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Levin

"Wisst ihr wie lange die Eröffnung gehen wird?", fragte ich meine Eltern in der Küche.
Ich stand angelehnt an der Küchenzeile und trank meinen Proteinshake, während die beiden am Tisch saßen und gerade mit dem Frühstück fertig waren.
"Ich denke so drei Stunden. Wir werden noch ein paar Fotos machen. Dann werden wir durch die Bücherei geführt und am Ende gibt es noch etwas zu essen und zu trinken.", erklärte mein Vater.
"Hm... Um 15 Uhr fängt das Basketballspiel an. Meint ihr, ich kann eine halbe Stunde eher los?"
"Nein, Levin.", sagte meine Mutter sofort. "Du sollst sowieso aufhören mit Basketball."
"Ja, das Thema hatten wir doch schonmal.", sagte ich nur genervt.
Es war eine einfache Frage. Und ein einfaches Nein hätte mir gereicht. 
"Deine Mutter hat Recht.", fing mein Vater jetzt an. "Wir haben dir gesagt, dass das zu viel für dich wird. Und wie du siehst, wird es auch zuviel für dich. Du stellst den blöden Sport über alles. Erst lässt du Julian einfach sitzen und jetzt willst du auch noch eine halbe Stunde eher von der Eröffnung gehen nur wegen Basketball. Du wirst damit aufhören oder wir melden dich ab!"
"Das würdet ihr nicht tun...", sagte ich wütend.
"Oh doch. Deine Mutter und ich haben schon drüber gesprochen. Basketball passt nicht zu dir. Und wenn du da nochmal hingehst, dann wirst du für die nächsten paar Wochen Hausarrest bekommen. Und deine Freunde brauchen dich auch nicht besuchen kommen!"
"Was soll das denn jetzt? Wofür bestraft ihr mich? Dafür, dass ich eine ganz einfache Frage gestellt habe?"
"Es geht nicht nur darum Levin. Es geht auch um die Schule und das weißt du."
"Ich kann die ständige Leier nicht mehr hören!", schrie ich und spürte wie wütend ich wurde.
Jedes Mal ist es das Gleiche. Jedes Mal ist es das gleiche gottverdammte Thema.
"Ihr kommt immer wieder auf meine Noten zu sprechen. Aber sie sind nicht schlecht! Ich weiß, dass ihr wollt, dass ich so bin wie Fella. Aber das bin ich nicht! Und ich werde das auch nie sein. Ich bin halt nicht der perfekte Sohn, also kommt damit klar!"
"So redest du nicht mit uns!", rief meine Mutter.
"Anders kapiert ihr es ja nicht! Ihr fragt mich nie wie es mir geht und das fuckt mich ab. Es soll immer nur nach euerer Nase gehen! Gebt mir doch wenigstens die Chance euch zu beweisen, wie wichtig mir Basketball geworden ist!"
"Wir sehen das anhand wie du dich benimmst.", sagt mein Vater. "Seitdem du damit angefangen hast, hast du ein Tattoo, du nimmst die Nachhilfe nicht an, die wir dir geben, deine Noten werden auch nicht besser und du gibst nur noch Widersprüche. Das geht seit Wochen so!"
"Und habt ihr euch mal gefragt warum? Habt ihr mich jemals gefragt wie es mir in den letzten Wochen geht? Warum ich so schnell aus der Haut fahre?!"
Denn ich weiß es. Es ist wegen Elian. Wegen meinen Gefühlen zu ihm, welche ich mir erst selbst nicht eingestehen wollte. Ich wollte es nicht wahrhaben, dass ich auf Jungs stehe. Dass ich schwul bin. Da sind in den letzten paar Wochen einfach meine Emotionen mit mir durchgegangen. Aber das interessiert meine Eltern nicht. Sie fragen mich nämlich nie wie es mir geht oder ob ich jemanden zum Reden brauche.
Langsam spürte ich wie mir die Tränen in die Augen stiegen. Und zu allem Überfluss musste natürlich jetzt auch noch Fella in die Küche kommen. Sie schwieg einfach nur und setzte sich an den Küchentisch um etwas zu essen. Dabei starrte sie die ganze Zeit auf ihr Handy.
"Wir wissen warum es so ist!", rief mein Vater. "Weil du dir zu viel zu mutest. Das Fitnessstudio, das Basketballtraining, deine Partys und irgendwo kommen dann auch noch die Schulnoten. Das wächst dir über den Kopf. Wir kennen dich!"
Mein Herz raste und die Wut in mir stieg immer weiter an.
"Nein! Ihr kennt mich nicht! Ich hatte in den letzten Wochen soviel mit mir selbst zu kämpfen. Und es hat euch nicht interessiert."
Nun rannen mir die Tränen langsam über die Wangen. Doch es waren Tränen der Wut. Wut über meine Eltern.
"Was redest du für einen Unsinn.", meinte mein Vater. "Jeder hat mal schlechte Tage. Aber das ändert nichts an der Thematik."
Ich lachte nur ironisch. "Du denkst echt, dass es nur ein paar schlechte Tage waren? Es waren Wochen, Dad! Wochen! In denen ich meine Gefühle nicht unter Kontrolle hatte. Und hättet ihr mich auch nur einmal gefragt was los sei oder wie es mir geht, dann hättet ihr auch erfahren warum das so ist!"
Mein Vater wollte gerade Luft holen um einen neuen Satz anzufangen. Doch ich war so voller Wut, dass ich ihn gar nicht erst zu Wort kommen ließ.
Ich ließ mich von der Wut leiten und so platzte es einfach aus mir heraus.
"Ich bin schwul."
Eine unangenehme Stille entstand im Raum. Meine Eltern schauten mich geschockt an. Fella schaute kurz von ihrem Handy auf, schaute zu mir, dann zu meinen Eltern und danach wieder auf ihr Handy.
"Levin...", sagte meine Mutter anzweifelnd. "Diese Phasen-"
"Phasen?!", schrie ich sie an. "Gott, ich glaub es nicht. Ihr denkt es ist eine Phase? Es gibt da jemanden der mir wirklich wichtig ist. Jemand der richtige Probleme hat! Und ich versuche ihm zu helfen, weil ich ihn liebe!"
Hatte ich das gerade tatsächlich gesagt? Habe ich gerade wirklich gesagt, dass ich Elian liebe? 
Ich meine, es ist ja so. Aber ich hab es ihm noch nie gesagt und sage es jetzt das erste Mal laut vor meinen Eltern.
Bevor auch nur einer von ihnen etwas sagen konnte, ging ich mit wackeligen Beinen aus der Küche und hoch in mein Zimmer. 
Erleichtert atmete ich aus.
Ich hab es ihnen gesagt.
Zwar wollte ich es ihnen eigentlich nicht so sagen, doch das konnte ich jetzt sowieso nicht mehr ändern.
Bestimmt lästern sie jetzt mit Fella über mich und loben Fella, dass wenigstens sie vernünftig ist. Aber das war mir so scheißegal. Jetzt wussten sie wer ich wirklich bin und auf eine komische Art und Weise fühlte sich das wirklich gut an.

Forgive meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt