Kapitel 34

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Minho

Nachdem ich bei Jisung aufgetaucht war, fiel mir ein großer Stein vom Herzen. Ich hatte ihm alles gesagt, was mich beschäftigte, wenn auch in Kurzfassung, und ich fühlte mich so, als würde der Ball nun in seiner Hälfte liegen.

Ich hatte nicht gelogen, als ich mir gesagt hatte, dass eine Beziehung mit Jisung nicht das Ziel meines Auftauchens gewesen war. Ich wollte, dass wir uns wieder annäherten und wieder locker in der Gegenwart des anderen sein konnten. Mir war bewusst, dass ich maßgeblich dazu beigetragen hatte, dass Jisung sich mit mir unwohl fühlte, aber ich war bereit das zu ändern.

Ich war absichtlich öfter in Chans Room gekommen und war da einige Minuten geblieben. Jisung hatte nie den Raum verlassen und das letzte Mal hatte er mich sogar zu meinem Gesang gelobt. Ich war rot geworden, da ich das Kompliment nicht erwartet hatte und Changbin hatte Han daraufhin den Ellenbogen in die Seite gestoßen und ihn vielsagend angelächelt. Das hatte nur dazu geführt, dass wir beide mit rot glühenden Wangen schnell in entgegengesetzte Richtungen geschaut hatten.

Ich hatte Jisung ab und zu geschrieben, ob ich 3Racha etwas zu Essen mitbringen sollte, wenn ich an der Reihe war, Mittagessen für die Dance Unit zu holen. Zuerst hatte er kurzangebunden abgelehnt, doch in letzter Zeit gab er lange Bestellungen durch, die zum Erhalt der Muskelmasse von 3Racha beitrugen. Ich feierte diese kleinen Schritte, als wären sie große Siege.

Wie die letzten Tage auch, klopfte ich an der Tür zu Chans Room und trat ein, als mir geantwortet wurde.
„Du weißt, dass du als Member nicht zu klopfen brauchst", erklärte mir Jisung zum wiederholten Male, doch ich war seit unserem Gespräch auf der Hut und wollte ihn nicht überraschen.

Mein Blick schweifte durch den leeren Raum. „Wo ist Chan?", erkundigte ich mich bei Jisung und blieb verwirrt im Zimmer stehen.
„Hattet ihr nicht abgemacht erst in einer Stunde aufzunehmen?"
Ich schüttelte den Kopf. Ich war mir der Uhrzeit ganz sicher.
„Kann sein, dass Chan es verpeilt hat. Er hat in letzter Zeit wieder sehr viel gearbeitet und wenig geschlafen..."

Ich nickte. Normalerweise hätte ich kein Verständnis dafür gehabt, versetzt zu werden, doch ich wusste wie hart Chan arbeitete und ich wollte ihn nicht zusätzlich unter Druck setzen. Ich beschloss ihm in den nächsten Tagen ein Sandwich vorbeizubringen um sicher zu gehen, dass der Mann genug aß.

„Alles klar, dann komme ich später wieder, schätz ich...", murmelte ich und wandte mich zum Gehen.
„Nein nein, du kannst hier bleiben. Ich weiß nicht wann Chan kommen wird. Dann musst du nicht extra wieder herkommen..."

Ich nickte erneut und ließ mich dann auf die Couch sinken. Han setzte sich die Kopfhörer wieder auf und begann gehetzt auf einen Block zu kritzeln. Immer wieder summte oder murmelte er vor sich hin. Es war wirklich interessant ihm beim Arbeiten zuzuschauen.

Mir fiel ein, dass ich ein offenerer Mensch werden wollte, also stand ich auf und setzte mich auf den Stuhl neben Jisung. Der sah verwirrt auf und nahm einen Kopfhörer ab. „Alles gut?"
„Erklär mir was du da machst", forderte ich. Seine Augenbrauen schossen in die Höhe und seine Mundwinkel fielen herab. „Bitte", setzte ich schnell dazu und lächelte ihn an. Irgendetwas musste doch von Felix' Sonnenscheinenergie auf mich abgefärbt haben.

Jisungs Augenbrauen wanderten noch höher und ich gab es auf. „Sorry, arbeite weiter. Ich werde dich nicht weiter stören..." Er griff nach meinem Arm und verhinderte damit, dass ich aufstehen konnte. „Was interessiert dich denn?"

Ich überlegte. Ich hatte mir noch nie so wirklich Gedanken zu Songwriting gemacht. „Ähm... alles, denke ich. Ich habe keine Ahnung davon"
Jisung nickte und blickte auf seinen Songtext. Dann drehte er schnell den Block um, sodass ich nicht lesen konnte, was er geschrieben hatte.

„Ich kann dir zeigen wie man Lyrics schreibt. Songtexte sind ein Weg der Welt zu zeigen, wie es in dir aussieht. Du kannst mithilfe von gesungenen Worten deine Gefühle ausdrücken. Gibt es etwas, das du der Welt schon immer mal sagen wolltest?"
Meine Augen wurden groß. Ich würde niemandem verraten, was ich dachte und fühlte. Das ging niemanden etwas an!

Jisung nahm wahr, dass sich meine Gefühlslage geändert hatte. „Alles klar, du kannst natürlich auch Standardtexte schreiben. Liebe, Freundschaft, Sex oder eigene Erfahrungen kann man auch immer als Thema nehmen. Von Liebe handeln die meisten Songs... aber theoretisch kannst du wirklich über alles schreiben"
„Über alles? Auch... keine Ahnung... eine Autofahrt?"
Han nickte begeistert. „Ja klar, wieso nicht? Jetzt brauchen wir ein Gefühl und das Szenario in dem dieses Gefühl stattfindet. Also du fährst Auto und du fühlst..."
„Hitze. Die Klimaanlage ist kaputt", sagte ich trocken und lehnte mich mit verschränkten Armen zurück.

Han blinzelte zweimal, dann schüttelte er den Kopf und flüsterte „Die Klimaanlage ist kaputt... war ja klar". Dann schnappte er sich einen Stift und ein Blatt Papier und schrieb groß „Drive" in die Mitte und „heat" etwas entfernt davon auf.

„Ok was fühlst du noch?"
„Ich muss den Beifahrer sicher absetzen, weil das Navi auch kaputt ist."
Han schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, schrieb er „responsibility" unter „heat".
„Was fällt dir noch ein?"
„Es ist eine rasante Fahrt, weil es viele Schlaglöcher gibt"

„Minho Hyung, ich weiß nicht, ob wir aus diesem Szenario einen Song bauen können...", meinte Jisung als er auch noch „rough driving" aufschrieb. Es war das erste Mal, dass er mich wieder Hyung genannt hatte, seitdem wir uns gestritten hatten. Mein Gesichtsausdruck wurde weich und ich ließ die verschränkten Arme sinken.

Han schien es auch bemerkt zu haben, denn sein Blick zuckte panisch zu mir und er begann sich am Hals zu kratzen. Mir war aufgefallen, dass er das öfter machte, wenn er nervös war. Sein Hals war schon ganz gerötet. Langsam streckte ich eine Hand aus und legte sie auf seine. Ich zog unsere Hände von seinem Hals weg. Vorsichtig legte ich seine Hand in seinem Schoß ab und zog meine dann zurück. Dabei sah ich Jisung die ganze Zeit ins Gesicht. Mit leicht geöffnetem Mund und großen Augen folgte er der Bewegung unserer Hände.

Da wurde die Tür geöffnet und Chan trat mit einer freundlichen Begrüßung ein. Er schien die Situation zwischen Jisung und mir nicht wahrzunehmen und legte ihm freundschaftlich die Hände auf die Schultern. Die beiden redeten kurz miteinander, doch ich konnte der Unterhaltung nicht folgen, weil ich in Gedanken immer noch Jisungs Hand hielt. Ich vermisste das Gefühl.

Auf einmal erhob sich Jisung und ich war völlig perplex. „Wo gehst du hin?", fragte ich ihn beinahe panisch.
„Ich lasse euch mal in Ruhe arbeiten. Ihr braucht mich dazu ja nicht"
Mein Blick viel auf den Block, den er sich an die Brust presste. Da er ihn vorhin umgedreht hatte, konnte ich jetzt lesen, was er aufgeschrieben hatte.

Inside collapsed time
Even my hopes
For us to be together
No longer mattеr
My love, tangled up
While looking for you
Is gonе, gone away, gone away
I don't think I can stop you from leaving anymore

StreetlightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt