz einfach so da und ich spürte wie meine Trauer langsam immer weiter verschwand.
"Wollen wir einen Film gucken?", fragte Levin.
"Aber einen Lustigen."
"Hallo? Ich bin zwar ein Arschloch, aber ich lass dich jetzt doch keinen traurigen Film gucken."
"Hör doch endlich auf damit."
"Womit?"
"Dich selbst Arschloch zu nennen."
"Das bin ich aber. Ich meine ich hab dich auch-"
"Egal.", unterbrach ich ihn. "Du hättest Billy und Dominik fast vermöbelt."
"Das haben sie verdient. Ich werde nicht weiter zulassen, dass dir was passiert."
Ich lächelte ihn an und Levin drückte mir einen leichten Kuss auf den Haaransatz.
"Hast du in den Ferien schon was geplant?"
"Ich fliege nach Amerika zu meinem Onkel."
"Dein Onkel wohnt in Amerika?"
"Ja, schon lange. Er ist wegen der Beerdigung nach Deutschland gekommen."
Das war das erste Mal, dass ich die Beerdigung ansprechen konnte ohne, dass es mir ein Stich ins Herz versetze.
"Wie cool.", sagte Levin beeindruckt.
"Wenn du willst, dann kannst du mitkommen."
"Ehrlich?"
"Ja, er hat es angeboten."
Levin schien kurz zu überlegen. 
Okay, das war auch voll dumm von mir. Keiner von uns wusste wirklich was da nun zwischen uns war und wir kannten uns auch nicht so wie sich beste Freunde kennen. Das war viel zu überstürzt. Er wird das garantiert ablehnen. Und das kann ich gut verstehen.
"Ich komme gerne mit.", sagte er plötzlich.
"Ehrlich?"
"Klar, das wird bestimmt lustig. Ich hab sowieso nichts vor. Und ich muss dringend mal von Zuhause raus."

Forgive meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt