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Elian

Ich saß in dem leeren, dunklen Raum und starrte aus dem Fenster auf die Straße. Es war eine sterneklare Nacht. Hier und da fuhr ein Auto die Straße entlang, doch alles in allem war es relativ ruhig. Immer wieder tauchte der Anblick von Levin und Dalia vor mir auf und unwillkürlich liefen mir die Tränen die Wange hinunter.

"Ich hab Angst dich zu verlieren.", sagte er leise.

"Ich mag dich.", sagte er dann, sah mich jedoch immer noch nicht an. "Und ich... Ich glaube ich hab Gefühle für dich."

Erneut fing ich an bitterlich zu weinen. Ich zog meine Füße ran und legte meinen Kopf auf meine Knie ab.
Warum verließ mich jeder? Warum mochte mich keiner? Niemand meint es wirklich ernst mit mir. Was mache ich falsch? Ist es einfach lustig auf mich rumzuhacken? Wieso tat das jeder?
Wieso gingen alle Leute, die mir wirklich was bedeuteten?
Wut stieg in mir auf. Es ist meine Schuld. Das alles ist meine Schuld!
Alle hassen mich und anscheinend liegt der Grund bei mir. Es gab bestimmt tausend Gründe mich zu hassen.
Ich bin einfach anders! Ich bin komisch! Ich bin nicht normal! Deswegen hasst mich jeder!
Ich packte meinen Unterarm um kniff mir selbst vor Wut rein. Es gab nichts womit ich mich sonst verletzen könnte, deswegen musste ich mir selbst irgendwie helfen. Ich kniff solange in meinen Unterarm, bis er anfing zu bluten. Doch statt aufzuhören machte ich weiter.
Ich will so nicht mehr Leben. Ich kann so nicht mehr Leben. Der ganze Terror mit meinen Eltern hatte ein nicht mehr aushaltbares Ausmaß angenommen. Ich konnte nicht zurück zu ihnen.
Und wenn ich wieder in die Schule ging? Dann würde das Mobbing erneut losgehen und Levin wäre wieder dabei. Nur dieses Mal würde es mich noch mehr treffen als sowieso schon, denn ich hatte immer noch Gefühle für ihn. Und ich glaube das wird sich niemals ändern.
Und wo sollte ich nach so einem Scheißtag hin? Meine Oma war nicht mehr da. Sie konnte mich nicht aufheitern und mir Ratschläge geben.
Ich war allein.
Stefan war zu weit weg. Und er hat auch keine Zeit sich meine Probleme anzuhören. Er hat doch selbst genug zu tun. Er wird es schon verkraften, wenn ich nicht mehr da bin.
Ich will nicht mehr hier bleiben. Ich will hier weg.
Ich schloss meine Augen und atmete tief durch um meinen zitternden Körper zu beruhigen. Für einen kurzen Moment meinte ich mir einzubilden, dass die Eingangstür auf ging. Doch da niemand wusste wo ich war, kann das nicht sein.
Mein Weinen hörte immer noch nicht auf. Ich konnte nichts dagegen tun. Immer wieder schossen mir Bilder von Levin durch den Kopf. Er hatte mich die ganze Zeit nur angelogen. Ihm lag nie etwas an uns.
"Ich hab sie nicht geküsst.", ertönte seine Stimme in meinem Kopf.
Ich versuchte diese Stimme zu verdrängen. Ich wollte ihn nicht hören. Ich wollte niemanden mehr hören oder sehen.
Nie wieder.
"Bitte, Elian. Du musst mir glauben. Sie hat mich überrumpelt. Ich hab sie sofort weggestoßen."
Die Stimme. Sie war nicht in meinem Kopf. Er war hier. Er stand genau hinter mir. Kurz hob ich den Kopf und sah wie eine schlanke, schwarze Gestalt im Türrahmen stand.
"Ich habs gesehen.", sagte ich und legte meinen Kopf wieder auf meine Knie ab.
"Du hast gesehen wie sie mich geküsst hat. Du hast nicht gesehen wie ich sie weggestoßen habe. Du hast nicht gesehen wie ich Dominik und Billy verprügelt habe. Du hast nicht gesehen wie ich ihren Plan durchschaut habe."
"Billy und Dominik haben mir erzählt, dass du so etwas tun würdest.", schluchzte ich.
"Klar haben sie dir das gesagt. Weil es zu ihrem Plan gehörte. Sie wollen uns auseinander bringen. Sie wollen mich zurück, Elian. Sie wollen den alten Levin wieder haben. Der, der sich geprügelt hat. Der gemobbt hat. Aber der bin ich nicht mehr und der will ich nie wieder sein."
Ich sagte nichts und hatte meinen Kopf immer noch gesenkt.
"Ich will dein sein.", sagte er dann leise.
Immer noch schwieg ich. Meine Gedanken rasten.
"Glaubst du diesen beiden Idioten wirklich mehr als mir?"
Er hatte schon Recht. Wieso sollte ich Dominik und Billy glauben obwohl ich davor nie mit ihnen geredet habe? Und natürlich wollen sie Levin zurück, weil sie intolerant sind. Weil sie seine Gefühle nicht verstehen.
Ich hörte wie Levin mir langsam näher kam.
"Ich will dein Anker sein, Elian. Ich will bei dir sein, wenn es dir nicht gut geht. Ich will deinen Gedanken zuhören. Ich will dich aufmuntern und trösten. Ich will mit dir Lachen und dich auf andere Gedanken bringen. Ich will dir einen Teil von deinem Schmerz nehmen und dich beschützen. Ich will für immer bei dir sein."
Ich spürte wie er sich hinter mich setzte. Seine Arme umschlangen meinen Bauch und seine Beine streckte er rechts und links neben mich aus. Sein Kopf lag auf meiner linken Schulter.
"Bitte glaub mir.", flüsterte er.
Er hat soviel für mich getan. Er war immer da, als ich ihn am meisten brauchte. Er war da, als meine Oma starb. Er war da, in der ganzen Zeit in der ich sie vermisste und mich selbst verletzen wollte. Er war sogar da, als mein Vater ausgetickt ist. Er ist ins Haus gestürmt und hat mich da raus geholt. Er ist Auto gefahren, obwohl er das nicht darf. Er tut alles für mich. Hätte er das auch getan, wenn ihm nichts an mir liegen würde?
Nein, hätte er nicht.
Er hat Recht. Er ist mein Anker.
Ich drehte mich zu ihm um und schlang meine Hände um seine Taille um ihn zu umarmen. Sofort erwiderte er diese Umarmung.
"Tut mir leid, dass ich an dir gezweifelt habe.", nuschelte ich.
"Das muss dir nicht leid tun."
Beruhigend strich er über meinen Rücken. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und schaute ihn lächelnd an.
"Woher wusstest du wo ich bin?"
Auch er lächelte und gab mir einen sanften Kuss auf die Stirn.
"Ich kenne dich Elian.", sagte er nur.
Doch ich schaute ihn fragend an, weswegen er weitersprach: "Das hier ist der einzige Ort an dem du dich wirklich zuhause fühlst. Und genau das ist es doch, was deine Oma immer für dich wollte."

Forgive meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt