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Elian

Dieses Gefühl war falsch. Es war verdammt falsch. Levin hat mich immer gedemütigt, hat mich verprügelt. Er war einer der Gründe warum ich überhaupt Narben an meinem Körper hatte.
Und trotzdem... Trotz allem, fühlte sich dieser Kuss so unglaublich gut an.
In diesem Moment vergaß ich alles um mich herum. Alle unguten Gedanken die ich bis gerade hatte, waren plötzlich weg. Ich spürte seine Hand an meiner Hüfte, seine Lippen an meinen. 
"Scheiße...", sagte er leise, doch lächelnd. "Mit dieser Reaktion hätte ich wirklich nicht gerechnet."
Sein Lächeln steckte an. "Ich auch nicht...", antwortete ich nur.
Wieder lachte er und strich mir durch die Haare. Dann ging er ein paar Schritte von mir weg.
"Elian, das hab ich wirklich nicht verdient. Du solltest mir nicht verzeihen."
"Ich weiß..."
"Ich bin echt ein schlechter Mensch."
Bis vor ein paar Minuten hätte ich ihm da zugestimmt. Doch jetzt war ich mir da nicht mehr so sicher. Die schlechten Gedanken verzogen sich immer weiter und immer mehr beschlich mich das Gefühl, dass seine Entschuldigung ernst gemeint war.
"Ich glaube nicht, dass du ein schlechter Mensch bist."
"Was? Aber ich habe dich immer-"
"Du hast dich entschuldigt.", unterbrach ich ihn. "Und ich glaube dir, dass du das Ernst meinst."
"Danke, Elian."
Levin schaute sich um und hob dann ein paar Steine vom Boden auf.
"Wollen wir Steine flitschen. Wie früher?"
"Ich hab das nie gemacht."
"Dein Ernst?"
Ich zuckte nur mit den Schultern und nahm ihm ein paar Steine ab.
"Pass auf, ich zeig dir wie das geht."

(...)

Tatsächlich genoss ich die Zeit mit Levin ein wenig. Doch irgendwann wurde es unerträglich kalt und wir beschlossen zurück zum Auto zu gehen.
"Such du die Musik aus.", sagte Levin und startete das Auto. 
Ich nahm sein Handy in die Hand und sah, dass er 7 verpasste Anrufe von seinem Vater hatte.
"Dein Vater hat versucht dich anzurufen."
"Joa, egal. Ich antworte ihm nachher."
"Sieben Mal."
Bevor Levin etwas erwidern konnte, tauchte auf dem Display vom Auto eine Nachricht von seinem Vater auf.

Dad
Geh sofort an dein Handy!

Darauf folgte ein weiterer Anruf.
"Scheiße!", rief Levin. "Fuck, sie wissen dass ich ihr Auto habe."
Mit großen Augen starrte ich ihn an. Levin nahm den Anruf per Freisprechanlage an.
Sofort meldete sein Vater sich. "Wo bist du?"
Er klang ziemlich wütend.
"Unterwegs."
"Und das Auto?"
"Das... ist auch unterwegs."
"Bist du alleine?"
"Nein."
Es entstand eine kurze Stille.
"Levin, du kommst jetzt auf der Stelle nach Hause, okay?"
Sein Vater war total ruhig, aber man merkte sofort wie wütend er war.
"Ja, bin unterwegs."
Damit legte sein Vater einfach auf.
"Heilige Scheiße, ich bin morgen tot. Fuck! Ich dachte sie sind die ganze Nacht weg."
"Wenigstens hast du keinen Unfall gebaut."
"Sag das nicht, noch sind wir nicht zuhause.", sagte er leicht lachend. "Vielleicht ist ein Unfall gerade der beste Ausweg aus dieser Situation."
"Meinst du?", fragte ich.
"Ja. Mit Glück habe ich nur zwei Monate Hausarrest. Ach, ich finde schon eine Ausrede warum ich unbedingt das Auto brauchte."
"Die Ausrede muss aber ganz schön gut sein."
"Kriege ich hin. Ist nicht meine erste Ausrede."
Das glaubte ich ihm sofort. Er log seine Eltern vermutlich fast täglich an.
Die restliche Fahrt wechselten wir nur ein paar Worte. Jeder war in seinen eigenen Gedanken, doch es war keine unangenehme Stille.
"Na dann.", unterbrach Levin die Stille, als er vor meiner Haustür parkte. "Wenn wir uns Montag nicht sehen, dann bist du herzlich zu meiner Beerdigung eingeladen."
"Das ist nett.", sagte ich leicht lächelnd.
Und jetzt wurde es unangenehm. Wie verabschiedete man sich am besten? Levin hatte mir seine ganzen Gefühle gestanden. Wir hatten uns geküsst. Das alles ist nicht mal drei Stunden her. Anscheinend wusste auch Levin nicht wie wir uns verabschieden sollten, weswegen ich einfach beschloss auszusteigen, bevor alles nur noch unangenehmer wird.
"Elian.", hielt Levin mich auf und griff nach meiner Hand, um mich wieder auf den Sitz zu ziehen. "Ähmm... Der Abend heute... es wäre echt cool, wenn wir es erstmal für uns behalten."
Ich nickte und schaute ihm dabei tief in die Augen. "Ja."
"Okay... Komm gut rein."
Langsam ließ er meine Hand wieder los und ich stieg aus.

Levin

Die ganze Fahrt über dachte ich über diesen Abend nach. Auf der einen Seite fühlte ich mich total erleichtert. Die Last der ganzen Wochen fiel von meinen Schultern. Ich spürte wie dankbar ich mir selbst war, dass ich endlich ehrlich zu mir war. Dass Elian den Kuss erwidert hatte, war ein weiterer Pluspunkt. Doch auf der anderen Seite wusste ich auch, dass sich mein Leben ändern würde. Was würden meine Freunde dazu sagen? Ich weiß ja schließlich wie sie reagiert haben, als sie herausgefunden haben, dass Elian schwul ist.
Was sagen meine Eltern? Sie werden nicht begeistert sein. Das wird Schlagzeilen machen. Und manche Bürger werden dann gegen mich und meinen Vater hetzen. Er wird wieder nur an seine Karriere denken und will, dass ich das verheimliche. Aber will ich das? Für immer? Dann fresse ich das doch wieder in mich hinein und genau das war es, was ich nicht wollte.
Langsam schloss ich die Tür auf, meine Lüge hatte ich bereits parat.
"Komm SOFORT in die Küche!", schrie mein Vater mich im Flur an.
Schweigend tat ich dies.
"Was hast du dir dabei gedacht?!", brüllte er mich weiter an.
Meine Mutter, die einfach nur daneben stand, schaute mich enttäuscht und wütend zugleich an.
Auf die Frage meines Vaters zuckte ich nur mit den Schultern. Und plötzlich merkte ich wie mir Tränen in die Augen stießen. Doch nicht weil ich das Auto genommen hatte. Sondern weil meine Fragen, über welche ich mir die ganze Autofahrt den Kopf zerbrochen habe, wieder in den Vordergrund gerieten. Ich kann es ihnen nicht sagen. Sie werden mich hassen. Sie werden das nicht akzeptieren. Genauso wenig wie meine Freunde. Wenn ich das sage, dann habe ich nichts mehr. Dann stehe ich allein da.
Ich werde nicht mit Elian befreundet sein können. Meine Gefühle für ihn gingen weit über eine normale Freundschaft hinaus.
Doch wenn ich etwas Ernstes mit ihm anfangen würde, dann würden sich alle anderen gegen mich wenden. Das will ich auch nicht. Ich werde dann ganz allein sein.
Ich nutzte dieses Gefühlschaos einfach zu meinem Vorteil um meine Lüge besser rüberzubringen.
"Ich weiß, dass das dumm war. Es tut mir leid. Aber ich wusste nicht was ich machen sollte."
"Was meinst du Schatz?", fragte meine Mutter und ich sah, dass sie merkte, dass etwas nicht stimmte.
"Emma stand einfach vor der Tür. Sie war tränenüberströmt und hat mir heulend erzählt, dass ihre Eltern und ihr kleiner Bruder einen schweren Autounfall hatten."
Ja, ich weiß voll dramatisch. Aber das war die einzige Ausrede die mir einfiel.
"Ihr Vater wurde mit dem Hubschrauber in ein spezielles Krankenhaus verlegt. Sie hat nur Infos von der Polizei bekommen und sie wusste nicht wie sie zum Krankenhaus kommen soll. Ich konnte sie doch nicht einfach so stehen lassen."
"Ihr hättet ein Taxi rufen können.", sagte mein Vater. Er war immer noch wütend, wurde aber auch ruhiger.
"Ja, das habe ich auch überlegt, aber es war kein Taxi frei. Ihr hättet sie sehen müssen. Sie hätte nicht auf das nächste freie Taxi gewartet. Sie wäre einfach in das andere Auto ihrer Eltern gestiegen und wäre zum Krankenhaus gefahren. Wenn ich das bei ihrer Gefühlssituation zugelassen hätte, dann hätte sie den nächsten Unfall gebaut. Ich weiß, dass das dumm von mir war. Aber ich weiß auch, dass ich Auto fahren kann. Und Dad dass weißt du auch."
Tatsächlich übten mein Dad und ich ab und an auf einer Übungsstrecke das Autofahren. Denn er und auch ich, wollten dass ich schnell mit meinem Führerschein anfange und auch so schnell wie möglich damit fertig bin.
"Es tut mir wirklich, wirklich leid..."
Und jetzt hieß es Daumen drücken, dass meine Eltern mir diese Notlüge abkauften.

Forgive meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt