Kapitel 30

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Changbin

„Ich freue mich voll, dass es geklappt hat. Du bist sicher sehr beschäftigt mit dem Training..."
Ich schob Yoorims Stuhl an den Tisch und setzte mich anschließend ihr gegenüber auf die Bank. Manieren mussten sein.
„Ja schon..."
Sie unterbrach mich und begann davon zu reden, dass es ihr so leid tat, dass sie sich beim Essen neulich so schrecklich verhalten hatte und böse Kommentare von sich gegeben hatte.
Ich nickte nur, war mir aber nicht sicher, wie ernst sie das meinte. Nichtsdestotrotz wollte ich Felix Ratschlag befolgen und versuchen die Stimmung zwischen uns zumindest auf ein neutrales Level zu heben.

„Weißt du, ich bin auch sehr beschäftigt seitdem ich studiere. Der Eingangstest war so schwer wie alle Leute sagen, aber ich hatte richtiges Glück, dass meine Eltern mir die besten Nachhilfelehrer engagieren konnten. Du wärst bestimmt auch auf die Uni gekommen, wenn du dich nicht für... Musik entschieden hättest. Da bin ich mir sicher"
Ich wusste nicht, was ich von ihrer Aussage halten sollte. Es wirkte wie ein vergiftetes Kompliment. So als hätte etwas Anständiges aus mir werden können, wenn ich mich nicht für das Leben eines Musikers entschieden hätte.

Dann führte sie einen nicht enden wollenden Monolog, der meiner Anwesenheit nicht bedurft hätte. Aus Höflichkeit nickte ich viel und beeilte mich meinen Iced Americano so schnell zu trinken, wie möglich, um dieser Situation zu entkommen. Yoorim tat das, was sie am besten konnte, nämlich ganz viel von sich selbst sprechen. Das war mir aber immer noch lieber, als verbal von ihr angegriffen zu werden.

„Wie dem auch sei... du sagtest ja bereits, dass du bald mit deiner Gruppe debütieren wirst. Stimmt das?"
Nun sah sie mich aus großen Augen erwartungsvoll an. Dabei stützte sie den Kopf auf ihren Händen ab und legte ihn leicht schräg. Wahrscheinlich sollte das süß aussehen, aber ich musste wirklich an mich halten, einen neutralen Gesichtsausdruck zu wahren.
„Ja, also, wir haben eine achtköpfige Gruppe, die möglicherweise debütieren könnte. Es sind wirklich erstaunliche Menschen dabei und wir sind schon seit einiger Zeit am Produzieren von Tracks" Mir war es wichtig zu betonen, dass es noch nicht so verbindlich war, wie sie es eben dargestellt hatte.
„Wow, das hört sich so spannend an! Ich habe niemanden in meinem Bekanntenkreis, der es in dem Business so weit gebracht hat wie du. Das sind tolle Neuigkeiten!" Sie griff aufgeregt nach meinem Arm und klammerte sich daran fest.

Ich lächelte nur höflich, erwiderte irgendetwas unverbindliches und gab dann vor dringend mein Handy aus der Hosentasche ziehen zu müssen, damit sie mich wieder losließ. Aber abgesehen davon, dass Yoorim ungewohnt aufdringlich war, verlief das Treffen ganz erträglich. Wir hatten uns gegenseitig bis jetzt noch nicht beleidigt, was ich als Erfolg verbuchte.

„Es ist so schön mal wieder von dir zu hören, Changbin! Lass uns das unbedingt wiederholen, ja? Ich muss jetzt leider weiter. In einer halben Stunde beginnt eine Vorlesung."
Sie erhob sich und ich tat es ihr gleich. Dann umarmte sie mich, winkte mir zum Abschied noch einmal zu und eilte dann aus dem Café.

Ich stand, wie erstarrt, da und blickte ihr nach. Sie hatte mich umarmt. Das war kein gutes Zeichen. Möglicherweise erhoffte sie sich mehr zwischen uns. Ich runzelte die Stirn. Was war nur geschehen? Vor wenigen Wochen war sie noch der Bully meiner Jugend gewesen und verantwortlich für zahlreiche traumatische Erfahrungen und jetzt wollte sie mich daten? Ich hatte definitiv einige Zwischenschritte verpasst.

Ein heller Glockenklang erregte meine Aufmerksamkeit. Ich sah auf den Stuhl, auf dem Yoorim vor wenigen Minuten noch gesessen hatte und entdeckte ein Handy. Ich griff danach, um herauszufinden ob es Yoorims war, oder ob es jemand vor uns vergessen hatte.

Auf dem Sperrbildschirm entdeckte ich ein Selfie von Yoorim, mit übertriebenem Girly-Makeup und einem Schmollmund. Es war also tatsächlich ihr Handy. Kurz überlegte ich ihr hinterherzurennen, doch dann entscheid ich mich dafür, noch ein paar Minuten hier zu warten und das Handy dann im Zweifelsfall beim Cafébesitzer abzugeben, falls sie bis dahin nicht zurückgekehrt war. Das Handy meldete sich erneut und ohne richtig darüber nachzudenken, überflog ich die Nachricht.

„Was denkst du? Beißt er an?"
Ich runzelte die Stirn. Wer biss wo an?
Eine neue Nachricht erschien auf dem Bildschirm: „Was frage ich überhaupt? Niemand kann deinem Charm widerstehen"
Ein ungutes Gefühl breitete sich in mir aus und ich tippte auf die Nachrichten, die zuvor gesendet worden waren.

„Das kriegst du hin! Lächle einfach ganz oft und sag, dass du die Vergangenheit ruhen lassen willst, dann wird er dir verfallen. Männer sind so blöd und Changbin war noch nie einer von der schlauen Sorte... hahaha"

„Ich wünsche dir viel Erfolg! Halte durch! Denk einfach daran, dass du durch ihn Eintritt in die Idolwelt erhältst und dann kannst du seine Anwesenheit besser ertragen hahaha"

Mein Mund klappte auf. Ich hatte also doch von Anfang an Recht gehabt. Es war Yoorim nie um eine Versöhnung gegangen, sondern sie wollte... ja was wollte sie? Mich in eine Beziehung mit ihr locken und dann hoffen, dass ich ihr meine Kollegen vorstellte? Ich war fassungslos über die Dreistigkeit dieser Person.

„Hey! Was machst du da?!" Yoorim stürmte auf mich zu und riss mir das Handy aus der Hand.
„Du hast meine Nachrichten gelesen?!Bist du verrückt geworden?!", schrie sie mich im brechend vollen Café an.
Meine Hände ballten sich automatisch zu Fäusten.
„Du erklärst mir besser was hier vor sich geht." Ich bemühte mich leise zu sprechen, der der Zorn ließ meine Stimme unkontrolliert beben.

„Du bist derjenige, der die Nachrichten auf meinem Handy gelesen hat. Rede dich da jetzt nicht heraus!"
„Kann schon sein, aber du hast mich zu einem „Date" eingeladen und währenddessen mit einer Freundin darüber geschrieben, dass du mich ausnutzen willst? Wir können gerne diskutieren wer von uns beiden moralischer gehandelt hat!"

Meine Stimme war nun laut und schrill geworden, weil ich mich von Yoorim in die Ecke gedrängt fühlte. Ich fiel zurück in alte Verhaltensweisen. Ich versuchte meine angespannten Schultern zu lockern. Mir konnte nichts passieren. Dieses Mädchen bestimmte nicht mein Leben. Sie konnte mir nichts tun.

„Also bitte", sagte sie und Verachtung schwang in ihrer Stimme mit. „Hast du irgendwann mal in den Spiegel geschaut? Du siehst nicht aus wie ein Idol, du bist nicht talentiert genug und Charisma hast du schon gar nicht. Ich kann nicht verstehen, warum die Menschen im Label es dir nicht einfach sagen: Du wirst niemals eine Zukunft als Idol führen! Niemand will dich auf einer Bühne sehen. Allein der Gedanke daran ist lächerlich!" Siegessicher verschränkte sie die Arme vor der Brust. Ich konnte nicht reagieren. Ihre Worte bohrten sich durch meinen Brustkorb direkt in mein Herz. Es war als hätte sie meine Schwachstellen ausfindig gemacht. Ich stand also still da, ohnmächtig vor Wut, aber auch vor Schmerz.

Yoorim schaute sich im Café um und bemerkte, dass alle Augen auf uns gerichtet waren. Leute tuschelten hinter vorgehaltener Hand oder deuteten auf sie. Manche hatten sogar das Handy gezückt und filmten die Szene. Alle schienen Mitleid mit mir zu haben und einige Menschen begannen gemeine Dinge über Yoorim zu sagen. Sie hatte sich wohl Beistand und Anerkennung erhofft, so wie damals in der Schule, doch in dem Café standen alle auf meiner Seite.

„Bitte verlassen Sie jetzt dieses Geschäft", meinte ein Mitarbeiter zu Yoorim und deutete auf die Tür. Fassungslos blickte sie ihn an und drehte sich dann wieder zu mir um.
„Das wirst du noch bereuen, Seo Changbin!", zischte sie mir zu und verließ dann schnellen Schrittes das Café.

Als ich mir bewusst wurde, dass die Leute mich immer noch anstarrten, trat ich ebenfalls aus dem Café hinaus. Ich musste erst noch verarbeiten, was sich hier eigentlich abgespielt hatte. Ich musste es Felix erzählen, oder meinem Therapeuten. Irgendwer musste mir helfen meine Gedanken zu ordnen, weil ich im Moment alleine nicht dazu in der Lage war. Ich machte mich also auf den Weg zu Felix Wohnung, wählte aber gleichzeitig die Nummer meines Therapeuten. Währenddessen hörte uch Yoorims Worte in meine Kopf widerhallen: Du siehst nicht aus wie ein Idol, du bist nicht talentiert genug und Charisma hast du schon gar nicht.
Diese Gedanken waren nichts neues für mich, doch ich hatte eigentlich gehofft, dass sie mich nicht mehr so treffen konnten wie früher.

„Ja hallo?", ertönte die Stimme meines Therapeuten am anderen Ende der Leitung. „Hallo hier ist Seo Changbin. Haben Sie einen kurzen Moment Zeit für mich?"

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