Kapitel 36

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Changbin

Die letzten Tage waren mir unwirklich vorgekommen. Am ersten Tag nach der verheerenden Nachricht war ich aufgestanden, um mich fertig zu machen und hatte auf Chan und Han gewartet, doch die beiden hatten mich mit mitleidigen Blicken gemustert. Da hatte es mir gedämmert. Ich würde nicht mit ihnen gehen. Ich würde heute keine Songs schreiben und aufnehmen.

Also hatte ich beschlossen ins Gym zu gehen. Als ich einige Stunden später und mit schmerzenden Muskeln wieder im Dorm angekommen war, wurde ich von ungewohnter Stille begrüßt. Ich wanderte ziellos durch die Wohnung. Aus Langeweile machte ich sogar den Abwasch und die Wäsche. Dann legte ich mich ins Bett. Was sollte ich heute nur tun?

Ich rollte mich auf meinem Bett zu einer Kugel zusammen. Plötzlich fühlte ich mich so unglaublich müde. Ich schloss die Augen, um etwas zu schlafen, doch ich sah vor meinem inneren Auge immer wieder die Szene im Büro der Rechtsabteilung. Sie hatten mich rausgeworfen ohne zu zögern. Offenbar war ich nie ein vielversprechender Trainee gewesen, sonst hätten sie sicherlich versucht meine Unschuld zu beweisen, oder?

Ich öffnete die Augen und starrte an die Decke. Ein Gedanke folgte dem nächsten, doch sobald sie weitergezogen waren, hätte ich nicht sagen können, was ich tatsächlich gedacht hatte. Alles war so diffus...
Ich hörte wie die Wohnungstür aufgeschlossen wurde. Ich griff nach meinem Handy. Es war schon kurz nach Mitternacht. Wann war es denn so spät geworden? Ich ignorierte die Nachrichten von Felix und wischte sie vom Sperrbildschirm.

Diese Routine schlich sich nach und nach ein. Ich wachte morgens auf und versuchte ins Gym zu gehen, dann bemühte ich mich im Haushalt zu helfen und dann lag ich den Rest des Tages im Bett. Irgendwann versuchte ich auch gar nicht mehr ins Gym zu gehen. Ich wachte morgens bereits müde und erschöpft auf, da mich nachts die wandernden Gedanken wach hielten. Allein die Vorstellung mich körperlich zu betätigen, bereitete mir solche Kopfschmerzen, dass ich die Decke über mich zog und mich darunter begrub. Ich hatte keinen Appetit, weshalb ich das Bett das erste Mal am späten Nachmittag verließ. Ich wusste nicht wie spät es genau war, da ich mein Handy vor einigen Tagen das letzte Mal aufgeladen hatte.

Anfangs hatten Han und Chan mir noch erzählt, was während meiner Abwesenheit im Label passiert war. Da ich nur kurzangebunden und desinteressiert geantwortet hatte, waren sie Themen, die Musik oder die Arbeit betrafen, ausgewichen... aber sehr viel mehr passierte in ihrem Leben auch nicht. Jisung hatte mir erzählen wollen, dass Minho und er sich wieder anfreundeten, doch auch dieses Thema wollte ich nicht hören. Es erinnerte mich daran wie Felix mein Leben zerstört hatte.

Ich hatte alle seine Nachrichten und Anrufe ignoriert. Als er vorbeigekommen war, um mit mir zu reden, hatte ich mich in meinem Zimmer eingesperrt und getan als würde ich schlafen. Chan hatte ihm daraufhin erklärt, dass ich Zeit brauchte, um mich mit der neuen Situation abzufinden. Er wusste nicht, dass ich Felix nie wieder sehen wollte. Wenn ich mir sein strahlendes Lächeln vorstellte, stieg Wut in mir auf und ich ertappte mich dabei, wie ich die Hände zu Fäusten geballte.

Es klopfte an meiner Zimmertür. Mein Blick war starr darauf gerichtet, aber mir fehlte die Energie zu antworten. Selbst wenn ich die Kraft irgendwie aufgebracht hätte, hätte ich nicht gewusst was ich antworten sollte. Mir war nicht nach Gesellschaft zumute. Der bloße Gedanke daran mit Chan oder Jisung zu sprechen, laugte mich aus. Es klopfte noch einmal. Diesmal lauter. Wieder zeigte ich keine Reaktion. Ein resigniertes Seufzen erklang auf der anderen Seite der Tür und dann hörte ich, wie sich Schritte entfernten.

Ich hatte nicht geantwortet, trotzdem legte sich ein schweres Gewicht auf meine Brust als mein Mitbewohner mich allein in meinem Zimmer zurückließ. Es war anstrengend Luft an dem großen Kloß in meinem Hals vorbeizuzwängen.

Als ich wieder aufwachte, hörte ich wie Felix laut mit Chan diskutierte. Die genauen Worte konnte ich nicht verstehen, aber kurz darauf klopfte es an meiner Zimmertür. „Changbin Hyung, mach bitte die Tür auf! Ich kann dich seit Tagen nicht erreichen. Chan hat mich bisher immer abgewimmelt, aber ich kann nicht mehr. Bitte sprich mit mir! Ich mache mir große Sorgen um dich, Hyung!"
Ich hörte wie Felix Stimme zitterte und dann brach. Dann ertönte sein gedämpftes Schluchzen. Chan musste ihn in den Arm genommen haben.

Ich hätte Schuldgefühle haben müssen, weil ich Felix zum Weinen gebracht hatte. Oder ich hätte Wut empfinden müssen, weil Felix nach allem was er mir angetan hatte, hier aufgetaucht war und Forderungen stellte. Ich hätte irgendetwas fühlen müssen. Doch ich blickte einfach nur auf die Tür. Ich spürte gar nichts. Erschöpft schloss ich die Augen.

Irgendwann begann auch Chan durch die Zimmertür mit mir zu sprechen, doch das bekam ich in meinem Dämmerzustand kaum mit. Als es mitten in der Nacht war, schlich ich aus dem Zimmer, um ins Bad zu gehen und mir eine Packung Ramen zu machen. Ich musste mich an der Arbeitsplatte festhalten, weil sich alles drehte.

Ich nahm die Schüssel Nudeln mit in mein Zimmer und schloss die Tür. Nach zwei Bissen war mir der Appetit wieder vergangen. Dunkel erinnerte ich mich, dass ich normalerweise viel mehr aß. Also zwang ich mich noch einen Bissen zu nehmen. Das Essen schmeckte fad, aber ich war mir sicher, dass ich das Geschmackspulver und die Chiliflocken hineingetan hatte. Als ich die Schüssel dann doch beiseite stellte, fiel mein Blick auf mein Handy. Ich griff danach, doch es leuchtet nicht auf. Also stöpselte ich es an das Ladekabel und legte mich dann wieder ins Bett. Ich konnte es nicht erwarten, dass dieser Tag endlich vorüber war.

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