Kapitel 44

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Jisung

"Und wer ist jetzt wer?", fragte ich Minho, der eine Katze in seinem Schoß, eine auf der Schulter und eine weitere auf dem Boden vor sich liegen hatte. "Soonie war meine erste Katze. Er ist hauptsächlich orange. Dann kam Doongie. Er ist auch orange, aber er hat deutlich mehr weiße Stellen, wie du sehen kannst. Und zu guter Letzt kam Dori. Er ist auch der jüngste von ihnen."

Ich beobachte Minho dabei, wie er der grauen Katze, Dori, den Bauch kraulte, was sich dieser ganze zwei Sekunden gefallen ließ, bevor er mit der Hinterpfote nach Minho Hand trat. Minho lachte Dori aus und versuchte weiterhin seinen Bauch zu kraulen. Genervt rollte sich Dori auf die Beine und wandte Lee Know den Rücken zu. Dann schlich er in meine Richtung und ließ sich vor meinen Beinen nieder. Mein Mund formte ein lautloses "Oh". "Er scheint dich zu mögen. Lass ihn kurz an dir schnuppern, dann kannst du versuchen ihn zu streicheln."

Ich tat wie geheißen und tatsächlich begann Dori kurz darauf laut zu schnurren. "Der ist ja süß", meinte ich und kraulte den Kater unter dem Kinn. "Nicht wahr? Katzen sind wirklich toll. Sie zeigen einem direkt, was sie von einem halten." Ich blickte auf. "Findest du? Ich verstehe das Verhalten von Katzen nicht... ich finde sie handeln ganz schön willkürlich" "Das denken viele Menschen, aber ich glaube sie nehmen sich einfach nicht die Zeit die Katze kennenzulernen und ihre Körpersprache zu verstehen. Katzen sind komplex, aber nicht willkürlich."

Ich sah mir Minho genau an. Er saß auf dem Boden und kraulte Soonie, die immer noch in seinem Schoß lag. Doongie war von seiner Schulter gesprungen und hatte es sich an der Wand gemütlich gemacht. Ich hatte das Gefühl, dass Lee Knows Aussage einen doppelten Boden hatte. Viele Menschen hielten ihn für kalt, unberechenbar und sogar fies. Zugegebenermaßen hatte ich das anfangs auch gedacht. Doch Minho war kein Mensch, der sich schnell öffnete. Es dauerte, bis man sein Vertrauen gewann, doch wenn es gelungen war, dann würde er alles für einen tun. Ich konnte gar nicht zählen, wie oft er mir Essen gekocht, oder gekauft hatte, wenn er das Gefühl gehabt hatte, dass ich nicht daran dachte, genug zu essen. Er kümmerte sich herzerwärmend um seine jüngeren Member und war gleichzeitig eine Stütze für Bang Chan. Lee Know war ein unsichtbarer Helfer, der keinen Dank für seine Taten einforderte, sodass man meinen konnte, dass er sich nicht in die Gruppe einfügte, doch seine Abwesenheit spürte man schnell.

Ich hatte Lee Minho zu Beginn wegen seiner tänzerischen Fähigkeiten bewundert und anschließend feststellen dürfen, dass er auch ein begabter Sänger war. Dass sich unter seiner harten Schale, so ein liebevoller und fürsorglicher Katzenliebhaber versteckte, hatte ich damals nicht geahnt. Ein kleines Lächeln ließ meine Mundwinkel nach oben wandern, als ich Minho in dieser alltäglichen Situation sah. Er war so ein vielschichtiger Charakter. Indem er fiese Dinge sagte und tat, zeigte er seine Zuneigung. Man konnte es schnell als kaltherzig abstempeln, wie er mit uns umging, doch wenn man sich die Zeit nahm, um ihn zu beobachten, lernte man ihn wirklich kennen. Den Lee Know, der auf dem Boden saß und seinem Kater zuflüsterte, wie hübsch er war und wie lieb er ihn hatte. Den Lee Know, der gesehen hatte, dass es mir nicht gut ging, und der mich zu sich eingeladen hatte. Den Lee Know, der seit einigen Tagen immer wieder Taschentücher dabei hatte, weil es sein konnte, dass ich anfing zu weinen.

Ich blinzelte die Tränen weg, die mir in die Augen geschossen waren und atmete tief ein und aus. Das weckte Minhos Aufmerksamkeit, die zuvor vollkommen auf die Katzen gerichtet war. "Ist alles ok?", fragte er und runzelte die Stirn. Ich nickte und lächelte ihn an. "Es tut wirklich gut mal wegzufahren und an etwas anderes zu denken..." Minho nickte und sah mich einfach an. Wahrscheinlich wartete er ab, ob ich mehr erzählen wollte, doch dem war nicht so. Ich wollte gerade einfach nur den Moment mit Minho und seinen Katzen genießen.

"Wo sind eigentlich deine Eltern? Wolltest du sie nicht besuchen?" "Oh ach so, die machen heute einen Tagesausflug ans Meer." Ich legte verwirrt den Kopf schräg. "Warum sind wir dann hier, wenn deine Eltern nicht da sind?" Minho zuckte mit den Schultern. "Naja, jetzt hatten wir Gelegenheit die Katzen zu sehen. Sie haben sich ja wirklich schrecklich gelangweilt den ganzen Tag über." Minho fuhr fort, Soonie zu streicheln. Ich schüttelte nur den Kopf über diesen seltsamen Mann. "Du bist komisch. Das weißt du, oder?", fragte ich ihn halb im Scherz, halb ernst gemeint. Minho zuckte nur wieder mit den Schultern. "Das weiß ich tatsächlich."

"Macht dir das nichts aus?" "Was genau?", bohrte er nach. "Dass dich andere Menschen komisch finden", stellte ich klar. Minho schien darüber nachzudenken. "Ich glaube früher hat es mir was ausgemacht. Früher wollte ich von Menschen gemocht werden... aber jetzt ist es mir egal. Was geht mich die Meinung fremder Menschen an? Ich bin glücklich als der Mensch, der ich bin und sich zu verstellen lockt nur die Menschen an, die mein verstelltes Ich mögen. Ich will lieber von Menschen umgeben sein, die mich für die Person mögen, die ich bin."

"Ich weiß nicht, ob wir uns jemals so deep unterhalten haben... das ist echt schön. Ich habe das Gefühl, ich lerne heute eine ganz neue Seite von dir kennen", gab ich zu.
"Um ehrlich zu sein ist das auch nicht einfach... Ich möchte immer wieder in meine Comfortzone zurück, wo es nur mich und niemanden sonst gibt, aber ich glaube, ich bin es leid allein zu sein. Ich habe gelernt, dass man sich ab und zu verletzlich zeigen muss, um eine Beziehung zu anderen Menschen aufzubauen und so hart das ist... mir gefallen meine Freundschaften seitdem viel mehr."

"Ich weiß gar nicht was ich dazu sagen soll. Danke, dass du deine Gedanken mit mir teilst. Das bedeute mir echt viel" Ich streckte die Hand nach Minhos aus und drückte sie sanft. "Es ist echt leichter mit dir über sowas zu reden, als ich dachte. Ich habe keine Angst davor, dass du mich für schwach hältst. Ganz im Gegenteil... bei dir lerne ich, dass Stärke bedeutet, Schwächen zuzugeben und daran zu arbeiten. Ein Einzelkämpfer zu sein, bringt mich nicht mehr weiter. Obwohl, das stimmt gar nicht... Ich hätte wahrscheinlich mein Leben so weiterführen können, aber ich habe beschlossen, dass ich das nicht mehr will."

"Das musst du auch nicht mehr sein. Wenn du das möchtest, hast du ganz viele Menschen um dich, denen du viel bedeutest und die alle nur das Beste für dich wollen. Du hast wirklich eine krasse Veränderung durchgemacht, seitdem wir uns kennen." "Wegen dir..." Ich hob abwehrend die Hände. "Schieb jetzt nicht alles auf mich. Kann sein, dass ich dazu beigetragen habe, aber ich glaube du wolltest diese Veränderung selbst. Du hast an dir gearbeitet und tust es immer noch. Es freut mich einfach, dich glücklich zu sehen und ich habe das Gefühl, das kommt in letzter Zeit öfter vor." Ich legte Minho eine Hand aufs Knie und lächelte ihn an. Langsam nahm Minho meine Hand und verschränkte seine Finger mit meinen.

"Ich würde dich gerne küssen...", gab ich mit leiser Stimme zu. Minho legte mir die freie Hand an die Wange und fuhr mit dem Daumen über meinen Kieferknochen. Wie in Zeitlupe näherte er sich meinem Gesicht, bis sich unsere Lippen berührten. Ein leises Stöhnen entfuhr uns beiden und ich musste lächeln. Es war irgendwie schön zu wissen, dass ich nicht der Einzige war, der diesem Kuss entgegen gefiebert hatte. Wir hatten uns in letzter Zeit bemüht unsere zwischenmenschliche Beziehung zu stärken. Es hatte sich nicht richtig angefühlt alles mit Sex zu verkomplizieren, weswegen wir Körperkontakt bis auf harmlose Berührungen vermieden hatten. Doch ich hatte es so vermisst Minho zu küssen. Die Chemie zwischen uns hatte von Anfang an gestimmt und es fühlte ich einfach gut an.

Ich warf einen prüfenden Blick auf Minhos Schoß und stellte zufrieden fest, dass sich die Katze verzogen hatte. Kurzerhand kletterte ich auf ihn und drückte mich eng an ihn. Unsere Münder trafen erneut aufeinander. Ich nahem das Gefühl seiner harten Brust wahr, die gegen meine gepresst wurde. Minhos Hände fuhren meinen Rücken entlang und er versuchte mich noch näher zu sich zu ziehen. Ich löste mich von seinem Mund und begann seinen Hals und Nacken zu küssen. Sein schneller Atem und das gequälte Stöhnen bestätigte mir, dass es ihm gefiel. Da packte Minho meine Beine und stand mit einer schwungvollen Bewegung auf. Ich klammerte mich an ihn und sah schon, dass wir beide schmerzhaft auf dem Boden landen würden, doch offenbar hatte ich seine Stärke unterschätzt.

Minho trug mich in sein Zimmer und schloss dann die Tür hinter uns, bevor er mich vorsichtig auf die Matratze legte. "Ich dachte, das Bett ist vielleicht gemütlicher als der Wohnzimmerboden. Das soll jetzt aber keinen Druck aufbauen, ja? Nur weil wir im Bett sind müssen wir keinen Sex haben." Ich nickte. Dieser vorsichtige und zuvorkommende Minho war mir noch neu und ich musste mich noch daran gewöhnen. Ich zog sein Gesicht langsam zu mir herunter. Unsere Lippen berührten sich so sanft wie noch nie zuvor und ich merkte, wie mein Herz zu schmelzen begann. Lee Know hatte mich mit seinem Verhalten zuvor verletzt und ich hatte mich zugegebenermaßen auch nicht unbedingt sensibel verhalten. Ich merkte aber wie sehr er sich bemühte und dass es ihm wichtig war, dass wir eine Beziehung hatten, egal ob sie nun freundschaftlicher oder romantischer Natur war. Diese Erkenntnis sorgte dafür, dass ich mich ebenfalls anstrengen wollte, an mir zu arbeiten. Ich sah Minho tief in die Augen. Diese wunderschönen dunklen Augen, die mich schon auf so unterschiedliche Arten gemustert hatten. Dann küsste ich ihn erneut. Wir würden das schaffen. Ich war mir sicher.

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