30

343 12 0
                                    

Elian

Den ganzen Weg zu Levin hielt ich meinen Unterarm festgedrückt. Die Scheiße hörte einfach nicht auf zu bluten. 
Als ich vor Levins Haustür stand, schaute ich ein letztes Mal auf den Verband. Gut, er war nicht durchgeblutet, vielleicht hatte es jetzt endlich aufgehört.
Dann klingelte ich und es dauerte nicht lange bis Levin mir die Tür öffnete.
"Hey, komm rein.", sagte er sanft und führte mich in sein Zimmer.
Wir setzten uns aufs Bett und ohne Worte nahm er mich in den Arm. Ich hätte eigentlich gedacht, dass ich sofort anfangen musste zu weinen, doch das tat ich nicht. Ich hatte eher das Gefühl, dass dadurch meine Trauer langsam nachließ.
"Danke.", nuschelte ich.
"Wofür?"
"Dass du für mich da bist."
"Das ist das Mindeste."
Er strich mir über den Arm, dabei rutschte der Ärmel meines Pullovers hoch und der Verband kam zu Vorschein.
"Hast du den immer-" Levin unterbrach sich selbst, als er sah, dass der Verband voller Blut war.
Scheiße, wo kam das her? Wieso blutete das immer noch so?
"Was hast du getan?", fragte er geschockt.
"Hab mich geschnitten. War ein Unfall."
Bevor ich reagieren konnte, wickelte er mir den Verband ab. Ich wollte mich wehren und den Arm zu mir ziehen. Doch Levin war weitaus stärker und hatte den Verband schnell abgewickelt.
"Scheiße, Elian.... Was zum..."
Er schaute geschockt zu meinem Unterarm und dann zu mir. "Wieso tust du das?", fragte er leise. "Warte, ich verbinde das neu."
Er lief schnell aus dem Zimmer und kam mit Verbandzeug wieder. Er machte ihn etwas strammer, als ich ihn gemacht hatte um die Blutung zu stoppen.
"Sieht dein anderer Arm auch so aus?"
"Nein.", log ich.
Levin glaubte mir anscheinend nicht und schob meinen anderen Ärmel hoch.
"Warum?", fragte er dann leise und schaute auf die Narben.
Auch ich schaute auf meinen Unterarm und konnte ihm nicht antworten.
"Oh Gott...", sagte er dann und sein Griff um meine Hand lockerte sich. "Es ist meine Schuld..."
"Was? Nein!", sagte ich sofort. 
"Doch... Das Mobbing..."
Ja, richtig. Das war einer der Gründe. 
"Es ist nicht nur das..."
"Was ist es noch?"
Ich zuckte nur mit den Schultern. Es waren auch meine Eltern, aber davon wollte ich ihm jetzt nichts erzählen.
Levin nahm mein Gesicht in seine Hände und zwang mich ihn anzuschauen.
"Hey, du musst mir versprechen damit aufzuhören. Ich kann mir vorstellen, dass das schwer für dich ist. Aber wenn du dieses Verlangen hast, dann ruf mich einfach, okay? Egal wie spät es ist, ich werde vorbeikommen. Aber bitte hör auf damit. Du bist mir wichtig, Elian."
Bei dem letzten Satz schoss mein Puls schlagartig in die Höhe. Bevor ich etwas sagen konnte, drückte Levin seine Lippen auf meine und ich erwiderte den Kuss. Seine Hände wanderten zu meinen Hüften und mit einem geschickten Handgriff zog er mich auf seinen Schoss. Dabei unterbrachen wir den Kuss und Levin strich mir beruhigend durch die Haare.
Ich weiß nicht wie er es schaffte, aber bei ihm fühlte ich mich einfach sicher und ernstgenommen. So ein Gefühl hatte ich sonst nur bei meiner... Oma.
"Alles okay?", fragte Levin.
Ich nickte nur langsam.
"Trauer ist scheiße. Und sie wird auch nicht vergehen. Aber man lernt mit ihr umzugehen."
"Woher weißt du das so genau?", fragte ich und schaute nach unten auf seine Brust.
"Ich hab meine Cousine verloren als wir beide 15 waren. Sie war meine beste Freundin."
"Das tut mir leid."
"Ist schon okay. Wie gesagt, man lernt mit der Trauer umzugehen. Und friss es nicht in dich hinein. Wenn du weinen willst, dann wein. Ich bin da für dich."
Aber tatsächlich hatte ich nicht das Gefühl weinen zu müssen.
"Ich würde lieber das Thema wechseln."
"Auch kein Problem.", meinte Levin und sah mich lächelnd an. "Themenvorschläge?"
Ich dankte ihm wirklich dafür, dass er gerade für mich da war. Ich wüsste nicht was ich sonst getan hätte, wenn ich alleine mit meinen ganzen Gedanken wäre. Oder wie lange mein Unterarm noch bluten würde.
"Wie war dein Probetraining?", fragte ich ihn dann.
"Ein voller Erfolg. Es war echt cool."
"Wirst du wieder hingehen?"
"Ja, ich werde mich anmelden."
"Kennst du da ein paar Leute, die in dem Verein spielen?"
"Ne, nicht wirklich. Die sind alle auf verschiedenen Schulen. Aber das macht nichts, sie sind echt korrekt. Wenn du willst, kannst du mal mitkommen und dir ein Spiel ansehen."
"Wirklich?"
"Ja, warum nicht? Ich würde mich freuen."
"Okay, dann mach ich das gerne."
"Du kannst auch mitspielen."
"Ne, ich bin doch zu klein dafür."
Levin lachte leicht. "Hmm, stimmt schon. Schade, ich hätte dich auch gerne beim Spielen beobachtet. Du würdest bestimmt richtig gut dabei aussehen."
Gott, ich konnte mit solchen Komplimenten überhaupt nicht umgehen. Ich wusste nie was ich darauf erwidern sollte.
Levin lachte erneut und strich mir wieder durch die Haare. "Wirst du rot?"
"Hör auf.", sagte ich lachend. "Natürlich wird man rot, wenn jemand das sagt."
"Ich weiß, deswegen sag ich es ja."
"Du bist ein Arsch.", sagte ich und boxte ihm leicht gegen die Brust.
"Aua, du hast mich verletzt. Ich sterbe..."
Levin ließ sich viel zu dramatisch ins Bett fallen, weswegen ich ihn nur mit hochgezogenen Augenbrauen ansah.
"Meine Rache wird kommen.", sagte er und bevor ich reagieren konnte, packte er mich erneut bei den Hüften, hob mich von seinem Schoß und schmiss mich ins Bett.
Nun lag er über mir und lächelte mich an, ich erwiderte sein Lächeln.
Dann kam er näher und gab mir einen sanften Kuss.
Endlich konnte ich nach all den Tagen für einen Moment die ganzen schlimmen Gedanken vergessen und einfach mal an was anderes denken.

Forgive meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt