Elian
"....DU hast sie mit deinen Beschwerden in den Tod geschickt. Wegen DIR hat sie nicht auf sich selbst geachtet. Sie hat nur an DICH gedacht...! DU! DU, DU, DU, DU!"
Den ganzen Weg über versuchte ich die Tränen zurückzuhalten und die Schuldgefühle zu verdrängen. Beides klappte eher so semi gut.
Ich weiß nicht ob es Zufall war oder ob Levin mich erwartet hatte, doch als ich gerade auf die Haustür zulief, öffnete er diese bereits.
Er nahm mich schweigend in den Arm.
Dann nahm er meine Hand und wir gingen in sein Zimmer.
"Was ist los?", fragte er einfühlsam.
"Ich... Ich vermisse sie..."
Das war nicht Mal eine Lüge. Ich vermisste Oma wirklich. Doch die Tränen waren keine Tränen der Trauer. Sie waren Tränen gebildet aus Angst. Ich hatte meinen Vater oft wütend erlebt. Aber noch nie ist er so ausgerastet.
Levin setzte sich hinter mich, schlang seine Füße um mich und legte seine Hände über meinen Bauch.
In dieser Position verharrten wir ein paar Minuten und ich spürte stetig wie mein Puls sich etwas beruhigte und ich mich langsam entspannte. Levins Hände griffen nach meinen, beruhigend strich er über meine Handflächen. Ich schloss meine Augen und biss mir auf die Innenseite meiner Unterlippe um mir den Schmerz durch die offenen Stellen nicht anmerken zu lassen. Doch anscheinend merkte auch Levin diese Stellen, denn er hörte sofort in seinen Bewegungen auf.
Er drehte meine Handflächen nach oben um sich die offenen Stellen an der rechten Handfläche ansehen zu können.
"Lass uns das verbinden.", sagte er leise und löste sich aus der Umarmung.
Er lief kurz aus dem Zimmer und kam dann mit mehreren Verbandmaterialen wieder.
Ohne etwas zu sagen nahm er meine Handfläche und tupfte die offenen Stellen ab.
"Ist da noch mehr?", fragte er.
Ich schluckte und nickte langsam.
Er schob meinen Pullover nach oben. Über den bereits bestehenden Narben gab es weitere offene Schnitte. Ohne etwas zu sagen tupfte Levin auch hier die offenen Stellen ab.
Die ganze Zeit über starrte ich auf meinen Unterarm und meine Hand und beobachtete Levins Schritte.
Plötzlich hörte ich ein leises Schluchzen. Zum ersten Mal, seit Levin meinen Arm verband, schaute ich zu ihm.
Er weinte.
"Warum weinst du?", fragte ich besorgt.
Er sagte nichts, sondern verband meinen Arm zu Ende.
Ich ließ ihn einfach machen. Ich wollte ihn zu keiner Antwort drängen.
Als er mit dem Verband fertig war, nahm er meine Hände wieder in seine. Unsere Blicke trafen sich. Er weinte immer noch.
"Ich hab Angst dich zu verlieren.", sagte er leise.
Dieser Satz versetzte mir ein Stich ins Herz. Wieso dachte er, dass er mich verlieren würde?
"Was ist, wenn du das hier irgendwann nicht mehr unter Kontrolle hast?", fragte er. "Wenn du nicht merkst wie tief die Schnitte sind? Wenn du plötlich das Bewusstsein verlierst und du zuviel Blut verlierst? Was ist, wenn die Gedanken in deinem Kopf irgendwann zu laut werden?"
Er machte eine Pause und atmete zitternd durch. Er schaute auf unsere Hände und dann wieder zu mir.
"Was ist, wenn dir alles über den Kopf wächst? Wenn du dir das Leben nimmst?"
"Ich..." Erneut schluckte ich und versuchte die Tränen zurück zu halten.
"Ich will das nicht mehr..."
"Aber es ist schwer aufzuhören oder?", fragte er. Dies tat er ohne jegliche Vorwürfe.
Ich nickte nur.
"Schaffen wir das zusammen? Oder wollen wir dir professionelle Hilfe suchen? Ich komm auch mit. Du musst da nicht alleine durch."
Nun liefen auch mir die Tränen still und langsam über die Wangen. Noch nie hat mich jemand so verstanden wie Levin. Er verurteilte mich nicht. Er versuchte mir zu helfen.
"Wir schaffen das.", sagte ich und Levin lächelte leicht.
"Gut. Wir schaffen das."
Nun entlockte auch er mir ein Lächeln.
"Lass uns auf andere Gedanken kommen. Bis auf meine Schwester ist niemand da. Wollen wir uns im Wohnzimmer einen Film anschauen und den Kamin anmachen?"
"Das klingt gut."Levin
Fella und meine Eltern unterhielten sich am Küchentisch, während ich nur in meinem Essen herumstocherte und an Elian dachte. Ich hatte wirklich Angst um ihn und seinen Zustand. Er hatte mir zwar versprochen mit allen Problemen zu mir zu kommen und ich versuchte ja auch so gut es geht ihm zu vertrauen und ihm zu glauben. Aber mich ließ das Telefonat nicht aus dem Kopf.
Irgendjemand hatte ihn doch angeschrien und gegen sowas wie eine Tür gehämmert. So laut ist doch niemals eine Baustelle. Ich dachte an das, was Railey mir gesagt hatte. Dass seine Eltern Arschlöcher sind. War es vielleicht sein Vater der ihn so angeschrien hat? Hat er tatsächlich so heftig gegen die Tür gehämmert?
"Levin?", fragte meine Mutter und holte mich aus meinen Gedanken. "Hörst du zu?"
"Äh... Nein.", sagte ich, weswegen sie kurz lachte.
"Ich sagte, dass Julian heute vorbeikommt."
"Julian? Ist das dieser Typ auf den Fella steht?"
"Ich... Was?", sagte Fella geschockt.
Ha! Voll erwischt.
"Ich steh nicht auf den!"
Ich sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.
"Tust du wohl. Und wieso kommt der? Hat Fella ein Date mit ihm?"
"Nein, er kommt wegen dir.", sagte meine Mutter.
"Hab ich... ein Date mit ihm?"
"Jetzt werde nicht albern Levin.", meinte mein Vater.
Diese Reaktion zeigte mir erneut, dass ich meinen Eltern vorerst nichts von Elian erzählen werde.
"Er kommt um dir Nachhilfe zu geben.", erklärte meine Mutter.
"Nachhilfe? Warum?"
"Um deine Noten zu verbessern. Wann hattest du deine letzte Eins in einem wichtigen Hauptfach?"
Ich zuckte mit den Schultern. "Aber ich hab ja auch noch keine Noten bekommen. Also weiß ich ja auch nicht wie ich in den ganzen Fächern stehe."
"Levin, du brauchst diese Nachhilfe. Und Julian ist gut in der Schule."
"Ich brauche keine Nachhilfe."
"Doch, du lernst zu wenig."
"Ich kann heute aber nicht. Ich hab Basketballtraining."
"Gehst du da etwa immer noch hin?", fragte mein Vater. "Wir haben dir doch gesagt, dass wir dir das nicht bezahlen."
"Tut ihr ja auch nicht. Ich bezahle das selbst."
"Levin.", sagte meine Mutter warnend. "Wir werden darüber nicht diskutieren. Julian kommt in einer Stunde."
Ich verdrehte nur genervt die Augen und nickte.
Nach dem Essen packte ich trotzdem meine Sachen zusammen um zum Training zu gehen. Mir egal was meine Eltern sagten oder wollen. Ich gehe zum Training. Und nur weil ich kein Streber bin wie Fella und nicht überall eine Eins schreibe, heißt das nicht, dass ich schlechte Noten habe. Ich bin ein durchschnittlicher Schüler und das reicht.
Ich öffnete Julian die Tür und führte ihn ins Wohnzimmer. Er meinte, dass er mir heute etwas in Mathe erklären will.
Ich nickte nur und schrieb Elian ob es ihm gut gehe. Und dass ich an ihn denke. Ich möchte nicht, dass er sich alleine fühlt.
"Willst du was von Fella?", fragte ich Julian und unterbrach ihn so in seinen Erklärungen. Zuhören tat ich ihm sowieso nicht.
"Ähm... Nein. Aber darum geht es ja auch gar nicht."
"Fella ist voll verschossen in dich. Hab letztens gehört wie sie mit ihrer besten Freundin über dich gesprochen hat. Muss deinem Ego doch gut tun oder? Wenigstens steht überhaupt jemand auf dich."
Er schluckte schwer und schaute wieder auf das Buch.
Okay, das war scheiße von mir, das weiß ich. Aber ich bin gerade so sauer auf meine Eltern, dass ich diese Wut einfach an Julian ausließ. Obwohl er nichts dafür konnte.
"Wir sollten dann erstmal diese Aufgaben lösen.", sagte Julian und zeigte auf eine Seite im Buch.
Ich schaute vom Handy auf und in das Buch.
"Ja, das ist eine gute Idee.", meinte ich. "Mach du man. Ich muss los.", sagte ich und schnappte meine Sporttasche, welche neben dem Sofa stand.
"Wo willst du denn hin? Wir müssen doch noch ein wenig lernen."
"Ne, da hab ich kein Bock drauf. Ich geh zum Training."
Und mit diesen Worten verschwand ich einfach.
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Forgive me
RomansaIn der Schule fällt Elian immer wieder zum Opfer der Mobbingattacken von Levin und seiner Clique. Auch zuhause kann er sich nicht zurückziehen, denn seine Eltern hassen ihn, weil er schwul ist. Die einzige Möglichkeit seinem Leben für einen kurzen M...