Minho
Ich schlurfte auf das Studio zu, das alle Chans Room nannten. Mein Rücken schmerzte und ich hatte mir ziemlich sicher einen Oberschenkelmuskel gezerrt. Trotzdem bemühte ich mich so aufrecht und normal wie möglich zu laufen. Humpeln konnte ich in meiner Wohnung, wo mich niemand sah.
Vor der Tür angekommen, hielt ich kurz inne, denn lautes Gelächter drang bis auf den Gang hinaus. Eigentlich hatte ich jetzt einen Termin mit Chan, um ein paar Zeilen einzusingen, doch offenbar war er noch mit anderen Leuten beschäftigt. Kurz spielte ich mit dem Gedanken wieder trainieren zu gehen und später wiederzukommen, doch Chan war derjenige, der sich nicht die Abmachung hielt, also würde ich darauf bestehen jetzt aufzunehmen.
Ich öffnete die Tür und spähte in den Raum. Chan begrüßte mich mit einem breiten Lächeln. Dann erkannte ich Felix und Jisung auf dem Sofa. Jisungs Gesichtsausdruck wurde auf einmal leer und er flüsterte Felix etwas zu während er sein Getränk packte und sich den Rucksack über die Schulter warf. Felix seufzte und erhob sich dann vom Sofa.
Ich stand einfach nur im Türrahmen und beobachtete die Szene vor mir. Chan schien sehr verwirrt über die Aufbruchstimmung zu sein und sein Blick huschte die ganze Zeit zwischen Jisung und mir hin und her.
„Darf ich mal", murmelte Jisung und blieb vor mir stehen. Er wich meinem Blick aus, die Augen stur auf meine Brust gerichtet. Ich hätte einfach einen kleinen Schritt zurück machen und die beiden auf den Gang treten lassen können, doch mein kindisches Hirn ließ das nicht zu. Stattdessen drückte ich die Brust raus und verschränkte die Arme davor.
Jisungs Gesichtsausdruck wurde verbissen und sein Blick zuckte kurz zu mir hoch. Ich sah lodernde Wut darin, die mich erschrak. Dann drängte er sich ohne ein weiteres Wort an mir vorbei. Unsere Oberkörper kollidieren. Ich war überrascht über die Kraft, die Jisung aufwand, um an mir vorbeizukommen und ich musste mich zurückhalten über meine schmerzende Schulter zu reiben. Seltsamerweise entlockte mir der Gedanke, dass es Jisung ebenso Schmerzen bereitet haben musste, mich zu rammen, ein träges Lächeln.
Felix sah mein Lächeln und schüttelte den Kopf über meine Aktion. Mehr zu sich selbst als an mich gewandt, murmelte er „So ein Arschloch". Meine Mundwinkel fielen augenblicklich. Sogar der Sonnenschein Felix dachte ich sei ein Arsch? Das traf mich mehr als es sollte. Schnell ging ich in den Raum, damit er sich nicht ebenfalls an mir vorbeidrängen musste.
Dann hörte ich nur die Tür ins Schloss fallen und richtete meine Aufmerksamkeit endlich auf Chan. Dieser musterte mich mit einem Blick, den ich nicht deuten konnte. So als wüsste er etwas, wollte es aber nicht ansprechen. „Bist du schon eingesungen?"
Ich nickte und er begann mir zu erklären, welche Pläne er für meinen Teil hatte und welche Wörter ich wie betonen sollte.Die Aufnahme dauerte länger als gedacht, da ich mich nicht konzentrieren konnte und ständig vergaß, welche Tipps mir Chan gab.
„Ich denke da war etwas brauchbares dabei...", meinte Chan irgendwann und gab mir damit das Zeichen, dass wir hier aufhören sollten.
„Ich kann es noch einmal probieren...", beeilte ich mich zu erwidern, doch er schnitt mir das Wort ab, indem er die Kopfhörer weglegte und den Kopf schüttelte.Meine Schultern sanken herab und ich fühlte mich auf einmal völlig kaputt. Ich sammelte meine Sachen ein und verließ dann den Aufnahmeraum, um zu Chan zu gehen. Ich ließ mich auf das Sofa fallen in der Annahme, dass wir noch über die Aufnahmen sprechen würden, doch Chan drehte sich zu mir um und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er betrachtete mich wieder mit dieser Miene, die er vorhin bereits aufgesetzt hatte.
„Was ist los?", fragte er nur.
„Ich glaube ich weiß nicht was du...", setzte ich an.
„Doch, du weißt es. Ich will dich auch nicht drängen über etwas zu sprechen, wenn du das nicht willst, aber ich habe gemerkt, dass du unkonzentriert bist und um ehrlich zu sein, das geht schon eine Weile so. Wenn du also jemanden brauchst, um darüber zu reden, dann kannst du das gerne machen. Ich werde dir keine Ratschläge geben, wenn du das nicht willst. Ich kann dir auch einfach nur zuhören."
„Warum?"
Chan blinzelte. „Was meinst du mit ‚warum'?"
Ich verschränke die Arme und lehnte mich ebenfalls auf dem Sofa zurück. „Warum sollte ich dir etwas über mich erzählen? Was hast du davon?"Chans Blick wurde mitleidig und er schüttelte nur den Kopf. „Wie bist du so geworden? Nicht alle Leute wollen dir etwas böses Minho..."
Ich schnaubte. „In diesem Business schon"
„Ganz im Gegenteil. Wenn du hier keine Menschen hast, denen du vertrauen kannst und die für dich da sind, gehst du unter. Du kannst nicht alles allein schaffen. Deswegen sind wir ja auch eine Gruppe. Jeder von uns hat andere Fähigkeiten und Talente. Wenn ich in allem gut wäre, würde ich mich als Solist bewerben, aber ich möchte Teil einer Gruppe sein und ich möchte Leute um mich haben, die das genauso sehr wollen wie ich. Also stelle ich dir jetzt eine Frage: Willst du überhaupt in dieser Gruppe sein, Lee Minho?"Ich musste erst darüber nachdenken. Ich wollte Idol werden, da war ich mir sicher. Das war schon immer mein Traum gewesen und der Grund für all die Strapazen, die ich auf dem Weg dahin auf mich genommen hatte. Wann immer ich an die Zukunft gedacht hatte, hatte ich mich als Teil einer Gruppe gesehen, nie als Solist. Ich konnte zwar alles recht gut, doch ich stach durch nichts hervor. Nicht so wie Hyunjin mit seiner Art zu tanzen, oder Seungmin, der eine engelsgleiche Stimme hatte. Sogar Changbin war talentierter als ich wenn es um Rap ging. Ich war schlichtweg mittelmäßig. Ganz anders als Jisung. Es schien als könnte man ihm eine Aufgabe stellen und er meisterte sie innerhalb kürzester Zeit. Er war ein Allrounder.
Mein Magen verkrampfte sich bei dem Gedanken an Jisung. An seinen wütenden, beinahe hasserfüllten Blick. Ich musste schlucken. Das war nicht Jisung. Er war doch eigentlich so ein fröhlicher und netter Mensch... aber ich hatte ihn verletzt. Ich hatte ihn zu dem gemacht...
„Also?", fragte Chan nach.
Mein Blick begegnete seinem. „Ich glaube, ich habe es nicht verdient ein Teil dieser Gruppe zu sein", gestand ich ihm leise. Ich erhob mich und wollte den Raum verlassen, doch Chan stellte sich mir in den Weg.
„Was meinst du?"
„Du hast so tolle, talentierte Menschen gefunden, die wirklich Potenzial haben, die Musikwelt zu revolutionieren. Ich weiß nicht, wie ich da hineinpassen soll..."Chans Blick wurde weich und er legte mir eine Hand auf die Schulter. „Du weißt gar nicht, dass du ebenso begabt bist, wie die anderen, oder?"
Ich konnte nicht reagieren. Wie erstarrt stand ich da. Chan nutzte die Gelegenheit um einfach weiterzureden. „Die ganze Zeit habe ich gedacht, du würdest auf uns herabschauen oder dir würde einfach nicht so viel am Idolleben liegen wie uns. Und dann machst du einmal den Mund auf und es stellt sich heraus und das Gegenteil ist der Fall. Minho, du hast es genau so sehr verdient wie alle anderen Idol zu werden! Du musst auf dich und deine Fähigkeiten vertrauen! Und du musst anfangen andere Menschen an dich heranzulassen. Wie gesagt, allein kannst du in diesem Business nicht gewinnen, vor allem nicht, wenn du deinen Kollegen nicht vertraust. Verstehst du das?"Mein Inneres war ein Chaos. Ich musste Chans Worte erst einmal verdauen. Er sah Potenzial in mir. Er wollte mich in dieser Gruppe haben. Und nicht nur als Jisungs Freund oder so, sondern, weil er dachte, dass ich eine Bereicherung darstellen könnte. Auf einmal war ich viel zu fertig, um noch länger in Chans Room zu bleiben. Ich musste nach Hause und das Gefühlschaos in mir ordnen. „Danke Chan...", flüsterte ich mit belegter Stimme. „Ich glaube, ich muss über das, was du gesagt hast, erst in Ruhe nachdenken"
Er drückte noch einmal meine Schulter. „Alles gut. Du kannst immer zu mir kommen, wenn was ist. Ich bin schließlich dein Hyung." Er lächelte mir aufmunternd zu und ich bedankte mich erneut bei ihm. Dann verließ ich den Raum. Mechanisch ging ich zum Aufzug. Als ich ihn betrat und den Knopf für das Erdgeschoss drücken wollte, merkte ich, dass meine Sicht ganz verschwommen war. Schnell blinzelte ich die Tränen weg.
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Streetlight
FanfictionChangbin trainiert für seine Karriere als K-Pop Idol. Er ist ehrgeizig und kämpft für seinen Traum. Mit seiner Rap-Group 3Racha produziert er neben dem Training auch eigene Lieder. Er will hoch hinaus und es den Leuten zeigen, die ihm Steine in den...