Kapitel 23

76 4 9
                                    

Jisung

Ich lag auf einer Bank und stemmte gerade Gewichte. Noch dreimal... noch zweimal... beim letzten Mal zitterten meine Arme so stark vor Anstrengung, dass ich die Stange nur mit viel Mühe und Not zurück in die Halterung legen konnte. Schwer atmend sah ich mich nach meinem Trainingspartner um, doch Changbin war zu sehr damit beschäftigt in sein Handy zu schmunzeln, als dass er mitbekommen hätte, dass ich beinahe unter der Langhantel begraben worden wäre.

„Du bist an der Reihe", meinte ich zu ihm und deutete auf die Bank. Changbin schreckte hoch und beeilte sich seinen Rep zu vollenden damit er wieder mit Felix schreiben konnte. Ich gönnte es Changbin, doch tief in meinem Herzen war ich ein bisschen neidisch. Minho hatte mir nie süße Nachrichten geschickt, die mich zum Schmunzeln brachten. Meistens waren sie sehr kryptisch gewesen und ich hatte nicht ganz verstanden, worauf er hinaus wollte. Oft hatte er mir geschrieben was er den Tag über gegessen hatte, oder irgendwelche wirren Gedanken, die für mich ohne Zusammenhang waren.

Wir hatten immer noch kein klärendes Gespräch geführt. Ich hatte Angst davor, was dabei herauskommen würde. Schließlich hatte ich mir schon einmal den Kopf zerbrochen und dann endlich ein Herz gefasst ihn darauf anzusprechen. Nur damit er es mir herausriss und darauf herumtrampelte.

Als Changbin von der Bank aufstand, ließ ich mich darauf fallen und schloss die Hände um die Langhantel. Was für ein Arsch. Ich presste die Hantel nach oben. Was fällt ihm eigentlich ein? Noch einmal drückte ich die Hantel hoch. Ich habe jemanden verdient, der mich wertschätzt und mich glücklich macht. Noch einmal. Jemanden, der mich zum Lachen bringt und der dafür sorgt, dass ich mich sicher und geborgen fühle. Noch einmal. Jemanden... Noch einmal. ...wie Minho... Ein Schluchzer entfuhr mir und die Decke der Trainingshalle verschwamm vor meinen Augen. Da wurde mir die Hantel aus den Händen gerissen und in die Halterung gehängt.

„Jisung! Du musst aufpassen! Das hätte richtig gefährlich werden können!", fuhr mich Changbin aufgebracht an und zog mich von der Bank hoch. Ich wandte mich von ihm ab und wischte mir unauffällig über die feuchten Augen. „Ich glaube ich bin fertig an der Hantelbank", stellte ich fest.
„Ich glaube du bist komplett fertig mit dem Training für heute. Du solltest besser nach Hause gehen und dir einen klaren Kopf verschaffen. So kannst du dich ernsthaft verletzen."

„Ich kann jetzt nicht zurück ins Dorm... bitte Hyung, ich brauche jetzt die Ablenkung. Ich muss meine Energie irgendwie abbauen...", flehte ich ihn an.
Changbin musterte mich kritisch, nickte dann aber. Er war da nicht anders als ich. Immer wenn ihn etwas beschäftigte, machte er Sport. Es war so, als müssten wir unsere Körper bewegen, damit sich unsere Gedanken ebenfalls in Bewegung setzten, statt eine Spirale zu bilden, die uns mit sich in die Tiefe zog.

Ich hob die Langhantel aus der Halterung und wollte die Gewichte abschrauben, um schwerere anzubringen, doch Changbin verscheuchte mich und wies mich an entweder Seil zu springen oder Pull-ups zu üben, weil dabei das Verletzungsrisiko geringer war, als beim Training mit Gewichten.

Ich murmelte beleidigt vor mich hin, aber Changbin hatte natürlich recht. Wenn ich unkonzentriert war, war das Verletzungsrisiko deutlich höher. Ich seufzte resigniert. Auf Deadlifts hatte ich mich heute eigentlich gefreut. Also räumte ich die Gewichte wieder an ihren Platz zurück und klemmte mir die Finger ein, als ich die 10kg Platten unvorsichtig auf den Stapel legte. Vielleicht war es wirklich eine gute Idee nicht mit schweren Gewichten zu hantieren. Stattdessen holte ich mein Springseil aus meiner Trainingstasche und wickelte es auf.

Während ich versuchte einen stetigen Rhythmus mit dem Seil aufrechtzuerhalten, spielte sich die Szene mit Minho immer wieder in meinem Kopf ab. Die abfälligen Äußerungen über mich bohrten sich tief in mein Herz. Ich hatte mich wirklich wohl gefühlt in seiner Gegenwart. Ich hatte es gemocht, wenn wir Zeit zusammen verbracht hatten.

Felix und Changbin hatten recht gehabt. Die Chemie zwischen uns hatte gestimmt. Ich fand Minhos unbeholfene und grobe Art irgendwie süß. Mir gegenüber verhielt er sich offener als anderen gegenüber, was mir immer das Gefühl vermittelt hatte besonders zu sein. Mir hatte er noch nie mit Taschentüchern oder einer Heißluftfritteuse gedroht wie Hyunjin. Und dann war da auch noch der Sex... Ich hätte niemals erwartet, dass es sich so anfühlen konnte.

Minho hatte besser gewusst, was mir gefiel als ich selbst. Obwohl er sich so gut wie immer dominant verhalten hatte, hatte er mich nie zu Dingen gezwungen, die ich nicht wollte. Ich hatte mich so stark und so geborgen gefühlt, wenn ich mit ihm zusammen war. Das hätte eigentlich keinen Sinn ergeben sollen, doch es stimmte. Jedes Mal, wenn er mich aufs Bett gedrückt, gefesselt oder festgehalten hatte, wusste ich, dass er nicht hatte anders handeln können. Ich hatte ihn zu diesem Verhalten gebracht. Ich hatte ihn unter Kontrolle, auch wenn es auf den ersten Blick anders wirken mochte. Er hatte mich und meinen Körper angebetet. Aber er hatte mir seine Zuneigung nie auf die „klassische" Art gezweigt, indem er mit mir kuschelte oder was andere Pärchen sonst so taten.

Aber Minho war auch einfach nicht wie andere Menschen. Er war speziell, also wieso konnte seine Zuneigung nicht auch speziell sein? Diese Erkenntnis sorgte dafür, dass ich mich in meinem Seil verhedderte und beinahe der Länge nach auf dem Boden landete. Minho war nicht wie andere Menschen. Und dennoch hatte ich erwartet, dass er sich verhielt wie andere. Dass er mir wie andere zeigte, dass er mich mochte. Ich hatte mir Felix und Changbin zum Vorbild genommen und erwartet, dass meine Beziehung so laufen würde wie ihre, doch das war natürlich unmöglich. Minho war weder wie Felix noch wie Changbin und das war auch gut so.

Ich ließ mich auf den Boden des Gyms fallen und streckte sie Arme und Beine von mir. Mein Herz schlug schnell, auch wenn ich nicht wusste, ob es an den Anstrengungen vom Seilspringen oder an meinen Schuldgefühlen lag. Ich musste wirklich mit Minho reden. Seine Worte waren hart und verletzend gewesen, doch ich wollte noch einmal aus seinem Mund hören, dass er sie genauso meinte, wie er sie gesagt hatte. Ich hatte die leise Hoffnung, dass es sich um ein riesiges Missverständnis zwischen uns handelte. Und das Mindeste, das ich tun konnte, war ihm zu erklären, was ich fühlte. Und mit etwas Glück, würde er mir gestehen, dass es sich wirklich nur um ein Missverständnis gehandelt hatte.

Was, wenn er es so gemeint hat? Was, wenn du ihm wirklich nichts bedeutest?, schaltete sich eine kleine Stimme in meinem Hirn ein. Ich schluckte schwer. Diese Möglichkeit bestand natürlich. Ich wusste auch nicht was ich machen sollte, falls dies wirklich der Fall war...

_________________________________

Hey ihr Lieben 🥰

Hier ein kleines Minsung Update. Die beiden haben jetzt eine schwierige Zeit vor sich. Ich hoffe ich bin in der Lage die verschiedenen Perspektiven, die Gefühle und Motive der beiden Personen in den nächsten Kapiteln gut darzustellen.

Kleiner Spoiler vorab: Im nächsten Kapitel geht es um Changlix und es wird wieder ein bisschen storylastiger.

Ich bin wie immer gespannt auf dein Feedback. Ich freue mich wirklich jedes Mal, wenn ich sehe, dass jemand ein Kapitel kommentiert hat.

Lg und hoffentlich bis zum nächsten Kapitel 🫰🏻

StreetlightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt