Kapitel 32

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Minho

Ich lag auf meinem Bett und blickte an die Decke. Meine Gedanken waren ein reines Chaos und mein Körper schmerzte. Mittlerweile konnte ich nicht sagen, ob es ausschließlich vom exzessiven Training herrührte oder, ob mehr dahintersteckte. Immer wieder schossen mir Chans Worte durch den Kopf. Er wollte mich in seiner Debutgruppe. Mein Herz verkrampfte sich und ich musste langsam und gleichmäßig atmen.

Was wusste Chan schon über mich? Nichts. Und trotzdem hatte es sich so angefühlt, als hätte er mich binnen weniger Minuten durchschaut. Seine Worte hatte auch Sinn ergeben. In einer Debutgruppe war man ein Team und wenn man aus beruflichen Gründen viel Zeit miteinander verbringen würde, sollte man sich zumindest mögen...

Ich dachte darüber nach. Um ehrlich zu sein, wusste ich nicht, ob ich die anderen mochte. Chan schien sehr nett zu sein. Er hatte definitiv Leader-Qualitäten und sein unermüdliches Engagement und seine Hingabe waren beeindruckend. Hyunjin... er ging mir wirklich auf die Nerven, aber wenn ich ehrlich zu mir selber war, dann hatte auch Hyunjin das Herz am rechten Fleck. Über Felix brauchte ich nicht nachzudenken. Auch wenn ich mir größte Mühe gab, konnte ich ihn nicht einschüchtern. Er war so offen und herzlich gegenüber allen Personen und ihm schien wirklich etwas an den Menschen in seinem Umfeld zu liegen. Was mich zu Changbin brachte. Ich hatte wenig Kontakt zu ihm gehabt und wenn wir uns begegnet waren, war es nicht besonders angenehm gewesen. Aber nur, weil er Jisung beschützen wollte. Ich respektierte ihn dafür und das war alles was ich über Changbin wusste. Von Jeongin und Seungmin brauchte ich gar nicht erst anzufangen, da ich wirklich keine Interaktion mit ihnen gehabt hatte. Wie konnte ich nur Teil einer Gruppe sein, von der ich nichts wusste, außer aus welchen Mitgliedern sie bestand?

Die einzige Person, die ich besser kannte war Jisung, aber auch ihn hatte ich auf Abstand zu halten versucht. Mir waren seine Vorlieben, was Essen und andere Dinge betraf bekannt, aber ich wusste nichts über ihn. Mir blieb die Luft weg. Ich hatte Gefühle für eine Person, die ich im Grunde genommen nicht wirklich kannte. Und wieder wurde mein Herz durchbohrt. Gefühle für Jisung? Wann war das denn bitte passiert? Ich hatte doch so gut aufgepasst es körperlich zu halten, aber irgendwie hatte dieser Mann mit den großen dunklen Augen und dem süßen Gesicht es geschafft Risse in meiner Mauer zu hinterlassen, sodass sie langsam zu bröckeln begann. Chans Worte waren ebenfalls wie ein Rammbock gegen meinen Wall geprallt und hatten ihn zusätzlich geschwächt.

Ich wusste nicht was ich tun sollte. Meine Gedanken wirbelten wild in meinem Kopf umher und ich konnte mich auf nichts mehr konzentrieren. Ich wusste nur, dass ich gerade nicht mehr allein sein wollte. Aber ich konnte mich nicht bei Jisung melden. Und sonst hatte ich niemanden...

Ich atmete tief durch und tippte dann eine Nachricht. Bevor ich es mir anders überlegen konnte, schickte ich sie ab.
„Hallo Chan Hyung, hast du schon gegessen?"

*

Der Geruch von gebratenem Fleisch lag in der Luft und mir lief beim Anblick des vollbeladenen Tisches das Wasser im Mund zusammen.
„Ich freue mich, dass du mir geschrieben hast. Ich wäre wahrscheinlich gar nicht mehr aus dem Studio gekommen und hätte vergessen etwas zu essen, wenn du nicht gewesen wärst."
Ich versuchte mich an einem höflichen Lächeln, konnte aber gar nicht einschätzen, ob es mir gelang. Mit Argusaugen beobachte ich das Fleisch. Wann immer ich ein Stück erspähte, das perfekt gebraten war, legte ich es entweder Chan oder mir auf den Teller. So aßen wir recht schweigsam unser Abendessen. Ich musste aber zugeben, dass die Atmosphäre tröstlich war. Ich hatte nicht das Gefühl, dass mich Chan unter Druck setzte oder etwas von mir erwartete, was dafür sorgte, dass sich die Schwere in meiner Brust langsam löste.

Ich bestellte noch eine Ladung Fleisch mit Beilagen und eine Flasche Soju.
„Oh ich trinke nichts...", meinte Chan.
„Ein Glas?", schlug ich vor und goss uns die klare Flüssigkeit in kleine Gläschen. Er beäugte mich kurz und gab dann nach. Wir stießen an und der Alkohol rann mir die Kehle entlang. Sofort füllte ich mein Glas erneut und kippte es direkt hinterher. Dann aß ich ein Stück Fleisch, um das Brennen aus meiner Kehle zu vertreiben. Chan tat es mir gleich.

Er brach unsere Schweigen und begann mir von dem Projekt zu erzählen an dem er gerade arbeitete. Es interessierte mich eher weniger, aber ich bemühte mich ihm zuzuhören, da er sich extra Zeit für mich genommen hatte. Um meine Dankbarkeit zu zeigen, legte ich ihm die besten Stücke des Fleisches und der Beilagen auf den Teller. Hin und wieder schaffte ich es sogar Fragen zu stellen, die Chan mit einem breiten Lächeln beantwortete. Er strahlte regelrecht, wenn er von der Arbeit sprach. Ich fragte mich unweigerlich, ob es ein Thema gab, das mich so sehr begeisterte. Meine Katzen vielleicht.

Während Chan erzählte, trank ich nach und nach die halbe Soju Flasche im Alleingang. Chan beobachtete mich dabei, sagte aber nichts dazu. „Naja auf jeden Fall wollen wir noch einen 3Racha Song aufnehmen. Hannie schreibt gerade noch die Lyrics fertig, aber ich denke das wird wirklich gut, nach allem was ich bis jetzt davon mitbekommen habe."
Bei Jisungs Erwähnung war mein Blick kurz zu Chan hochgezuckt, doch ich hatte ihn schnell abgewendet als ich in Chans Augen gesehen hatte. Er hatte absichtlich angefangen von Jisung zu sprechen, um meine Reaktion zu sehen. Und die war ausgefallen, wie er erwartet hatte.
„Ist alles ok bei dir?", fragte Chan vorsichtig.

Möglicherweise war es dem Alkohl geschuldet, oder aber ich war es einfach leid geworden mich die ganze Zeit vor der Welt zu verstecken, aber ich schüttelte den Kopf.
„Wie gesagt, ich bin da wenn du darüber reden willst..."
„Hasst mich Jisung?", fragte ich, bevor ich mich zurückhalten konnte.
Chan stieß langsam die Luft aus. „Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Bestimmt erzähle ich dir nichts neues, wenn ich sage, dass er sehr verletzt ist. Aber wenn ich dich so ansehe, dann glaube ich, dass euer Streit auch nicht spurlos an dir vorübergeht."

Ich schnaubte laut auf und schenkte mir noch ein Glas Soju nach.
„Das ist das letzte Glas, ok?", meinte Chan und hielt meine Hand auf dem Weg zu meinem Mund auf. Eine Stimme war einfühlsam, nicht tadelnd. Zuerst sah ich auf den Alkohol in meiner Hand, dann zu Chan und nickte. Ich war nicht betrunken, aber ich wollte es auch gar nicht werden. Ich wusste genau genommen auch gar nicht, wieso ich diese Flasche bestellt hatte. Vielleicht als Vorwand dafür mich Chan anzuvertrauen...

Mit einem klirrenden Geräusch setzte ich das Glas ab. „Es tut mir wirklich leid, dass ich Jisung verletzt habe. Er hat einfach etwas Besseres verdient", murmelte ich vor mich hin.
Chan hob eine Augenbraue. „Was ist denn überhaupt passiert?"

Ich berichtete ihm kurz davon, dass Jisung nicht zufrieden mit unserer „Beziehung" gewesen war und deswegen wieder zu einer Freundschaft zurückkehren hatte wollen. Ich beichtete ihm, dass ich einige unschöne Dinge gesagt und diese aber sofort bereut hatte. Als Jisung dann ein klärendes Gespräch hatte führen wollen, hatte ich kalt und abweisend reagiert, weil ich Angst gehabt hatte, dass er mich verletzen würde. Und seitdem waren wir uns aus dem Weg gegangen.

„Weiß Han wie du empfindest?", erkundigte sich Chan vorsichtig. Ich schüttelte den Kopf. „Vielleicht solltest du es ihm erklären. Han ist sehr sensibel, aber nicht nachtragend. Ich kann nicht versprechen, dass dann wieder alles gut ist, aber ihr könntet zumindest diesen Streit klären. Natürlich nur wenn du das willst und dich bereit dazu fühlst"

Ich dachte über seine Worte nach. Ob Jisung mir jemals verzeihen konnte, wie ich mich ihm gegenüber verhalten hatte? Mir war es tatsächlich nicht wichtig, ob er nach unserem Gespräch bereit dazu wäre eine Beziehung mit mir zu führen. Ich wäre schon zufrieden, wenn er mich nicht mehr länger mit diesem hasserfüllten Blick musterte.

„Ich denke das werde ich tun. Danke Hyung. Aber ich glaube ich brauche tatsächlich noch Zeit bevor ich mit Jisung rede"
Chan drückte mir das Knie. „Hey alles gut, dafür sind Freunde doch da. Ich geh dann mal bezahlen..."
Schnell erhob ich mich und drückte Chan zurück auf den Stuhl. „Nein, das werde ich machen. Ich bin dir so dankbar für deine Hilfe, da werde ich dich nicht bezahlen lassen"
Mit diesen Worten ließ ich Chan zurück und machte mich auf den Weg zur Kasse.

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Wow, dieses Kapitel zu schreiben, war vermutlich eines der schwersten dieser Story. Minho ist ein unglaublich komplizierter und vielschichtiger Charakter und das sinnvoll und verständlich zu schreiben ist echt nicht einfach.

Ich hoffe wie immer, dass dir dieses Kapitel gefallen hat und ich möchte mich bei dir fürs Lesen bedanken. Ich freue mich unglaublich über die Kommentare und Sterne. Das zeigt mir, dass die Gedanken, die ich mir mache wertgeschätzt werden. Also vielen lieben Dank nochmal 🫶🏻

Ich wünsche dir alles Gute und hoffentlich bis zum nächsten Kapitel 🥰

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