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Elian

Die Pausen waren immer das Schlimmste am ganzen Schultag. Denn dann war ich angreifbar für andere Schüler. Und die Lehrer waren in solchen Momenten meistens weit und breit nicht zu sehen.
"Deine Party war einfach der Hammer.", hörte ich eine weibliche Stimme sagen. 
"Ja, fand ich auch. Das war echt einer meiner besten Partys.", stimmte die andere weibliche Stimme zu.
Es waren Emma und Dalia. Sie kamen mir entgegen und schauten mich beide mit einem abwertenden Blick an. Innerlich verdrehte ich nur die Augen und lief weiter zu meinem Spind. 
Doch dort kam ich nicht ran, denn Levin lehnte an diesem und sprach mit einem seiner Freunde. Und natürlich war ich viel zu eingeschüchtert von ihm, um ihn zu fragen ob er zu Seite gehen kann. Mal davon abgesehen, dass ich wusste, dass er nur einen dummen Spruch ablassen würde und dann davor stehen bleiben würde, nur um mich zu ärgern. Oder er schubste mich weg, wenn er schlechte Laune hat und ließ dann einen dummen Spruch. Beides kam öfters vor, als man denkt.
Ich wollte gerade unauffällig weggehen, als sich unsere Blicke trafen. Schon wieder.
"Oh, steh ich etwa vor deinem Spind? Sag doch was. Ich mach Platz.", sagte er freundlich.
Fast zu freundlich.
Doch jetzt einen Rückzieher zu machen und nicht zum Spind gehen, konnte ich auch nicht. Das ließ mich noch mehr wie ein Idiot aussehen. Also nickte ich nur dankbar und ging zu meinem Spind.
"Hatte er die Klamotten nicht gestern schon an?", fragte Levins Kumpel. Sein Name war Dominik.
"Und vorgestern.", antwortete Levin und obwohl ich ihn nicht ansah konnte ich sein Grinsen spüren.
So gut es ging versuchte ich ihn zu ignorieren. Aber das war nicht so einfach, wenn Levin einfach immer einen draufsetzte. Er knallte meine Spindtür vor meiner Nase zu und erschrak mich dabei. Dominik fing an zu Lachen. Warum konnte er mich nicht einfach in Ruhe lassen.
"Elian, du stinkst wirklich ekelhaft. Schämst du dich nicht?"
Ich sagte nichts, schaute nur zu Boden und hoffte, dass er verschwand. Ich wusste, dass er das nicht tat, dafür kannte ich ihn mittlerweile gut genug.
"Willst du mir nicht antworten?", fragte er.
Natürlich wollte ich das nicht. Und das wusste er ganz genau.
"Vielleicht hat er dich nicht gehört, weil seine Ohren genauso dreckig sind, wie sein ganzer Körper und seine Kleidung.", lachte Dominik.
"Du hast Recht. Elian? Schämst du dich nicht?", fragte er dieses Mal lauter. So laut, dass die vorbeilaufenden Schüler auch zu uns schauten.
"Antworte!", schrie er mich nun an.
Wieso ließ er mich nicht einfach in Ruhe? Warum war er so zu mir? Was hatte ich ihm getan?
Darauf kannte ich die Antwort bereits. Ich existierte. Das war schon genug.
"Elian, antworte mir!"
Nein! Nein, ich konnte und wollte nicht antworten.
Plötzlich griff Levin nach meinem Handgelenk. Ich war davon so geschockt, dass ich ihn ansah.
"Du bist unhöflich! Antworte mir! Schämst du dich?!"
Ich schluckte schwer und nickte ganz langsam und undeutlich. Aber trotzdem so deutlich, dass Levin es wahrnahm. Er ließ mein Handgelenk wieder los und fing an zu Lachen.
"War mir klar. An deiner Stelle würde ich mich umbringen."
Aua. Der saß. Und war persönlich. Levin schubste mich lachend gegen den Spind.
"Wehr dich doch mal. Wenn du ein wenig Eier beweisen würdest, würde wahrscheinlich nicht jeder auf dir rumhacken."
Doch natürlich, würde trotzdem jeder auf mir rumhacken. Weil mich hier niemand auf dieser Schule ernst nahm.

(...)

Der ganze Schultag verlief im Großen und Ganzen einfach scheiße. Also so wie jeder Tag. Doch ich versuchte den Tag so gut es ging zu vergessen und konzentrierte mich nun auf das Einkaufen. Es war nicht viel Geld in der Haushaltskasse, doch es reichte für das Nötigste. Und das Nötigste musste nun mal reichen. In meinem Leben war kein Platz für Luxus. So gern ich es mir auch wünschte.
Als ich wieder Zuhause ankam räumte ich schnell den Einkauf weg und machte mich dann an die Wäsche. Während die Waschmaschine lief, fing ich an das Haus zu putzen. Vorallem die Küche. Die hatte es am Nötigsten. Das Wohnzimmer ließ ich aus, denn dort saßen meine Eltern und ich wollte sie nicht stören, geschweige denn mit ihnen reden.
Erst als es draußen dunkel wurde und der Abend hereinbrach, war ich mit dem Haushalt fertig. Wir hatten zum Glück keine Hausaufgaben auf, doch ich musste noch unbedingt für eine Arbeit lernen, welche wir diese Woche noch schrieben.
"Endlich ist es hier aufgeräumt.", sagte mein Vater, als er in die Küche kam. "Es sah aus wie Scheiße."
"Ich weiß.", antwortete ich nur knapp.
"Wenn du das weißt, warum hast du nicht früher aufgeräumt?"
"Keine Zeit."
Mein Vater lachte nur kurz. "Mhm klar. Aber um oben in deinem Zimmer zu hocken ist Zeit für, was?"
Okay, wenn ich jetzt nicht ging, artete das hier gleich in einem riesen Stress aus. Nicht wegen mir. Ich gebe selten Widerworte gegen meine Eltern, da ich wusste wie das enden wird. Doch wenn mein Vater so eine Laune wie jetzt gerade hat, stört ihn nur meine bloße Anwesenheit. Deswegen war es jetzt der perfekte Zeitpunkt mich in mein Zimmer zurückzuziehen.
"Und jetzt verpisst du dich einfach?", rief er mir hinterher. "Und kommst wieder solange nicht aus deinem Zimmer raus, bis es hier aussieht wie Sau? Das sieht der ähnlich! Arschloch!"
Okay, keine Ahnung womit ich das jetzt verdient hatte, aber egal. Das stellte ich bei ihm sowieso nicht mehr in Frage.
Unteranderem war ich in der Küche um mir was zu Essen zu machen. Doch die Beleidigung von meinem Vater muss irgendwas in mir getriggert haben, sodass der ganze Tag von heute nochmal in meinen Gedanken hochkam.
Alle Blicke, alle Beleidigungen und dummen Sprüche.
Scheiße, nein. Ich hielt das nicht aus... Es war als würde ich den ganzen Tag nochmal erleben.
Ich musste mich ablenken. Musste von diesen Gedanken wegkommen. Und das tat ich nur auf eine Weise.
Mit zitternden Händen kramte ich in einer meiner Schubladen herum, bis ich das Feuerzeug fand.

 "...An deiner Stelle würde ich mich umbringen."
"...Das sieht der ähnlich! Arschloch!"

Ich zog meinen Ärmel vom Pullover hoch und hielt mir die Flamme des Feuerzeugs an den Unterarm. Langsam stieg die Hitze in meine einzelnen Hautschichten. Es tat weh. Es tat so unendlich weh, doch ich konnte und wollte nicht aufhören. Erst als es wirklich unerträglich wehtat, schmiss ich das Feuerzeug weg und schaute auf meinen Unterarm. Es hatte sich eine kleine rote Stelle gebildet. Nichts schlimmes. Da würde dieses Mal keine Brandblase entstehen.
Und endlich waren die ganzen Gedanken von diesem Tag verschwunden.
Doch ich wusste, dass sie morgen wiederkommen werden...

Forgive meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt