Forgive me

27

Levin

Fast hätte ich vergessen, dass heute das Probetraining stattfindet. Doch als meine Mutter mich darauf ansprach was ich denn nach der Schule vorhatte fiel es mir wieder ein.
"Levin, wir haben dir schon gesagt, dass du da nicht hingehst. Deine Noten werden darunter leiden."
"Und ich hab euch schon gesagt, dass ich das verstanden habe."
"Glaub nicht, dass wir dir das bezahlen. Da kannst du selber sehen wie du das zahlst."
"Ja, ist gut."
Als ob ich nicht genügend Taschengeld bekommen würde um das zu finanzieren.
"Tschüß Mom. Bis nachher!", verabschiedete sich Fella.
Auch meine Mutter verabschiedete sich und schaute mich dann vorwurfsvoll an. "Willst du nicht auch zur Schule?"
"Die Schule fängt in 40 Minuten an. Ich hab doch noch Zeit."
"Wenn man auf den letzten Drücker kommt, macht das keinen guten Eindruck."
Alter, jetzt macht sie mir aber auch einen Vorwurf nach dem Nächsten. Weil ich keinen Bock hatte zu diskutieren, stand ich einfach vom Tisch auf, nahm meine Tasche und lief aus dem Haus. 
Im Moment hielt ich es zuhause echt kaum noch aus. Egal was ich sage oder tue, es war in den Augen meiner Eltern einfach falsch.
Auf dem Weg zur Schule, kam Emma mir entgegen.
"Hey, wie geht's dir?", fragte sie mich.
"Ganz gut und dir?"
"Ja, auch. Du sag mal, ich hab von Dalia gehört, dass du Dominik und Billy verprügeln wolltest. Stimmt das?"
"Sie haben sich daneben benommen."
"Was haben sie getan?"
"Ist egal."
"Levin, können wir bitte darüber reden, wenn dich etwas bedrückt?"
Das war typisch Emma. Sie war ein echt einfühlsamer Mensch.
"Ich meine, seit ich dich kenne, hast du noch nie versucht Dominik oder Billy zu verprügeln. Irgendwas stimmt doch nicht, oder?"
Ja, sie hatte Recht. Es stimmte wirklich etwas nicht. Ich war verknallt und das musste ich einfach jemandem erzählen. Einem Freund. Denn ich merkte wie ich von Tag zu Tag unzufriedener wurde, weil ich dieses Geheimnis für mich behielt ohne mit jemandem über meine Gefühle reden zu können.
"Wir reden später drüber, okay?"
"Wenn es um Dalia geht, dann würde ich lieber jetzt darüber sprechen."
"Wieso sollte es um Dalia gehen?"
"Weil sie Gefühle für dich hat. Und sie denkt jeden Tag darüber nach ob du auch was für sie empfindest. Sie macht sich Hoffnungen. Und wenn du deswegen so bedrückst bist, weil du deine Gefühle nicht zuordnen kannst, dann sag es ihr. Bitte, sie macht mich fertig. Jeden Tag die gleiche Leier."
Ich musste leicht lachen. "Tut mir leid für dich.", antwortete ich ihr. "Ich wusste nicht, dass sie so sehr in mich verknallt ist."
"Was hast du denn erwartet? Dass sie nach den paar Malen die ihr zusammen in die Kiste gestiegen seid, nichts empfindet?"
"Keine Ahnung vielleicht. Okay, ich stelle das jetzt klar. Ich will nichts von Dalia. Ich habe keine Gefühle für sie. Aber ja, du hast Recht. Ich bin im Moment so scheiße drauf, weil ich meine Gefühle nicht einordnen kann. Aber ich will das lieber in Ruhe mit dir besprechen."
"Geil, also darf ich jetzt den ganzen Schultag über raten, was dein Problem ist."
"Nicht nur den ganzen Schultag über, sondern den restlichen Tag auch noch. Ich hab heute Nachmittag nämlich eine Probetraining."
"Ach, haben deine Eltern also zugestimmt?"
"Das hab ich nicht gesagt."
"Sind sie sauer?"
"Ein wenig."
"Aber das ist dir egal?"
"Richtig."

(...)

Tatsächlich machten Dominik und Billy den ganzen Tag über einen großen Bogen um mich. In den Pausen standen sie die ganze Zeit in den Raucherecken zum Rauchen. Es war wahrscheinlich auch besser so, dass wir uns heute nicht zu oft begegneten, denn sauer war ich immer noch. Aber ich wusste, dass ich auch den beiden alles erzählen musste. Schließlich sind sie seid Jahren meine besten Freunde. 
Doch ich fragte mich auch wie sie reagieren werden. Ich konnte die beiden in dieser Sache wirklich schlecht einschätzen.
Nachdem die letzten beiden Stunden spontan ausfielen und ich somit noch ein wenig Zeit hatte bis zu meinem Probetraining, beschloss ich erstmal nach Hause zu gehen und ein wenig für die anstehenden Prüfungen zu lernen.
"Wann treffen wir uns?", fragte Emma, welche plötzlich neben mir stand.
"Gott, mein Herz. Schleich dich noch nicht so an."
"Oh, sorry.", lachte Emma. "Also, wann treffen wir uns?"
Es hatte keinen Sinn das noch weiter vor mich herzuschieben. Irgendjemandem musste ich es erzählen. Ich merkte ja selbst, wie ich immer wieder schlechte Laune bekomme ohne Grund und dass ich jedes Mal heulen könnte, wenn ich nur daran denke, dass ich meinen Freunden und meiner Familie von meinen Gefühlen erzählen muss.
Aber ich vertraute Emma und bei ihr war ich mir zu 90% sicher, dass sie es verstand und akzeptierte. Bei den anderen, war ich mir da nicht so sicher.
"Ja... Ich komm vorbei...", sagte Elian, welcher telefonierend an uns vorbeilief.
Ich schaute ihm hinterher und hörte seinem Gespräch zu. 
"Nein, ich hab frei... Bist du schon auf dem Weg ins Krankenhaus?... Hast du Anna Bescheid gesagt.... Okay, ich beeile mich."
Scheiße, das klang gar nicht gut. Ich sah, dass Elian den Tränen nahe war. 
Es ging garantiert um seine Oma.
"Hallooooo???? Leviiiin????", sagte Emma und zappelte mit ihrer Hand vor meinem Gesicht herum.
"Ähm... Ja... Emma, ich schreib dir. Ich muss jetzt los."
"Okay...", sagte sie verwundert, darüber dass ich sie jetzt so schnell abwimmeln musste.
In schellen Schritten lief ich los und versuchte Elian einzuholen. Doch das war zwecklos, denn bereits um der nächsten Ecke hatte ich ihn verloren und ich hatte keine Ahnung wo er abgeblieben war.
Er hatte mir erzählt, dass es seiner Oma sehr schlecht ging und sie wahrscheinlich nicht mehr lange zu leben hat.
Sollte ich jetzt für ihn da sein? Aber wir waren doch nicht zusammen. Ehrlich gesagt, wusste ich gar nicht was das da war zwischen uns. Wir haben uns ein paar Mal getroffen, aber mehr auch nicht.
Waren wir überhaupt sowas wie Freunde?
Egal, Elian ging es nicht gut, dass sah ich ihm an, als er an mir vorbeilief. Vielleicht will er alleine sein, vielleicht will er aber auch Trost haben.
Aber das würde ich nicht herausfinden, wenn ich ihn nicht selbst frage. Wegschicken, kann er mich immer noch, wenn er alleine sein will.