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Elian

"Die Metastase im Hirn ist bereits ziemlich groß und nicht mehr heilbar.", erklärte der Arzt weiter. Ich saß nur starr da und hörte ihm zu. "Außerdem hat sie hohe Entzündungswerte, welche wir uns auch noch nicht erklären können. Diese können auch vom Krebs kommen. Wir müssen nun erst die weiteren Tests abwarten. Doch Heilungschancen wird es leider nicht geben. Ist Ihre Großmutter sonst regelmäßig zum Arzt gegangen?"
"Nein... Sie geht sehr selten hin."
"Das erklärt wahrscheinlich auch, warum der Krebs nicht eher entdeckt wurde."
"Wird sie noch lange haben?"
"Ich kann Ihnen nicht sagen wie lange sie noch haben wird. Aber... wenn ihr Onkel Ihre Großmutter noch mal sehen möchte, sollte er sich vielleicht bald auf den Weg machen, wenn dies möglich ist. Er lebt doch in Amerika richtig?"
"Ja, genau... Danke..."
"Wenn sonst noch etwas sein sollte, melden Sie sich gerne bei mir oder der Pflege. Wir können Ihnen und ihrer Familie auch einen Pastor zur Seite stellen."
"Nein, danke. Sie ist nicht gläubig."
Der Arzt nickte verständnisvoll und verschwand wieder.
"Ich muss jetzt leider los.", verabschiedete ich mich von Oma.
"Kommst du bald wieder, Anton?"
"Ja, ich komme die Tage mal vorbei und ich versuche Stefan zu erreichen, dass er auch vorbeikommt."
"Passt auf euren Vater auf."
"Machen wir."
Sie hat sogar vergessen, dass ihr Mann schon vor Jahren verstorben ist. 
Auf dem Weg nach Hause rief ich Stefan an und erzählte ihm von Omas Zustand.
"Scheiße... Ich versuche so schnell wie möglich ein Hotel in der Nähe zu finden und werde den nächsten Flieger nach Deutschland nehmen."
"Okay."
Es entstand eine kurze Stille in der ich versuchte meine Tränen runterzuschlucken.
"Und wie geht es dir?"
"Gut soweit."
"Was macht die Schule?"
"Alles in Ordnung."
"Elian, ich weiß, dass das nicht stimmt. Du kannst mit mir darüber reden. Ich sage niemandem was."
"Nein, es ist wirklich in Ordnung."
"Willst du in den nächsten Ferien mal zu uns kommen? Für eine Auszeit?"
"Gerne."
"Ich schaue mal, dass ich einen guten Flug finde, ja?"
"Danke, Stefan."
"Ich melde mich bei dir, sobald ich weiß wann ich in Deutschland ankomme."
"Alles klar, bis dann."
"Bis dann Elian. Und melde dich bei mir, wenn was ist. Du weißt ja, es ist scheiß egal wie spät es ist."
"Ja, ich weiß. Danke."
Stefan legte auf, ich wischte mir die Tränen, welche mir gekommen waren weg und lief ins Haus.
Es war ziemlich ruhig, weswegen ich einen Blick ins Wohnzimmer riskierte. Meine Mutter schlief und mein Vater war nicht da. Umso besser, dann konnte ich ungestört sein.
Denn heute war wieder einer der Tage in denen mir alles über den Kopf wuchs.
Ich musste die ganze Zeit an Oma denken und daran, dass sie nicht mehr lange hat und zum anderen musste ich die ganze Zeit an den Vorfall heute in der Schule denken. Levin hat mich nicht einmal angeschaut als ich auf dem Boden lag. Es verletzte mich, dass er nicht einmal zu mir geschaut hat, als wäre ich ihm egal.
Vielleicht war ich das ja auch? Vertraute ich ihm zu schnell? War mein erstes Gefühl doch richtig, dass er mich nur reinlegte?
Was wird aus mir, wenn Oma nicht mehr da ist? Wer muntert mich dann auf? Wer gibt mir den Halt den ich brauche? Wer zeigt mir, dass ich nicht ganz wertlos bin?
Ich starrte in den Waschbecken und sah, wie dieser sich langsam rot färbte. Meine Unterarme waren voller Blut und plötzlich spürte ich, wie mir schwindelig wurde.
Scheiße, das war zu viel!
Schnell setzte ich mich auf den Toilettendeckel und griff nach dem Verband. Ich versuchte die Blutung zu stoppen und spürte wie der Schwindel langsam nachließ. Nun spürte ich auch Schmerzen in meiner Wange. Vermutlich hatte ich mir auch wieder in die Wange gebissen. Das tat ich öfters ganz unbewusst und daran konnte ich nichts ändern.
Als ich die Blutung endlich gestillt hatte und meine Unterarme verbunden hatte, wollte ich aufstehen und noch etwas im Haushalt tun.
Aber irgendwas hielt mich zurück. Ich starrte auf den Boden und dann geschah es. Alles brach über mich ein und ich fing heftig an zu weinen.
Mein Leben erschien ohne meine Oma einfach aussichtslos. Ohne einen Halt in meinem Leben. Wie sollte ich ohne sie klarkommen? Es gab doch sonst niemanden der mich liebte.

Levin

Wann sprach von Liebe? Wir waren nicht mal zusammen. Wir kannten uns noch gar nicht wirklich. Aber ich war verdammt verknallt. Und sauer. Ich war so scheiße sauer auf Dominik und Billy. Und auf mich.
Warum bin ich nicht dazwischen gegangen? Warum habe ich ihn nicht beschützt? Er wird das Vertrauen zu mir wieder verlieren, wenn ich ihm nicht zeige, dass ich für ihn da bin.
Ich will ihn nicht verlieren. 
Scheiße, ich war so übelst verknallt. 
Wenigstens das konnte ich mir eingestehen. Und ich merkte wie gut mir das Gefühl tat, dass ich es mir endlich eingestehen kann, dass ich auf Jungs stand. Jetzt musste ich es nur noch irgendwie meinen Eltern und meinen Freunden vermitteln. Das war das nächste Problem.
Vielleicht hatte Elian ja einen Tipp, wie ich das am besten angehen konnte? 
"Warum lächelst du so dumm?", fragte Aaron.
Ich unterbrach meine Trainingseinheit und schaute ihn an. "Keine Ahnung."
Aaron zog einen nahstehenden Hocker herbei und setzte sich mir gegenüber.
"Wie siehts aus bei dir?"
"Gut soweit."
"Hast du wieder einen klaren Kopf, sodass ich keine Angst haben musst, dass du dich mit den Geräten hier umbringst?"
"Ja, geht wieder."
"Willst du darüber reden, was los war?"
"Bist du mein Therapeut?"
"Ich bin dein Trainer. Also, ja."
Ich seufzte. Aaron kannte niemanden von meinen Freunden und mit meinen Eltern hatte er auch nichts zu tun. 
"Erzähl es aber keinem..."
"Wem zum Teufel, sollte ich irgendwas erzählen? Den Omis, die hier zum Zumba kommen?"
Ich musste kurz lachen. "Es gibt da jemanden..."
"Also hatte ich doch Recht. Du warst wegen einem Mädchen so unkonzentriert."
"Nein.... Es ist wegen einem Jungen."
"Achso. Bist du verknallt?"
"Kann schon sein."
"Das ist ja fast ein bisschen süß. Und lass mich raten, du wolltest dir deine Gefühle für diesen Jungen nicht eingestehen, weil du Angst hast was deine Freunde sagen? Und deine Eltern?"
"Woher weißt du das?"
"War geraten. Sowas hört man doch wohl mal, dass es Leuten so geht. Levin, du denkst ja wohl nicht, dass du mit diesem Problem alleine bist, oder?"
Tatsächlich habe ich das bis gerade schon gedacht. Aber Aaron hatte Recht. Ich bin mit diesem Problem nicht alleine. Es gibt viele Leute die das gleiche Problem haben wie ich und die es auch geschafft haben.
"Beim nächsten Mal Kumpel, kommst du direkt zu mir, wegen sowas. Haben wir uns verstanden?"
"Haben wir. Danke Aaron. Das hab ich gebraucht."
"Hab ich mir gedacht. Dann trainier weiter."
Er gab mir einen brüderlichen Schlag auf die Schulter und verschwand wieder.

Forgive meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt